Drei Tage lang brannte das Alte Schloss im Jahr 1931 bis zur Baufälligkeit nieder. Während des Weltkriegs wurde die Wiederaufbau erneut zerstört. Foto: Achim Zweygarth

Zwei Buchautoren erzählen die Geschichte des Städtebaus von seinen Anfängen bis heute. Sie teilen die Mitte in 14 Viertel. Die meisten gibt es amtlich nicht.

S-Mitte - Die Lektüre hinterlässt zwei Fragen, eine ernst zu nehmende und eine rhetorische: Welche Pracht wäre in Stuttgarts Zentrum zu bewundern, hätte es die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben? Nahezu jedes stadtgeschichtlich bedeutsame Haus wurde während der Bombennächte in weiten Teilen oder vollständig vernichtet. Und: wird das noch gebraucht oder kann das weg? Gemäß diesem Leitsatz ließen die Herrscher vergangener Tage die Stadt bauen, ausbauen und immer wieder umbauen. Das Bewusstsein für Architekturgeschichte scheint eine Erscheinung der Neuzeit.

Derlei Erkenntnisse lassen sich gewinnen aus einem Buch des Denkmalschützers Herbert Medek und der Fotografin Andrea Nuding. Die beiden versuchen zuvorderst, den Blick auf bis heute erhaltene Schönheiten der Architektur im Stadtzentrum zu lenken – und öffnen dabei das Auge für im Vorübergehen vielfach Verschmähtes.

Die Autoren zählen 14 Stadtquartiere im Zentrum

In 14 Stadtquartiere haben die Autoren die Stadtmitte unterteilt, zuzüglich einiger Ränder. Das Bohnen- oder Hospital-, das Gerber- oder das Leonhardsviertel dürften so gut wie jedem Leser gängige Begriffe sein, obwohl sie aus amtlicher Sicht keine Daseinsberechtigung haben. Offiziell unterteilt sich die Stadtmitte in zehn Stadtteile, die so klingende Namen tragen wie Rathaus, Neue Vorstadt, Dobel oder Diemershalde. Amtlich existieren nur das Kerner- und das Heusteig- sowie seit jüngerer Vergangenheit das Europaviertel. Meding und Nuding identifizieren auch ein Schlösser- oder ein Kulturviertel.

Bemerkenswert an ihrem 300 Seiten starken und reich bebilderten Buch ist zunächst dessen äußere Qualität. Mattglänzendes Papier in festem Einband gönnt der herausgebende Silberburg-Verlag seinen Autoren selten. Anders wäre dieser niedergeschriebene Spaziergang von den Ursprüngen der Stadt bis hinein in die aktuellsten Entwicklungen aber schwer denkbar. Dass jemand jene 300 Seiten am Stück liest, dürfte die Ausnahme sein. Dass jemand ihren Inhalt nach der ersten Lektüre verinnerlicht, ist schier unmöglich. Es dürfte eher als Nachschlagwerk dienen, das immer wieder zur Hand genommen wird. Dafür taugt keine nachlässig geklebte Kladde.

„Ein stadtgeschichtlicher Streifzug durch die Viertel der Stuttgarter Innenstadt“ lautet der Untertitel – treffenderweise. Am Wegrand dieses Streifzugs sind etliche Details zu finden, gelegentlich zu viele. Dass ein Architektenwettbewerb ausgelobt wurde und wer ihn gewann, gilt zumindest Interessierten als wissenswert. An welchem Datum er entschieden wurde und wie viele Büros sich beteiligten, zählt aber gewiss zum Spezialwissen. Gelegentliche Detailversessenheit bleibt aber der einzige Kritikpunkt.

Die Autoren unterhalten nicht, sie informieren

Wohl ist das Buch ein Spartenprodukt für städtebaulich und architektonisch Interessierte. Anekdoten bleiben rar, die Autoren unterhalten nicht, sie informieren. Erfahrenswertes haben sie allemal niedergeschrieben. Dass das Alte Schloss im Grunde seit den 1930ern nicht mehr das Alte Schloss ist, gehört dazu. 1931 verwüstete ein drei Tage loderndes Feuer das historische Herrscherhaus. Den Wiederaufbau zerstörten später die Bomben. Ähnliches gilt für das Wilhelmspalais. Aus Sicht des Denkmalschutzes wäre es im Grunde nicht erhaltenswert. Original sind nur noch die Außenmauern. Das Innere wurde gleichsam hinter die Fassade gestülpt.

Das Alte Schloss hätte schon lang zuvor seinen Vornamen verlieren können. Es missfiel Herzog Karl Eugen, der einen moderneren Wohnsitz forderte. Um zu sparen, sollte es im zeitgemäßen Stil umgebaut werden. Stattdessen wurde der Bau des Neuen Schlosses begonnen, aber Großprojekte konnten schon damals länger dauern. Die Arbeit begann 1752, sie endete 1806 – damit erst nach dem Tode des Herzogs. Was aber keine Rekordverzögerung war. Am Prinzenbau wurde von 1605 an gar mehr als 100 Jahre gearbeitet.

Der Fruchtkasten gehört zu den Beispielen dafür, dass die Regenten wie die Bauherren historischer Zeiten wenig Respekt vor den Leistungen ihrer Vorgänger zeigten. Entstanden in der Spätgotik, wurde das Haus 200 Jahre nach seiner Fertigstellung um fünf Meter gekürzt. Eine Renaissancefassade ersetzte die originale. Die Bauten des heutigen Märchenviertels um den Hans-im-Glück-Brunnen – teilweise im Mittelalter entstanden – wurden Anfang des 20. Jahrhunderts gleich vollständig abgeräumt, eines Problemes wegen, das noch immer ungelöst ist: um die Wohnungsnot zu lindern.