Der Maschinenbauer Pedro Moura dos Santos hat sich bei der Arbeitsagentur in Schwäbisch Hall beworben und einen Ablehnungsbescheid erhalten, weil er kein Deutsch konnte – aber er ließ sich nicht entmutigen. Foto: Jan Reich

Medienberichte aus Schwäbisch Hall haben vor zwei Jahren bei Tausenden Portugiesen Hoffnung auf Arbeit gemacht. Einige haben den großen Sprung gewagt – und nicht bereut.

Medienberichte aus Schwäbisch Hall haben vor zwei Jahren bei Tausenden Portugiesen Hoffnung auf Arbeit gemacht. Einige haben den großen Sprung gewagt – und nicht bereut.

Schwäbisch Hall - Es war im Februar 2012: Damals wollte die Stadt im Hohenlohischen mit einer Werbeaktion ausländische Arbeitskräfte für die Unternehmen der Region gewinnen. Am Anfang zweifelte man am Erfolg, doch dann wurde Schwäbisch Hall von Bewerbungen aus Portugal geradezu überflutet. Es trafen so viele E-Mails ein – 15 000 in weniger als einem halben Jahr –, dass der zentrale Server des Rathauses lahmgelegt wurde und die Angestellten zu Überstunden gezwungen waren. Sie mussten die Lebensläufe auswerten und allen Bewerbern antworten.

Aus der Werbeaktion wurde eine regelrechte Medienkampagne. Sie ging zurück auf eine Einladung an Journalisten aus Spanien, Griechenland und Portugal, die die Stadt und deren Arbeitsangebote kennenlernen wollten. Deren Berichte wurden ins Internet gestellt und über Facebook verbreitet, das portugiesische Fernsehen griff sie auf, und es hieß, dass in einigen Unternehmen keine Deutschkenntnisse nötig seien.

Genannt wurden auch die durchschnittlichen Bruttolöhne, die in deutschen Großstädten gezahlt werden. Schwäbisch Hall wurde als die Stadt gepriesen, in der „die Arbeitsplätze den Menschen hinterherlaufen“. In Portugal einen Job zu finden ist dagegen ziemlich schwierig: Dort liegt die Arbeitslosenquote mittlerweile bei über 16,3 Prozent. Und wer eine Anstellung gefunden hat, muss sich mit einem bescheidenen Lohn begnügen – im Durchschnitt gibt es 900 Euro. In Deutschland werden durchschnittlich 2421 Euro bezahlt.

Auf das, was dann kam, war niemand in Schwäbisch Hall vorbereitet. „Wir haben für unsere Firma die unglaublichsten Bewerbungen bekommen, sogar von Ärzten“, erzählt Rainer Grill, der Sprecher des in Künzelsau ansässigen Ventilatorenherstellers Ziehl-Abegg. „Unsere Personalabteilung hat Überstunden gemacht, um allen zu antworten, mehrere Lebensläufe mussten wir übersetzen“, sagt er. Nach der Durchsicht von Tausenden Zuschriften stellte Ziehl-Abegg schließlich zwei Bewerber ein.

Hat  sich  der ganze Aufwand gelohnt? „Einige denken, nein“, sagt Grill. Aber seine Firma sei mit den neuen Arbeitskräften absolut zufrieden. Man wolle nicht, dass sie nur für kurze Zeit bleiben. „Sie sind nach zwei Jahren vollständig integriert. Wir sind an keinem interessiert, der nur kurz bleibt und dann in sein Land zurückkehrt.“

Der Maschinenbauer Pedro Moura dos Santos (30) hat sich bei der Arbeitsagentur der Stadt beworben und einen Ablehnungsbescheid erhalten, weil er kein Deutsch konnte. Aber er ließ sich nicht entmutigen und schickte seine Bewerbung samt Lebenslauf direkt an Ziehl-Abegg. „Ich wollte immer schon einmal im Ausland arbeiten“, sagt er. Er wurde genommen, weil er auf einem bestimmten Gebiet Erfahrung hatte, das für die Firma interessant war.

Nach dem Bewerbungsgespräch überlegte er zwei, drei Tage lang und nahm die Stelle schließlich an. Er brachte seine Frau mit, sie ist Bauingenieurin. Ihm gefällt es im Betrieb, er ist zufrieden mit seiner Arbeitszeit, und auch die Stadt sagt ihm zu. Sein Deutsch muss er allerdings noch verbessern. Die Firma unterstützt ihn dabei. Auf jeden Fall will er bleiben. Pedro Moura dos Santos ist der Prototyp des Einwanderers, den Deutschland sucht – jung und hoch qualifiziert. Er brachte es sogar auf die Titelseite des „Spiegels“ zum Thema Einwanderung aus den Krisenländern nach Deutschland.

Aber nicht alle Portugiesen, die nach Schwäbisch Hall kamen, waren gut qualifiziert. Und nicht alle schickten einen Lebenslauf. Vítor Malhão (42) besorgte sich einfach ein Flugticket, packte seinen Koffer und flog nach Deutschland. Sein Glück war es, Menschen getroffen zu haben, die ihm halfen.

In der Arbeitsagentur teilte man ihm mit, dass ohne Deutschkenntnisse für ihn nichts zu machen sei. Und selber hat er die Erfahrung gemacht, dass es ohne Deutsch nicht geht. Das Internet half mittels automatischer Übersetzung, Fragen beantworten zu können. Das hat oft nicht funktioniert.

Vítor Malhão bekam schließlich Arbeit bei einer Spedition. Heute würde er diesen Kraftakt nicht noch einmal wagen. Aber jetzt ist er hier, und er möchte bis zur Rente bleiben. In Portugal arbeitete er in einem kleinen Laden, befürchtete, nach Beendigung seines Zeitvertrags wegen seines Alters auf der Straße zu landen, weil er sich für zu alt hielt. Hier ist das anders: „Wenn einer etwas kann, hat er Arbeit. Das Alter spielt keine Rolle.“

Zu den Schutzengeln von Vítor gehören Manuel Duarte Santos, ein Spanier, der in den 1960er Jahren nach Deutschland ausgewandert ist, und seine Frau Renate. Die beiden haben schon vielen Portugiesen geholfen. In deren Wohnzimmer steht als Dank die Figur einer portugiesischen Heiligen. Sie haben den Neuankömmlingen bei der Wohnungssuche und beim Umzug geholfen. Und natürlich Übersetzungsdienste geleistet. Die Helfer beobachten, dass ein ganz anderer Menschenschlag nach Deutschland kommt: „Früher waren es ganz arme Menschen. Jetzt sind es Menschen, die etwas besaßen, aber alles verloren haben.“

Robert Gruner, Pressesprecher der Stadt, erzählt, Schwäbisch Hall habe schon früher nach Arbeitskräften gesucht, sogar in Ostdeutschland. Nie aber habe es großes Interesse gegeben. Und so wurde die Stadt von der Flut von Portugiesen völlig überrascht. Und auch Italiener wurden angelockt: Als kurze Zeit später das italienische Fernsehen über die Portugiesen in der Stadt berichtete, seien einige Bewerbungen aus Italien eingetroffen – immerhin 60 bis 70, sagt er.

Es gibt noch freie Stellen in der Stadt, berichtet Gruner. Aber eine Medienkampagne wird es nicht mehr geben. Die Journalisten bittet er, in ihren Berichten darauf hinzuweisen, dass Deutschkenntnisse unbedingt nötig sind. „Auch als Bedienung in einem Café muss man ein wenig Deutsch sprechen können.“ Heute findet man in der Stadt nicht mehr viele der damals angeworbenen Portugiesen.

Vom Rathaus braucht man etwa zwei Minuten, um zum besten Ort für Deutschlernende zu gelangen, dem Goethe-Institut. Die Portugiesin Leonor Vila Lobos (26) ist eine der Schülerinnen. „Momentan mache ich mir keine großen Sorgen, eine Stelle zu finden“, sagt sie. Sie ist von der deutschen Sprache begeistert und hat beschlossen, nach dem Ende ihres Studiums als Geomatik-Ingenieurin Deutsch zu lernen.

Auf die Frage „Warum Schwäbisch Hall?“ reagiert Leonor Vila Lobos etwas verlegen. Schließlich erzählt sie, dass sie sich in Düsseldorf, wo sie einige Monate zuvor einen Deutschkurs absolviert hat, in einen jungen Mann, der nach Stuttgart ging, verliebt hatte. „Auf der Karte habe ich das am nächsten bei Stuttgart gelegene Goethe-Institut gesucht.“ Erst später hat sie gemerkt, dass es dieselbe Stadt war, die wegen der Arbeitsangebote für Portugiesen in den Nachrichten präsentiert wurde.

Leonor Vila Lobos will freilich erst noch einmal nach Portugal zurückkehren und eine Pause einlegen, bevor sie für einen neuen Sprachkurs wieder nach Deutschland kommt – dann nach Freiburg. „Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, in Deutschland zu arbeiten“, versichert sie. „Aber allmählich denke ich, dass es vielleicht die richtige Wahl ist, denn in Portugal ist es unmöglich, einen Job zu finden. Als ich vor fünf Jahren mit dem Studium begonnen habe, gab es Arbeit. Jetzt sind die Firmen geschlossen, und es gibt gar nichts mehr.”