Martin Bez wählt in unserer Reihe „Ein Architekt zeigt seine Stadt“ einen vermeintlich konventionellen Ort: den Innenhof des Alten Schlosses. Doch für ihn ist dieser Platz weit mehr als nur ein Hof, er sei ein „Konzerthaus wie ein Cabrio“.
Ein konventioneller Ort? Nun, förmlich und steif geht es hier keinesfalls zu, als der kanadische Pianist Chilly Gonzales im Juli 2019 bei den Jazz Open die Bühne im Innenhof des Alten Schlosses betritt – natürlich im obligatorischen Morgenmantel und mit den obligatorischen Pantoffeln – und seinen Besuchern „Music is back!“ zuruft. Im Publikum ist auch der Stuttgarter Architekt Martin Bez. Auch zur Eröffnung des letzten Weihnachtsmarktes ist er wieder im Innenhof des Alten Schlosses und lauschte dort seinem Sohn, der im Orchester spielt.
Für Bez ist der Innenhof des Alten Schlosses viel mehr als der Hof eines historischen Gebäudes. „Er ist ein Kulturort, und zwar ein überraschender, da nicht geplant“, sagt er. Bei solchen Gelegenheiten sei das Alte Schloss wie ein „Konzerthaus als Cabrio“, wie eine „Oper ohne Dach“. Bez blickt die Fassade hoch: „Es ist ein intimer Ort, ein sehr dichter, allein schon durch die Steilheit der Wände, mit ihren Arkadengängen.“ Solche Orte, sagt er, gebe es nicht so viele – und natürlich trage dazu auch die alte Bausubstanz bei.
Martin Bez tut sich schwer mit der Architektur in Stuttgart
Aber der Innenhof sei beeindruckender als das Innenleben des Gebäudes. Allerdings sei das Dürnitz, das Museumsfoyer, perfekt. Dieses ist ein offener Treffpunkt für alle mitsamt Café; Bez wählt ihn auch für das Gespräch aus und findet zwei formschöne Sessel am Fenster. Solch ein Ort fehle im Neuen Schloss: „Das ist nicht offen für die Öffentlichkeit, da kommt man als Bürger eigentlich nicht rein, da ist die Atmosphäre durchaus steif.“
Generell tut sich der Architekt, der seit dem Jahr 2001 zusammen mit Thorsten Kock das Architekturbüro bez+kock betreibt, ein bisschen schwer mit der Architektur in seiner Heimatstadt. „Ich habe einen Schweizer Freund, der auch Architekt ist. Wenn er mich besuchen kommt, will der immer gute Architektur in Stuttgart sehen. Aber da etwas zu finden, ist gar nicht so einfach“, sagt Bez. Die John-Cranko-Schule habe er ihm gezeigt, „die ist großartig“. Und den Hospitalhof: „Der ist nicht spektakulär, aber der funktioniert als Institution und ist lebendig.“ Er mag auch die Staatsgalerie – man merke es oft erst nach ein paar Jahren, was gut ist – und das Mercedes-Museum: „Das ist besser als das Porsche-Museum, denn da steckt eine Idee dahinter.“
Seinen Schweizer Freund kennt er noch aus dem Studium. Eigentlich studierte er in Karlsruhe an der Universität. Sein Vordiplom hat er beim renommierten Stuttgarter Architekten und Professor für Architektur Arno Lederer gemacht, der im Jahr 2023 gestorben ist. Danach ging er nach Zürich an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH). „Das war sehr prägend, damals war die Schweizer Architektur sehr prägnant“, sagt er. Später kehrte er zurück nach Karlsruhe, um fertig zu studieren und das Diplom zu erlangen.
Die Architektur wurde Bez nicht in die Wiege gelegt. „Ich habe keinen Architekten in der Familie“, sagt er. In der Schule sei er in allen Fächern ganz passabel gewesen: nirgends besonders herausragend, aber auch nirgends besonders schlecht. Doch dann habe er ein Fernstudium als Bauzeichner gemacht, und „da hat es mich gepackt“.
Martin Bez durfte an der Akademie Mont Cenis in Herne mitplanen
Danach nahm er eine Stelle in Lyon in Frankreich an: „Meine heutige Frau hat damals in Lyon studiert“, erinnert sich Bez. Er arbeitete in dem renommierten Büro Jourda & Perraudin Architectes. Dort übertrug man ihm ein Projekt in Deutschland: In Nordrhein-Westfalen sollte eine Fortbildungsakademie des Innenministeriums in Herne gebaut werden, die Akademie Mont-Cenis. Da das Architekten-Ehepaar zu den ersten gehörte, die auf klimagerechte Architektur setzten, entstand ein großer Wintergarten – über 100 Meter lang –, in dem wiederum einfache Gebäude entstanden. Eine sogenannte Mikroklimahülle kombiniert mit Photovoltaik. Das war damals revolutionär und machte den Bau zu einem Statement, das viele Architekten bis heute beeinflusst. „Wir bringen das Klima von Nizza ins Ruhrgebiet“, sagte Françoise-Hélène Jourda damals.
Ihr Büro hatte ein gutes Gespür für das Material und für Details und ein Faible fürs Bauen mit Naturstein. Auch das beeinflusste Bez, der in dem Jahr seines Aufenthaltes an vielen Wettbewerben teilnehmen durfte. Danach ging er nach Stuttgart, zurück in seine Geburtsstadt. Damals, so sagte er, war es schwierig, einen Job zu finden. Er arbeitete dann bei Kaag+Schwarz Architekten von Werner Kaag und Rudolf Schwarz, das damals ein junges und aufstrebendes Büro war. „Ich habe damals den Entwurf für den Stuttgart-21-Wettbewerb bearbeitet“, sagt Bez. „Unser Vorschlag, den Bahnhof mit einem Feld von Kuppeln zu überdecken, ist vom Preisgericht recht schnell aussortiert worden.“
Zu Christoph Ingenhovens Entwurf sagt er: „Ich glaube, der Innenraum des Bahnhofs wird spannend, vor allem das Moment, wie aus den Stützen Oberlichter werden.“ Ob das Ganze als Bahnhof technisch gut funktionieren wird, das könne er indes nicht beurteilen. „Ich mache mir aber etwas Sorgen darum, was das oben rund um die Lichtaugen herum für ein Ort werden soll. Ich habe da eher Bedenken, dass das gut funktioniert.“ Grundsätzlich glaubt er, dass die Ästhetik gut wird: „Aber der Aufwand ist verrückt. Ich finde, man muss schon über Angemessenheit diskutieren, wenn es nicht mal sicher ist, dass der Bahnhof danach besser ist.“
Bei Kaag+Schwarz war Bez vier Jahre lang. „Dort habe ich auch meinen jetzigen Büropartner kennengelernt, Thorsten Kock. Wir beide haben bei den vielen Wettbewerben dort gelernt, dass wir das, was wir planen, am Ende auch bauen können müssen“, sagt Bez.
Bez+Kock haben inzwischen 70 Mitarbeiter
Dann hätten Kock und er quasi heimlich zu zweit an einem Wettbewerb teilgenommen – und diesen auch gewonnen. „Es ging damals um ein Studentenwohnheim. An dem Wettbewerb hatten sich 430 Architekten beteiligt. Es war märchenhaft, da den ersten Platz zu machen. Das war dann unser Start in die Selbstständigkeit, denn der junge Bauherr damals sagte: ‚Die beiden habe ich rausgesucht, die sollen es auch machen’.“
Im Jahr 2001 haben Bez+Kock ihr Büro gegründet, das seinen Sitz mittlerweile sehr zentral in der Stadtmitte hat. „Am schönsten war es, als wir so zwanzig Leute waren, da kannte man alle und alles besser. Jetzt sind wir rund 70 Mitarbeiter: Wir haben sechs Teamleiter, das ist wie sechs kleine Büros in einem großen“, sagt Bez. Die Aufträge erhält das Büro wir vornehmlich aus gewonnenen Architektenwettbewerben – die Bauten reichen von Konzerthaus und Bibliothek, Stadthalle, Rathaus über die Hochschule bis hin zum Wohnungsbau.
Das Büro ist international tätig. Und der Ort, an dem ein Gebäude entsteht, so Bez, sei enorm wichtig. „Wenn man in Heidelberg baut, muss man mit den roten Sandstein der Gebäude umgehen“, sagt er. In Stuttgart sei es es hingegen der Travertin. Entweder der Bad Cannstatter Travertin, ein mehr oder weniger poröser Kalkstein von heller, meist gelblicher bis brauner Farbe wie er etwa an der Neuen Staatsgalerie Verwendung fand. Oder der Gauinger Travertin, auch Gauinger Kalkstein genannt, der in Gauingen im Landkreis Reutlingen in Baden-Württemberg gebrochen wird. Dabei handelt sich um einen Süßwasserkalkstein.
Auch bei einem aktuellen Projekt des Büros gilt dies zu beachten. Und gleichzeitig müssen sich die Architekten von Bez+Kock gerade bei einem Justizbau mit der Frage auseinandersetzen: Wie altehrwürdig darf es sein? Oder geht auch modern? „Unser Büro ist gerade dabei, zwei Gerichtsgebäude, einfache Nachkriegsgebäude aus den fünfziger Jahren, die mit Gauinger Travertin gebaut wurden, zu sanieren. Dort sollen 17 Gerichtssäle neu entstehen.“
„Photovoltaik muss Teil der Architektur werden“
Die Architekten wollen den Naturstein entfernen, das Gebäude dämmen und eine neue Fassade draufsetzen. In Sockelbereich soll wieder Naturstein kommen, im oberen Bereich „machen wir das Gebäude fit für die nächste Zeit, da werden wir wahrscheinlich eine Photovoltaikfassade anbringen“, sagt Bez. Das sei auch der Wunsch des Bauherren – das Land. „Wir können es uns auch gut vorstellen, das ist dann wie eine Art Glas, weißlich und matt – es soll auf keinen Fall technisch aussehen.“
Jetzt müsse die Genehmigungsbehörde Stuttgart dies nur noch zulassen, denn eigentlich dürfen Fassaden von Hochhäusern nicht brennbar sein. „Aber das Haus wird danach ein Kraftwerk sein. Das ist toll, an so zentraler innerstädtischer Stelle“, sagt Bez, der sowie der Meinung ist, dass „die Photovoltaik Teil der Architektur werden muss und nicht nur auf dem Dach verbaut werden sollte“.
Und was passiert mit der alten Fassade? „Wir werden den alten Stein sichern und eventuell als Dachbelag oder für die Wände eines kleinen Kontrollgebäudes verwenden, das auch gebaut werden soll. Direkt an der Fassade wiederverwenden kann man den Travertin nicht, dazu ist er zu bröselig“, sagt Bez. Er findet die Wiederverwertbarkeit von Materialien und das Bauen im Bestand wichtig. „Das verlangt der Architektur was ab, aber auch dem Bauherren, denn ich kann für Gebrauchtes keine Garantie geben.“
In Baden-Baden habe das Büro an einem Architekturwettbewerb für ein Archivgebäude mitgemacht, das ein großer fensterloser Klotz war. „Wir wollten dann eine Fassade aus gebrauchten Baustoffen anbringen, Stein, Blech, Backstein, eine Art Setzkasten, ein Patchwork. Doch da sind wir gleich rausgeflogen. Da war die Zeit noch nicht reif dafür.“
Es ist indes Zeit zu gehen, das Alte Schloss wieder zu verlassen. Auf dem Rückweg geht es am Dorotheenquartier vorbei. „Mir ist das zu viel Baumasse, unter dem vermeintlichen Dach sind ja noch mehrere Geschosse“, sagt Bez, und fügt hinzu: „Dadurch ist es aber auch eine eher leichte Architektur von Behnisch Architekten.“ Er selbst mag es lieber statisch, rechtwinklig und rational. Das sei so eine Vorliebe, vielleicht, weil das weniger modisch sei, sondern vielmehr zeitlos. Er blickt sich um: „Das ist keine 08/15-Architektur, das ist schon gut, aber es ist ein elitäres Viertel. Man muss seine Schuhe schon putzen, wenn man hier hingeht, da kommt nur eine spezielle Kundschaft hin.“
Am Haus des Königs von England, in dem das Ministerium für Finanzen untergebracht ist, bleibt er wiederum stehen. „Auch dieses ist aus Travertin gebaut, sehr detailliert, mit viel Liebe.“ Bez zeigt auf die Mosaikfliesen, die sich sogar an der Unterseite des Überbaus befinden und bewundert die echte Pfeiler aus Naturstein, die nicht nur verkleidet sind. „Stuttgart hat nicht so viel historische Bausubstanz, da muss man froh sein, um alles, was noch steht.“
So auch um die Markthalle, sagt er. „Ich habe ja mal in Frankreich gelebt, daher meine Liebe für Märkte. Man geht morgens hin und überlegt, was man abends kocht.“ Es ist also gut, dass Bez’ üblicher Arbeitstag nur rund neun Stunden dauert. „Wir wissen schon, wann Schluss ist – das ist unser Geheimnis. Wir arbeiten auch nicht am Wochenende. Das gibt es nicht so oft bei ambitionierten Architektenbüros.“ Es muss ja schließlich Zeit geben, um zu kochen. Oder um auf Konzerte zu gehen.