Das 14. bisher gefundene Exemplar des berühmten Archaeopteryx enthüllt nie zuvor gesehene Details dieses ikonischen Urvogels. Dieses „Chicagoer“ Archaeopteryx-Fossil zeigt erstmals eine Gruppe von Flügelfedern, die eine entscheidende Anpassung ans Fliegen waren und die bei anderen gefiederten Dinosauriern fehlten.
Der Archaeopteryx ist eine Ikone der Evolution: Die gefiederten Wesen lebten vor 150 Millionen Jahren und waren eine Mischung aus Dinosauriern und Vögeln. Das erste im Jahr 1860 in Solnhofen im Plattenkalk aufgefundene fossile Fragment dieses Urvogels – eine einzelne Feder – lieferte entscheidende Argumente für Charles Darwins Evolutionstheorie.
Der 150 Millionen Jahre alte Archaeopteryx trug sowohl Merkmale von Dinosauriern wie von Vögeln: Er hatte bereits Federn und Flügel, aber noch ein mit Zähnen besetztes Maul und einen langen reptilienartigen Schwanz. Damit ist Archaeopteryx eine Übergangsform zwischen beiden Tiergruppen.
Alle 14 Flugsaurier stammen aus Solnhofen
Bis heute sind insgesamt 14 mehr oder weniger vollständige Fossilien beschrieben worden. Fast alle Funde stammen aus der Gegend um Solnhofen in Bayern. Damals war die Region ein subtropisches, flaches Randmeer. Europa, wie wir es kennen, war geflutet, abgesehen von einigen Inselkernen. Es gab lagunenartige Becken und Korallenriffe. In diesen Refugien lebte der Urvogel, der etwa so groß wie eine Elster oder ein Rabe.
Einer der ersten Vogelvorfahren
Der Archaeopteryx ist nicht der direkte Urahn aller heute lebenden Vögel. Er war einer von mehreren Arten gefiederter, vogelartiger Raubsaurier, aus denen später die Vögel hervorgingen.
Seine genaue Position im Vogelstammbaum ist umstritten. Der Archaeopteryx war aber einer der ersten Vogelvorfahren, der nicht nur äußerlich Vögeln ähnelte, sondern auch richtig fliegen konnte. Dennoch blieben einige anatomische Details des Urvogels bisher im Dunkeln, weil sie in keinem der bisher 13 bekannten und näher untersuchten Exemplare des Archaeopteryx erhalten sind.
14. Exemplar erstmals präpariert und untersucht
Jetzt haben Paläontologen das 14. Exemplar des berühmten Urvogels im Fachjournal „Nature“ präsentiert. Dieses Fossil war ebenfalls nahe Solnhofen gefunden worden, blieb aber unpräpariert über Jahrzehnte im Privatbesitz.
Im Jahr 2022 wurde dieses Exemplar vom Field Museum in Chicago erworben und konnte nun erstmals aus dem umhüllenden Kalkstein freipräpariert und detaillierter untersucht werden.
„Wenn man ein so fragiles Fossil hat, kann man es nicht einfach aus dem Gestein herausmeißeln wie bei einem großen, stabilen Fossil wie dem Tyrannosaurus rex“, erklärt Erstautorin Jingmai O’Connor vom Field Museum. Denn die Knochen des Archaeopteryx sind winzig und hohl, zudem ist dieses Fossil das kleinste aller bekannten Archaeopteryx-Exemplare.
Das Team nutzte daher Mikrotomografie und 3D-Modelle, um das Fossil vorsichtig freizulegen. Es ist der erste Archaeopteryx, der von Anfang an mit modernsten wissenschaftlichen Methoden präpariert wurde.
Zuvor nie entdeckte Details
„Das Exemplar zeigt die Morphologie des Schädels und der Wirbelsäule bis ins feinste Detail, darunter auch Elemente, die zuvor unbekannt waren“, berichten die Paläontologen. Selbst Gewebereste von Haut, Sehnen und Federn sind konserviert. „Unser Exemplar ist so gut erhalten und präpariert, dass es uns eine Menge neuer Informationen liefert – von der Spitze des Schnabels bis zum Schwanzende“, berichtet O’Connor.
Mithilfe von ultraviolettem Licht konnten sogar Zehenpolster an den Füßen und Feinheiten der Federstruktur sichtbar gemacht werden.
Humoralfedern verraten Flugfähigkeit
Bei diesem Archaeopteryx-Exemplar sind sogar lange tertiäre Flügelfedern erkennbar. Diese Humoralfedern schließen innen an den Armschwingen des Vogelflügels an und gehen vom Oberarmbereich aus. Bei modernen Vögeln mit langen Flügeln überbrücken diese zusätzlichen Federn die Lücke zwischen Armschwingen und Rumpf und sorgen für eine durchgehende Tragfläche.
„Diese Humoralfedern fehlen bei gefiederten Dinosauriern, die zwar eng mit Vögeln verwandt waren, aber nicht zu den Urvögeln gehörten“, erläutert O’Connor. „Ihre Flügelfedern hören am Ellenbogen auf.“ Beim neuen Archaeopteryx-Exemplar seien die Humoralfedern besonders ausgeprägt.
Die Flügelfedern des Archaeopteryx sind zudem ein wichtiger Hinweis auf die Evolution des Fliegens. „Es verrät uns, dass der Archaeopteryx fliegen konnte, die nicht-aviären Dinosaurier hingegen nicht“, schreiben die Forscher. Diese Urvögel besaßen bereits zusätzliche Anpassungen an das Fliegen. „Dies liefert uns Belege dafür, dass der Archaeopteryx seine gefiederten Flügel auch tatsächlich zum Fliegen nutzte“, unterstreicht O‘Connor.
Urvogel bewegte sich am Boden und auf Bäumen
Die Füße des Chicagoer Archaeopteryx-Exemplars mit Resten der Sohlenpolster unter den Zehen deuten daraufhin, dass Archaeopteryx viel Zeit am Boden verbrachte. Demnach hielt sich der Urvogel sowohl in den Ästen von Bäumen als auch am Boden – ähnlich wie heutige Tauben.
„Die Daten repräsentieren einen Meilenstein in der Erforschung dieser ikonischen Art und des evolutionären Übergangs von nicht-aviären Dinosauriern zu Vögeln“, resümieren die Wissenschaftler. „Diese Veröffentlichung ist erst die Spitze des Eisbergs“, sagt Jingmai O’Connor. „Bei fast jedem erhaltenen Körperteil dieses Fossils lernen wir etwas Spannendes und Neues.“