Die Weißenhofsiedlung Foto: Rudel/Archiv

Vom Welterbe-Architekten Le Corbusier ausgehend, mahnt der Planungsbeirat neue Wege der Wohnungspolitik an.

Esslingen - Man kann Le Corbusier auch kritisch beurteilen. Doch nun sind von dem Architekten vor fast genau einem Jahr 17 seiner Bauten auf drei Kontinenten ins Weltkulturerbe aufgenommen worden, darunter die zwei Häuser der Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Und Friedemann Gschwind, Mitglied im Esslinger Planungsbeirat und lange Zeit Vorsitzender des Bürgerausschusses der Pliensauvorstadt, hat den Antrag wesentlich mit formuliert.

Was wir heute noch von der Weißenhofsiedlung lernen

Da sollte man nicht kleinlich sein, sondern lieber den Schwung, den die Ehrung mit sich bringt, nutzen, um danach zu fragen: Was können wir heute noch von der Weißenhofsiedlung lernen? Genau das hat der Planungsbeirat getan und zu Vorträgen und einer Diskussion in die Volkshochschule Esslingen eingeladen, wo eine kleine Ausstellung bis zum 28. Juli die 17 Weltkulturerbe-Bauten Le Corbusiers vorstellt. Gschwind machte selbst den Anfang und stellte in seiner Präsentation alles Wissenswerte zum Weltkulturerbeantrag, der zweimal überarbeitet werden musste und heute als vorbildlich gilt, sowie zur Weißenhofsiedlung und Le Corbusier zusammen.

Was den Architekten auszeichne, sei an erster Stelle seine Internationalität. Gschwind stellte einige der Bauten vor, von Argentinien bis Japan, von der Unité d’habitation bei Marseille bis nach Chandigarh, der Hauptstadt des indischen Punjab. Den Bezug zur Gegenwart stellt er so her: In der Weißenhofsiedlung ging es ums Wohnen. Heute sei es eine dringende Aufgabe, für ein ausgeglichenes Wohnungsangebot zu sorgen.

Kommunen stehen beim Wohnungsbau in der Verantwortung

Dies war eine Steilvorlage für Christina Simon-Philipp, als Professorin der Stuttgarter Hochschule für Technik Expertin auf diesem Gebiet. Sie schlug einen weiten Bogen von Eduard Pfeiffer, dem Gründer des Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, bis zum Rückgang des Sozialwohnungsbaus in den letzten Jahrzehnten und vom „roten Wien“, das weit mehr als 200 000 Wohnungen selbst besitzt, bis zum derzeitigen „Nadelöhr“ in der Region: Der Mangel an bezahlbaren Grundstücken macht es selbst den Genossenschaften schwer, Abhilfe zu schaffen. Ihr Fazit: Es sei dringend notwendig, den sozialen Wohnungsbau wieder zu stärken, und die Kommunen stünden in der Verantwortung.

Damit direkt angesprochen, wollte sich Daniel Fluhrer, der Planungsamtsleiter der Stadt Esslingen, nicht in eine Verteidigungshaltung drängen lassen, sondern lieber eigene Vorstellungen formulieren. Esslingen habe keine Flächenvorsorge betrieben, meinte er, die Stadt lebe, was die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum angeht, „von der Hand in den Mund“. Die Immobilienpreise (insbesondere von Eigentumswohnungen) seien in vier Jahren um 40 bis 50 Prozent gestiegen. Fluhrer sieht zu viele Regelungen und zu wenig Mut und Weitsicht am Werk und macht sich angesichts eines Defizits von bundesweit einer Million Wohnungen, das jährlich um weitere 70 000 anwächst, große Sorgen.

Hoffnungen ruhen auf der Bauaustellung IBA in Stuttgart

Fluhrer regte dann an, freibleibende Grundstücke von Jahr zu Jahr exponentiell höher zu besteuern. Gschwind meinte, „nach dreißig Jahren Politikversagen“ habe ein Umdenken immerhin begonnen. Simon-Philipp betonte die wichtige Rolle der Genossenschaften – und der Baugemeinschaften, die zwar „nicht die große Masse bringen“, dafür aber neue Wohnmodelle entwickeln. Fluhrer verwies auf das „Esslinger Modell“: In der Pliensauvorstadt hat die Esslinger Wohnbau GmbH Baugemeinschaften Grundstücke zur Verfügung gestellt.

Alle Diskutanten waren sich bei der Podiumsdiskussion in der VHS einig, dass die Internationale Bauausstellung (Iba) Stuttgart und Region, 2027 zum 100. Geburtstag der Weißenhofsiedlung geplant, als Chance genutzt werden müsse, um auch jenseits viel zu enger Bauvorschriften weiter zu experimentieren. Ob dies nicht zu spät käme, wollte Moderator Peter Zürn wissen. Es sei nie zu spät, hielt dem Christina Simon-Philipp entgegen. Nur brauche die Iba ein klares Thema.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version hatten wir geschrieben, die Grundstückspreise seien um 40 bis 50 Prozent gestiegen, tatsächlich bezog sich die Preissteigerung aber auf Immobilien, genauer Eigentumswohnungen. Außerdem stand im Text, Daniel Fluhrer rege dazu an, Immobilien höher zu besteuern. Das war ein Missverständnis. Fluhrer forderte eine Besteuerung von freibleibenden Grundstücken und nicht die von Immobilien.