Wenn die ganze Welt so wirtschaften und leben würde wie Deutschland, bräuchten wir drei Erden. Eine Ressourcenwende beim Bauen ist unumgänglich. Doch wie kann diese Wende aussehen? Ein Gespräch mit Professorin Margit Sichrovsky.
Es braucht neue Strategien für den Einsatz und Umgang mit Ressourcen – vom Material- bis hin zum Flächenverbrauch. Mit ihrem Landeskongress Archikon, der am Dienstag (8. April) auf der Landesmesse Stuttgart stattfindet, nimmt die Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) die Bandbreite an Themen rund um die Ressourcenwende auf. Unter den Diskutantinnen und Diskutanten ist auch Margit Sichrovsky, Mitbegründerin des Berliner Architekturbüros LXSY, das sich dem Feld des zirkulären Planens und Bauens widmet, und Professorin an der Hochschule für Technik Stuttgart. Was sieht Sie für Herausforderungen für die ressourcenschonende Architektur?
Frau Sichrovsky, wie sind Sie darauf gekommen, zirkulär zu bauen? Warum ist das für Sie wichtig?
Wir bei LXSY sehen Architektur als Antwort auf soziale, ökologische und wirtschaftliche Herausforderungen. Unser Ziel ist es, nachhaltig positiven Einfluss auf Gesellschaft, Kultur und Umwelt zu nehmen. Konventionelles Bauen ist für uns keine Option mehr. Deshalb setzen wir auf ressourcenschonendes, zirkuläres Bauen und treiben aktiv den Wandel hin zu einer klimagerechten Bauweise voran, die Ressourcen bewahrt und Müll vermeidet. Angesichts der enormen Abfallmengen der Bauindustrie ist dieser Ansatz unabdingbar.
Was ist bereits erreicht worden, was für Fortschritte gibt es zu verzeichnen?
Das zirkuläre Bauen gewinnt zunehmend an Bedeutung und rückt stärker in den öffentlichen Fokus. Pilotprojekte wie unser Impact Hub Berlin im CRCLR-House, das mit rund 70 Prozent wiederverwendeten, nachwachsenden oder recycelten Rohstoffen realisiert wurde, zeigen innovative Wege auf. Aktuell arbeiten wir an weiteren Projekten – darunter auch für die öffentliche Hand –, um die gewonnenen Erkenntnisse auf Hochbauten zu übertragen. Im Mittelpunkt steht ein neues Denken im Umgang mit Ressourcen: Was ist wirklich notwendig? Können wir Bestehendes weiter nutzen? Diese Fragen treiben nachhaltige Lösungen voran, die auf Materialwertschätzung, Kreislaufwirtschaft und den Erhalt bestehender Bausubstanz setzen. Zirkuläres Bauen ist damit ein entscheidender Schritt hin zu einer verantwortungsvollen, klimagerechten Architektur. Fachlicher Austausch und Weiterentwicklung sind essenziell für diesen Wandel. Veranstaltungen wie der Landeskongress Archikon 2025 fördern den Dialog und treiben die Zukunft des Bauens aktiv voran.
Wo gibt es noch Probleme? Was muss sich ändern?
Trotz seines großen Potenzials steht das zirkuläre Bauen noch vor mehreren Hürden, die eine flächendeckende Umsetzung erschweren. Fehlende politische, baurechtliche und normative Regelungen bremsen den Wandel in der Baubranche. Bis eine verbindliche Standardisierung erreicht ist, erfordert der Prozess einen flexiblen Umgang mit bestehenden Normen sowie ein grundlegendes Umdenken in den Planungsprozessen. Traditionelle, lineare Abläufe müssen durch zirkuläre und iterative Prozesse ersetzt werden, die agiler und anpassungsfähiger sind. Suffizienz bedeutet für uns nicht Verzicht, sondern das bewusste Hinterfragen bestehender Gewohnheiten und Standards.
Wie könnte eine solche Frage lauten?
Was benötigen wir wirklich? Die Antwort darauf ist individuell, aber auch Teil eines größeren gesellschaftlichen Diskurses. Nachhaltiges Bauen muss den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes und seiner Materialien von Anfang an mitdenken. Dringend erforderlich sind CO2-Benchmarks für Gebäude in Deutschland, um die Vorgaben der EU-Taxonomie künftig einzuhalten. Andere europäische Länder sind hier bereits weiter. CO2-Benchmarks haben das Potenzial, ein starker Hebel für den Wandel zu sein: Ohne die Nutzung bereits gebundener grauer Energie – etwa durch die Erhaltung von Bestandsgebäuden oder die Wiederverwendung von Bauteilen – lassen sich diese Vorgaben kaum erreichen. Gleichzeitig sind strenge Benchmarks und finanzielle Regulierungen essenziell, um nachhaltiges Bauen zur Norm zu machen und den Wandel aktiv voranzutreiben.
Ist die Baubranche auf das zirkuläre Bauen eingestellt?
Wir befinden uns mitten im Wandel – das zirkuläre Bauen stößt auf großes Interesse. Doch in der Praxis begegnen uns auch viele Zweifel. Mut und Experimentierfreude sind gefragt, um Herausforderungen zu meistern. Themen wie Logistik, Gewährleistung und die Demontierbarkeit von Bauteilen müssen neu gedacht und in den Planungsprozess integriert werden. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Auftraggebenden, Unternehmen und Handwerker und Handwerkerinnen ist entscheidend, um innerhalb bestehender Normen innovative Lösungen zu entwickeln.
Muss auch die Politik eingreifen?
Ja, gleichzeitig müssen politische Regularien angepasst und Hersteller in die Verantwortung genommen werden. Langfristig sollten sie Rücknahmeoptionen für Produkte und Materialien anbieten, um den Kreislauf zu schließen. Für eine flächendeckende Umsetzung des zirkulären Bauens braucht es klare Prozesse und die Skalierung von Pilotprojekten. Unser Ziel ist es, Lösungen aufzuzeigen, Innovationen zu fördern und diese erfolgreich in die Praxis zu bringen. Jetzt ist der Moment, den Wandel aktiv mitzugestalten – wir fordern alle auf, diesen Weg mitzugehen.
Droht der Gestaltungsgedanke beim zirkulären Bauen zu kurz zu kommen?
Auf keinen Fall! Gute Architektur kann gerade aus den aktuellen Herausforderungen wie der steigenden Ressourcenknappheit besonderen Wert und Schönheit schöpfen. Der Ansatz, gebrauchte Bauteile mit einer eigenen Geschichte neu zu aktivieren, bietet einen ästhetischen Mehrwert und kann dem Entwurf eine neue Tiefe verleihen. Für uns ist es klar: Gute Gestaltung steht nicht im Widerspruch zu einem Bauen innerhalb planetarer Grenzen. Im Gegenteil, die Suche nach Re-Use-Materialien kann sogar ein wichtiger Designtreiber sein. Wir sind überzeugt, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen nicht zu einem Mangel an gestalterischer Qualität führt – ganz im Gegenteil, er kann die Grundlage für neue, innovative und ausdrucksstarke Architektur bilden.
Und zwar was für eine?
Für uns bedeutet zirkuläres Bauen mehr als nur Ressourcenschonung – es geht darum, die Geschichten bestehender Materialien, Gebäude und Orte weiterzuerzählen. Wir wollen gemeinsam neue Narrative für eine positive Zukunft entwickeln, die den identitätsstiftenden Charakter von Re-Use-Materialien betonen. In unseren Augen hat Architektur das Potenzial, Kommunikation zu fördern, Gemeinschaft zu stärken und eine tiefere Identifikation mit dem eigenen Umfeld zu ermöglichen.
Wie weit ist Stuttgart Ihrer Ansicht nach beim zirkulären Bauen?
Die Kreislaufstrategie, die hier aktuell erarbeitet wird, birgt großes Potenzial. Andere Bundesländer sind hier aber zum Teil bereits weiter. Es braucht umgesetzte Projekte, die beweisen, dass zirkuläres Bauen funktioniert und skalierbar ist, um den Wandel voranzutreiben. Gemeinsam mit asp Architekten aus Stuttgart haben wir uns beim IBA’27-Projekt am Neuen Stöckach genau diesem Ziel verschrieben – einen gebauten Beweis zu liefern. Umso enttäuschender ist es, dass das Projekt nun auf unbestimmte Zeit pausiert. Mein dringender Appell an alle Entscheiderinnen und Entscheider: Setzen Sie zirkuläre Projekte um, erhalten Sie Bestandsgebäude und ermöglichen Sie Umnutzungen. Denn zirkuläres Bauen beginnt mit dem größten verfügbaren Bauteil – dem Gebäude selbst.
Info
Archikon
Die Archikon, der Landeskongress für Architektur und Stadtentwicklung, findet am 8. April auf der ICS Landesmesse Stuttgart statt. Zwischen 9 und 18.30 Uhr finden verschiedene Seminare zum Thema ressourcenschonendes Bauen statt. Eine Anmeldung ist nur noch vor Ort möglich. Mehr Informationen unter www.akbw.de/angebot/kammerveranstaltungen/archikon-2025