Goldene Bänder, Olympiadörfer, kühne Türme – wir stellen ehrgeizige und überkandidelte Stuttgarter Bauten vor, die nie realisiert wurden. Warum die Projekte scheiterten, zeigt unser Überblick in Text und Bild.
Was für schöne, hässliche, aber auch absurde Luftnummern – vom Bau eines Goldenen Bandes bis zum Abriss des Stuttgarter Bohnenviertels haben sich Planer und Architekten in Stuttgart interessante Gedanken zu einer lebenswerteren Stadt gemacht. Warum nichts daraus wurde, zeigt unser Überblick von sechs Projekten.
1. Der Trump Tower
Stuttgart sei eine reiche Stadt, heißt es gern. Das kann man nur bestätigen. Tatsächlich ist die Landeshauptstadt reich an Bausünden und architektonischem Irrsinn. Zu den peinlichsten Possen gehört aber sicherlich der wahrhaftig geplante Wolkenkratzer auf dem Pragsattel vor bald 25 Jahren: der „Trump Tower“. Tatsächlich stand der amtierende US-Präsident hinter dem Projekt, auch wenn er persönlich nie in dieser Stadt gesichtet wurde.
Donald Trumps Mann für dieses Projekt war Hans Ulrich Gruber, damaliger Vorstand der TD Trump Deutschland AG, mit von der Partie war der im Gesundheitsimmobiliensektor tätige Unternehmer Ulrich Marseille. Zu Beginn der Jahrtausendwende trieben Gruber und Marseille deutschlandweit die Vermarktung eines Hochhaus-Projekts, des sogenannten „Trump Towers“, voran.
Als Standorte wurde neben Frankfurt und Berlin schließlich auch Stuttgart auserkoren, wo die Idee partiell auf helle Begeisterung stieß, besonders beim damaligen OB Wolfgang Schuster. Im Oktober 2001 wurde dann ein Entwurf des bekannten Hamburger Architekten Peter Schweger der Öffentlichkeit präsentiert – in der Staatsgalerie. Schweger verfügte über eine fachliche Expertise beim Entwurf von Hochhäusern, kurz vor der feierlichen Bekanntgabe der Trump-Tower-Pläne für Stuttgart war der Main Tower in Frankfurt fertiggestellt worden.
Für die baden-württembergische Landeshauptstadt wünschten sich unter anderem der Oberbürgermeister, die Investoren sowie das Architekturstudio einen alles überragenden Hochglanzturm: mehr als 50 Stockwerke sollte der Turm bekommen, und mit mehr als 220 Metern Höhe hätte der Trump Tower sogar den Fernsehturm übertroffen.
Schicke Shoppingwelten, luxuriöse Wohnungen, ein feines Restaurant – das Bling-Bling-Konzept ist hinreichend bekannt. Doch warum ausgerechnet auf dem Pragsattel? Und dann auch noch in einem präpotenten Wolkenkratzer, in einer Stadt mit dieser Kessellage?
Nur gut, dass der Gemeinderat rechtzeitig Zweifel an dieser gigantischen Luftnummer hegte, schließlich schien die Finanzierung des neuen „Wahrzeichens“, von dem der OB träumte, zu keinem Zeitpunkt seriös gesichert. Das Projekt wurde 2003 vom Stuttgarter Gemeinderat endgültig beerdigt. Ein Glück.
2. Bohnenviertel wird zum Technischen Rathaus
Das Bohnenviertel als Stadtgebiet lässt sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen, denn damals errichtete man entlang der Kanal- und Weberstraße eine Stadtmauer, um sich gegen die Angriffe der Freien Reichsstädte zu verteidigen. Seit 1604 ließ Herzog Friedrich auf der Stadtmauer kleine Häuschen errichten.
An ihnen wurden Bohnen gepflanzt, die dem Areal die Bezeichnung ,,Bohnenviertel“ eintrugen. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das von Weinbauern und kleinen Handwerkern bewohnte Gebiet von Bauwerken verschiedenster Stile geprägt: Von dem der Gründerzeitjahre bis hin zum Jugendstil.
Bereits in den späten 1930er Jahren gab es Pläne, einen Teil der Vorstadt abzureißen und nach dem Vorbild der Stadt Frankfurt am Main durch ein sogenanntes „Technisches Rathaus“ zu ersetzen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte dies jedoch. Mitte der 1960er Jahre wurden die Vorkriegsplanungen für das Technische Rathaus wiederaufgenommen und 1970 ein städtebaulicher Wettbewerb für die Überbauung durch ein Behördenzentrum ausgeschrieben.
Anders als bei den früheren Planungen war nicht mehr ein reines Verwaltungsgebäude gewünscht, sondern eine Mischung von Büros, Läden, Wohngeschossen und Tiefgarage. Die Arbeiten der Architekten Rainer Zinsmeister und Giselher Scheffler sowie Roland Ostertag wurden jeweils mit einem ersten Preis bedacht.
Allerdings wurden sie nicht umgesetzt. Baubürgermeister Hansmartin Bruckmann, der 1974 sein Amt antrat, betonte 2014 in einem Interview, dass es bereits damals „eine unmögliche Vorstellung geworden sei, das Bohnenviertel platt zu machen. Diese Zeit war vorbei.“
Nach Bekanntwerden der Wettbewerbsentwürfe hatte sich eine Bürgerinitiative gebildet, deren Ziel es war, das Gebiet in seiner ursprünglichen Struktur als typisches innerstädtisches Viertel zum Wohnen und Arbeiten zu erhalten.
Doch nicht nur damals war man froh über diese Entscheidung – auch später und noch heute feiert man die Einsicht, das Viertel erhalten zu haben. Auch der kürzlich verstorbene Baubürgermeister Matthias Hahn, der von 1996 bis 2015 im Amt war, sagte: „Als die Stadtflucht in den 70er Jahren besonders dramatisch war, hat der Gemeinderat ein politisches Signal gesetzt und auf den Bau des Technischen Rathauses im Bohnenviertel verzichtet“.
3. Sobeks Stege über die B14 bei der Stuttgarter Oper
Erst in die Stadt hineingebolzt, jetzt weiß man nicht mehr, wie man sie loswerden soll – die Stadtautobahn der Konrad-Adenauer-Straße. Auf der einen Seite Kunstgebäude, Oper, Schauspiel, auf der anderen Staatsgalerie, Landesbibliothek, Musikhochschule, Haus der Geschichte, Staatsarchiv, Stadtpalais. Wer von hüben nach drüben will, marschiert durch die Unterführung oder steht an einer der Ampeln und atmet ordentlich Abgase ein, bis die Stadtautobahn überquert ist.
Einen „futuristischen“ Vorschlag für einen in der Luft schwebenden Übergang bei der Oper, der nie realisiert wurde, hatte der Architekt und Ingenieur Werner Sobek gemacht, wie Achim Wörner, Redakteur dieser Zeitung, im Jahr 2001 schrieb: „Demnach würde die B14 regelrecht überbaut.“ „,Die ursprüngliche Schneise‘“, so zitierte er Sobek, „würde auf diese Weise ,zum Anziehungspunkt‘.“ Klingt heute immer noch nach einem Plan. Der Gemeinderat lehnte ihn 2002 ab.
Nicht nur nicht umgesetzt wurde der Plan, zusätzlich wurde 2006 der Wilhelm-Hoffmann-Steg zwischen Landesbibliothek und Akademiegarten abgerissen. Auch Sobeks Vorschlag einige Jahre später für ein „goldenes Band“, eine Art kühner Steg, der die B14 überbrückt, kam bei einigen Politikern (dem aktuell amtierenden Ministerpräsidenten) in einer Straßenumfrage im Jahr 2017 bei den Menschen gut an.
„Ich finde dieses goldene Band echt cool. Es sieht sehr gut aus, ist originell und innovativ“, sagte eine damals 20 Jahre junge Auszubildende zu dem elegant geschwungenen Steg: „Kein Wunder, Werner Sobek ist ja auch ein international anerkannter und interessanter Architekt. Es macht den Passanten sicher mehr Spaß, die B 14 auf diesem filigranen Steg zu überqueren als bisher auf dem Fußgängerüberweg.“ Die Entscheider sahen es anders. Schade eigentlich.
4. Das olympische Dorf
Das Nationale Olympische Komitee suchte 2002 die Superolympiastadt für die Spiele 2012. Es fand in Hamburg, Leipzig, Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart fünf Kandidaten, die zu Ruhm und Ehre kommen wollten.
Stuttgart bastelte unter anderem ein Konzept der „kurzen Wege“. Das Herz der Spiele sollte auf dem Cannstatter Wasen schlagen, der sich in den „Olympiapark“ verwandelt hätte. Im Olympiastadion, in drei Sporthallen, einer Schwimmhalle und auf dem Radkurs sollen „44 Prozent aller Entscheidungen fallen“.
Unmittelbar neben dem Wasen plante man auf dem 22 Hektar großen Gelände des Güterbahnhofs das olympische Dorf für 16 000 Athleten, Trainer und Betreuer. Hier hatte sich die Stadt am weitesten vorgewagt, indem sie schon im Jahr 2001 das ehemalige Güterbahnhofareal kaufte.
40,6 Millionen Euro war damals Oberbürgermeister Wolfgang Schuster der Traum von einem schmucken olympischen Dorf wert. Die Athletenunterkünfte sollten sich in bis zu sieben Stockwerke hohen Gebäuden befinden. Der Lärmschutz war schon damals ein Thema: Die Wohnungen sollten durch Service- und Infrastruktureinrichtungen „gegenüber den belebteren Olympiabereichen abgeschirmt“ werden.
Eine sogenannte Prüfungskommission vergab Noten für die Konzepte. Hamburg war Erster, Stuttgart Letzter. Dieter Graf Landsberg-Velen, Chef der Bewertungskommission, sagte damals: „Wir haben fünf Städte, die Olympische Spiele austragen können!“ Dies habe die Bewertung gezeigt, „und alle haben ein glänzendes Ergebnis vorzuweisen“, sagt er. „Sehr gut, kaum besser machbar“ oder gar „hervorragend, nicht besser machbar“, mit diesen Prädikaten adelte der Bericht die fünf Städte. Doch es blieb bei allen schönen Worten eine Absage an Stuttgart.
5. Turnhalle statt Markthalle
Vielen gilt die Stuttgarter Markthalle an zentraler Stelle vis-à-vis des Alten Schlosses als das eigentliche pulsierende Herz der Stadt, gleichgültig, woher sie gerade hergezogen sind oder ob sie immer noch hier wohnen.
Doch die Wertschätzung erfuhr das Gebäude längst nicht immer. 1971 war es, da wurde die Markthalle als „wirtschaftlich unrentabel“ erachtet und sollte weichen: für ein „multifunktionales Zentrum“. Unfassbar.
Am Ende wurde es knapp: Mit einer Stimme Mehrheit entschied sich der Gemeinderat gegen den Abriss und den Neubau einer Mehrzweckhalle. Eine Opposition aus Hallenstandeignern, engagierten Bürgern, Denkmalschützern und Journalisten der ansässigen Zeitungen brachte ein Umdenken.
Ein Jahr später erst wurde die Markthalle unter Denkmalschutz gestellt. Ein weiser Entschluss, denn der Stuttgarter reißt bekanntlich gern ab, lange nach dem Krieg, mit Vorliebe die erhaltenswerten Bauten, Respekt vor großen Namen kennt er dabei nicht.
Apropos Name: Die Markthalle wurde von Martin Elsaesser entworfen, sie nimmt sowohl in der städtischen Baugeschichte als auch im Schaffen des leider immer noch oft unterschätzten Architekten einen prominenten Platz ein.
Der gebürtige Tübinger Elsaesser arbeitete seit 1905 als freier Architekt noch ganz im Geiste seines Lehrers Theodor Fischer im ganzen süddeutschen Raum, konnte dann vor allem im Bereich des Kirchenbaus reüssieren, und erschuf noch in relativ jungen Jahren mit der Stuttgarter Markthalle im Jahr 1914 eines seiner frühen Hauptwerke, man könnte auch sagen: sein Meisterwerk.
Die Markthalle ist von außen betrachtet ein schöner, mit Jugendstilelementen versehener Bau, keine Frage. Doch erst im eindrucksvollen Innenraum offenbart das Gebäude seine damals hochmoderne Tragkonstruktion, die ein einzigartiges Raumgefühl kreiert. Bis heute erfüllt es den Wunsch des Architekten Elsaesser, einen „Marktraum zu schaffen, den das Publikum mit Freuden betritt“. Welche Banausen konnten jemals daran denken, dieses städtische Juwel zu vernichten?
6. Trabantenstadt am Rande Stuttgarts
Nicht nur heute herrscht Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Dörfer aus Beton wie in Neugereut oder die Drei-Scheiben-Hochhaus-Stadt Asemwald entstanden in den 1970ern. In den 1990er Jahren stand in unserer Zeitung zu lesen: „Obwohl 1992 nahezu 3000 neue Wohnungen bezugsfertig wurden, gibt es einen Fehlbedarf von 26 000 Wohnungen, der bis zum Jahr 2000 auf 30 000 wachsen wird.“
Die Stuttgarter Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft (SWSG) und die Landesentwicklungsgesellschaft Baden-Württemberg (LEG) setzten sich 1992 mit der Stadt Stuttgart ins Benehmen. Man schrieb einen Realisierungswettbewerb für das „Projekt Viesenhäuser Hof“ in Stuttgart-Mühlhausen an der Gemarkungsgrenze zu Kornwestheim aus. Wohnungen für rund 10 000 Menschen sollten dort entstehen.
In dem Ideenwettbewerb 1991 hatte das Architekturbüro Herzog & de Meuron dies als Plan vorgeschlagen: „Die gegebene Topografie nutzen. Häuserzeilen zeichnen das Gelände nach wie Höhenlinien, sie bilden eine Art künstliche Natur, vergleichbar architektonischen Strukturen von Reisfeldern, Rebbergen, Olivenhainen oder von alten, traditionellen Stadt- und Dorfanlagen in hügeligen Landschaften.“
Kornwestheims Oberbürgermeister Ernst Fischer war nicht überzeugt. Auf die Realisierungspläne 1992 reagierte er prompt: „OB Fischer verwies erneut darauf, dass Kornwestheim sich gegen eine Trabantenstadt wehren werde“, hieß es am 31. Januar 1992 in den Stuttgarter Nachrichten.
Naturschützer wie Landwirte opponierten ebenfalls gegen das Projekt, das schließlich auch aus Geldnot eingestellt wurde, wie Ende 1995 in der Zeitung zu lesen war. Einziges sichtbares Ergebnis waren die über tausend Jahre alten 140 Grabfunde, die im Zuge der Planung bei einer archäologischen Untersuchung im Ackerboden sichergestellt wurden.
Bilder und Pläne von den Luftnummern finden sich in der Bildergalerie.