Wohnen im Grünen mitten in Stuttgart: die unter Denkmalschutz stehende Villenkolonie Am Hohengeren. Foto: Max Kovalenko

Architektur to go: In unserer Ausflugsserie spazieren wir an architektonisch herausragenden Gebäuden vorbei. Die Route führt zu versteckt gelegenen Landhäusern und einer Burgenvilla im Osten von Stuttgart bis zum berühmten Eugensplatz.

Eine Wagenburg ist, einfach gesagt, ein Kreis von ringförmig aufgestellten Wagen und Karren zur Verteidigung gegen einen Feind. Nicht wirklich gegen einen Feind gerichtet ist die Wagenburg-Kolonie, die der Stuttgarter Architekt Rudolf Schweitzer zu Beginn des 20. Jahrhunderts geplant hatte. Schon aber von neugierigen Blicken abgeschottet sind die Bewohner der Villen, die dort entstanden sind. Es wurde eigens eine reine Anliegerstraße errichtet, und fast kreisförmig angeordnet entstanden zwölf Villen.

 

Das seit dem 19. Jahrhundert auch finanziell aufstrebende Bürgertum hatte seinen Reichtum auch durch repräsentative Wohnhäuser ausgedrückt, gern auf den Stuttgarter Halbhöhen, auch der besseren Luft wegen. Etwa auf einem Hügel auf der Stuttgarter Halbhöhe im Osten, unterhalb der Gänsheide (für Stadtfremde: der Killesberg von Stuttgart-Ost).

Villenkolonie-Spaziergang im Stuttgarter Osten. Foto: STZN/Locke/Lange

Da, wo einst Reben wuchsen und der Architekt Schweitzer an einer Ecke eine Prachtvilla von 1873 abreißen ließ (abreißen konnten die Stuttgarter nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg) entstand das Viertel, zu dem dieser Spaziergang führt. Doch auch schon damals begnügen sich manche Bürgerinnen und Bürger mit einer Etagenwohnung, wenngleich in großzügigem Ambiente, wie die anderen Häuser auf der Route zeigen – die an einem berühmten Brunnen endet.

1. Das hübsche Haus Sonnenbühl

Los geht es an der Haltestelle Heidehofstraße. Wer da auf die Stadtbahn wartet, hat ausgiebig Zeit, dieses charmante Gebäude mit Türmchen, Giebel, Fachwerk und floralen Ornamenten zu bewundern. Entstanden ist das „Mehrfamilienhaus Sonnenbühl“, wie es auf der Liste der denkmalgeschützten Häuser genannt wird, im frisch begonnenen frühen 20. Jahrhundert – 1901/1902.

Das Haus Sonnenbühl, Wagenburgstraße 10. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Den aparten Stilmix aus Historismus, Neo-Renaissance und Heimatstil hat Baurat August Knoblauch (1848-1925) entworfen. In Münsingen Auingen auf der Alb hatte man sich 1911 ein herrschaftlich anmutendes Schulgebäude aus der Entwurfsfeder des Stuttgarter Architekten geleistet.

2. Die Wagenburg Villenkolonie

Vom Haus Sonnenbühl aus geht es links sacht bergab und auf der Höhe vom Bäcker Treiber über die Straße. Auf der Wagenburgstraße wechselt man am besten gleich auf die linke Straßenseite. Dort führt bald ein kleiner steiler Weg namens Am Hohengeren nach oben links ab in das luxuriöses Miniquartier, das den Zweiten Weltkrieg weitgehend überstanden hat. Genannt wurde die Villenkolonie „Die Wagenburg“.

Am Hohengeren 1. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko/Max Kovalenko

Eine Neubausiedlung, die in den Jahren von 1907 bis 1912 erbaut wurde. Anders als heute, wo die Parzellen meist eine gewisse Größe nicht überschreiten dürfen, weshalb man auch im Einfamilienhaus oft genug in Nachbars Küche schauen kann, konnten die Käufer – Kommerzienräte, Kunstmaler, Hofräte, Generäle, Fabrikanten – auch größere Grundstücke erwerben.

Daher entstanden nur zwölf statt wie geplant 22 Gebäude für die betuchten Herrschaften. Auf einer Zeichnung „Willkommen Wagenburg“ ist noch ein Pferd mit Kutsche in die Zeichnung gemalt.

Architekt der kompletten Kolonie war Rudolf Schweitzer, der als Bauunternehmer und Architekt auftrat. Später sollte er ganz in der Nähe ein Haus im Bauhaus-Stil planen (in der Gerokstraße 75 im Jahr 1929 für den Staatspräsidenten a.d. Hermann von Gunzert), damals aber war Historismus, das rückwärtsgewandte Spiel mit alten Baustilen, in Mode.

Und so schauen die Villen der Wagenburg aus. Sichtmauerwerke mit Walmdach, Erker mit Glockendach. Repräsentativ, detailverliebt, wertig, wie es in der Architektensprache heißt. So wollte das gehobene Bürgertum damals leben – beliebt sind die Gründerzeitbauten bis heute. Die Häuser mit den Nummern 1, 3, 6, 7, 9 und 12 stehen unter Denkmalschutz.

Villa Am Hohengeren 3. Foto: Golombek

Im dreistöckigen Haus Nummer 1 wohnte ein Kommerzienrat namens Max Speidel, heute sind Architekturbüros am Klingelschild zu finden. Nachbar im Haus 3 war ab 1912 ein preußischer General der Infanterie aus Posen namens Leopold Hentschel von Gilgenheimb (1845-1919) gemeldet, im Ersten Weltkrieg zog er als Kommandierender General in die Schlacht, ein Kaufmann wurde dann 1916 als Besitzer geführt. Heute ist helles Lachen aus dem Haus zu hören – neben Architekturbüros ist ein Kinderladen im Haus.

Am Hohengeren 6. Foto: Golombek

Schriftsteller und Hofrat Otto F. Hoppe wohnte im 1909 erstellten Haus Nummer 6, das mittlerweile etwas in die Jahre gekommen ist, aber immer noch pittoresk wirkt mit seinen verschieden großen Dächern und den Schindeln an der Fassade.

In der Villa Nummer 7 mit dem hübschen Mansardenwalmdach und der kleinen tiefen Terrasse, 1909 gebaut, hatte es der Architekt mit einer Bauherrin zu tun, Leonie Brauer, Ehefrau des Fabrikanten Hermann Brauer, hat Christine Breig für ihr Buch „Der Villen- und Landhausbau in Stuttgart 1830-1930“ recherchiert.

Villa Am Hohengeren 9. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Im Haus Nummer 9 wurde nach dem zweiten Weltkrieg der Rowohlt-Verlag neu gegründet, danach hatte eine Werbeagentur dort ihren Firmensitz. Heute kann man das Haus sogar gelegentlich von innen bewundern, es gehört dem Verein „Psyche e.V.“ und präsentiert eine Dauerausstellung (geöffnet dienstags bis sonntags und an Feiertagen von 14.30 bis 18 Uhr).

Das Haus Nummer 12 mit dem Beinamen „Villa Magirus“ verfügt auch noch über Aussichtslage, es ist weiter oben angesiedelt. Es logiert da der der Beamtenbund Baden-Württemberg, erbaut wurde es allerdings für den Generalleutnant Adolf von Magirus (1861-1945). Er war unter anderem Chef der Armeeabteilung des Württembergischen Kriegsministeriums von 1914-1917.

Villa Magirus, Nummer 12. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Welches Gebäude einem am sympathischsten ist, kann man beim Rundgang selbst entscheiden. Zu sehen ist da auch, dass da, wo neu gebaut wurde, die Ergebnisse nicht immer architektonisch glanzvoll gerieten. Es gibt aber auch ein Mehrfamilienhaus mit Flachdach, sodass in der feinen Siedlung auch weniger betuchte Menschen wohnen können.

3. Villa Hauff

Wieder zurück auf der Wagenburgstraße geht es in Richtung Innenstadt. Da taucht ein Gebäude auf, das man schon sieht, wenn man im Kessel den Blick nach oben richtet.

Villa Hauff, Gerokstraße 7 Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Architekt war ein überaus fleißiger Baumeister, der beispielsweise die Siedlung Ostheim und auf dem Killesberg eine Villenkolonie im Schwarzwaldhausstil geplant hat. Karl Hengerer (1863-1943) also hat gemeinsam mit Richard Katz das Haus für Friedrich Hauff (1863–1935) entworfen.

Richard Katz war ein 1871 in Berlin geborener Architekt, der in den 1930ern wieder in Berlin lebte. Katz und seine Ehefrau Herta wurden von den Nationalsozialisten ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Er starb 1944 dort, sie wurde in Auschwitz ermordet; ein Stolperstein vor dem letzten Haus, das sie in Dallgow-Döberitz (Brandenburg) bewohnten, erinnert an ihr Schicksal.

Auch dem Haus erging es zwischenzeitlich schlecht: Hauff starb 1935, die Stadt Stuttgart kaufte das Gebäude. 1939 beschlagnahmte die NSDAP das Haus für einen SS-Stützpunkt. Nach dem Krieg wurde es besser – 1945 war zeitweise das US-Konsulat untergebracht. 1953 folgte das Jugendhaus Ost, seit 1985 das heute bestehende Werkstatthaus

In politisch noch hellerer Zeit arbeiteten Katz und Hengerer bei mehreren Stuttgarter Projekten zusammen. Die Architekten entwarfen die repräsentative Villa Hauff 1903/1904 mit dem steilen Satteldach, das Mehrfamilienhaus Sonnenbühl stand da bereits. Märchenhaft wirkt sie, mit verschieden hohen Gebäudeteilen, dem Mauerwerk und Fachwerk, Türmchen, Bogenfenstern.

Der Name hat aber nichts mit dem Dichter zu tun, sondern mit Friedrich Hauff (1863–1935), dem Seniorchef einer Chemiefabrik. Der Fabrikant galt als Pionier der fotochemischen Industrie und war mit der Hautevolee der Stadt befreundet, unter anderem mit Gottlieb Daimler und dem ganz in der Nähe in der Heidehofstraße wohnenden Robert Bosch.

Gehört dazu: Garage mit Chauffeurshaus in der Wagenburgstraße 13. Foto: Golombek

Das Haus entstand auf einem Areal, das der Familie gehörte. Zuvor befanden sich dort Weinberge sowie ein alter Steinbruch. Hauff fuhr als einer der ersten Stuttgarter mit einem eigenen Automobil durch die Stadt, weshalb die noch erhaltene Garagengebäude samt Chauffeurswohnung in der Wagenburgstraße 13 ebenfalls unter Denkmalschutz steht.

Futuristisch mobile Fortschrittslust trifft auf baulich rückwärtsgerichtete Vorlieben und eine Liebe zu Traditionen: Architekturstudierende, die den Burgenstil kennenlernen wollen, sind an der Adresse richtig. Neben mittelalterlichen Architekturformen finden sich diverse andere Stilrichtungen, Jugendstil und Historismus etwa.

4. Mehrfamilienpalast Hummel und Förstner

Nun gilt es, bergab und um die Ecke zu biegen und auf die gegenüberliegende Seite zu schauen, wo man ein sich um eine Kurve windende Gebäude bestaunen kann, das entstand 1907, also nach der Villa Hauff.

Ums Eck gebaut: Mehrfamilienhaus in der Haußmannstraße 22. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Auch noch repräsentativ und eine gute Adresse war das Mehrfamilienhaus in der Haußmannstraße 22, von den Architekten und Architekturprofessor Clemens Hummel (1869-1938) und Ernst Förstner (1891-1914) entworfen.

Die beiden haben auch repräsentative Villen weiter oben in der Richard-Wagner-Straße geplant. Hummel selbst wohnte übrigens in den 1930ern in einem von ihm selbst entworfenen Haus im Bauhaus-Stil. Dieses repräsentative und denkmalgeschützte Mehrfamilienhaus ist aber noch der deutschen Neo-Renaissance verpflichtet, lange Zeit logierte hier das Ungarische Kulturinstitut.

5. Königlicher Galatea-Brunnen

Weiter gehts bergab in Richtung Eugensplatz, an der Haußmannstraße 1 entlang. Dieses Haus ist weltberühmt in Stuttgart. Loriot wohnte einige Jahre darin. Auch am Eugensplatz war vermutlich schon jeder Mensch in Stuttgart, der eine Eistüte (von der Eisdiele Pinguin) in der Hand halten kann.

Galateabrunnen unterhalb des Eugensplatzes. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Es lohnt, die Treppen hinunterzusteigen, dort nämlich befindet sich der Galateabrunnen mit der Bronzefigur der Meeresnymphe Galateia auf der Sandsteinstele, zu ihren Füßen finden sich unter anderem Meereswellen, Seetang und Fische. Stuttgart liegt halt doch am Meer, zumindest in der Bildhauerkunst.

Entworfen wurde die Brunnenanlage 1889/1890 von den Architekten und Bildhauer Otto Rieth (1858-1911) und von dem Erzgießer Paul Stotz (1850–1899). Lustigerweise hatte Rieth im Wettbewerb nur den dritten Platz errungen, gewonnen hatten die Stuttgarter Architekten Ludwig Eisenlohr und Carl Weigle mit dem Münchner Bildhauer Wilhelm von Rümann.

Die Figur der Galatea, einer Nymphe aus der griechischen Mythenwelt, wurde von Königin Olga gestiftet. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Doch die Anregerin des Preises, Königin Olga Nikolajewna Romanowa, Ehefrau von König Karl von Württemberg, setzte sich über das Votum zum öffentlich ausgeschriebenen Gestaltungswettbewerb hinweg. Immerhin unterstützte die Königin den Bau mit einer großen Spende, finanziert wurde der Brunnen aber durch eine Geldsammlung des Vereins zur Förderung der Kunst.

Der Galatea-Brunnen ist das älteste Bauwerk dieses Spaziergangs. Womöglich sind die Architekten Hengerer, Katz, Knoblauch, Hummel, Förstner und Schweitzer manchmal aus der Stadt nach oben spaziert, um den Fortschritt ihrer Bauarbeiten zu betrachten und haben kurz auf der Treppe am Brunnen verschnauft.

Info zum Spaziergang

Strecke
Der Spaziergang ist 1,3 Kilometer lang und führt leicht bergab.

An- und Abfahrt
Zu erreichen ist die erste Station mit der Stadtbahnlinie 15 – Haltestelle „Heidehofstraße“. Nach dem Spaziergang entweder zu Fuß hinunter in die Innenstadt oder mit der Stadtbahnlinie 15 an der Haltestelle „Eugensplatz“ einsteigen.

Einkehren
Proviant ist vermutlich nicht wirklich nötig bei dem kurzen Weg. Doch bei Hunger und Durst kann kann man im Bio-Restauant „Lässig“ (Gerokstraße 12) einkehren, der Bäcker „Treiber“ (Gerokstraße 10) verkauft Brot, Brezeln und Kuchen, Getränke bietet auch ein kleiner Kiosk nebenan an. Am Eugensplatz gibt’s Eis in der Eisdiele „Pinguin“ und eine Einkehrmöglichkeit ist auch die Café-Bar „Apotheke“ in der Haußmannstraße 1.

Geeignet für
Menschen, die gerne versteckte Winkel in der Stadt entdecken und von oben herab auf die Stadt schauen.