So sieht die Blaue Karte aus. Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Bundesanzeiger Verlags

Die Blue Card soll Nicht-EU-Akademikern hier den Arbeitsstart erleichtern. Der Andrang hält sich in Grenzen

Stuttgart - Menschen ohne deutschen Pass haben’s schwer, hierzulande beruflich Fuß zu fassen. Ein Bündel an Paragrafen hält sie davon ab. Mit der Blauen Karte soll nun die Schwelle zumindest für hoch qualifizierte Hochschulabsolventen und für Fachkräfte in gefragten Berufen sinken. Anders als bei der viel diskutierten Greencard (2000–2004) reichen Bewerbern seit 1. August ein Hochschulabschluss nach deutschem Standard, eine Jobzusage von einem hiesigen Unternehmen und ein Jahreseinkommen von 44.800 Euro, um die blaue Nachfolgerin zu bekommen. Für Interessenten in Mangelberufen – Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler (Mint) oder Ärzte genügen sogar 35.000 Euro.

Zum Vergleich: Greencard-Anwärter mussten vor zehn Jahren noch 50.000 Euro Jahreseinkommen nachweisen, bei der Nachfolgeregelung kletterte die Summe auf stolze 66.000 Euro. Auch die Vorrangprüfung – der Gegencheck der Bundesagentur, ob es für die Stelle deutsche Bewerber gäbe – ist bei der Blue Card nicht mehr nötig.

Anders als bisher sind auch Angehörigen der Blue-Card-Besitzer die Tore geöffnet. Familienmitglieder dürfen uneingeschränkt nachziehen, brauchen keine Deutschkenntnisse und können sofort ebenfalls einem Beruf nachgehen. Die Blue Card beinhaltet zunächst eine vierjährige Aufenthaltserlaubnis. Spätestens nach 33 Monaten bekommen die Antragsteller eine unbefristete Niederlassungserlaubnis für den EU-Raum. Sie können eine Stelle in einem anderen Staat der Union suchen, benötigen bei einem Zuschlag aber die dortige Blue-Card-Version.

Bisher 110 Anträge in Stuttgart

Von einem Ansturm kann bisher allerdings keine Rede sein. Bei der Ausländerbehörde der Stadt Stuttgart liegen drei Wochen nach Einführung 110 Anträge auf eine Blaue Karte. Nur ein Bruchteil kam allerdings über ausländische Konsulate. „Bei den meisten Anträgen handelt es sich um Hochqualifizierte, die hier bereits nach den bisherigen Bestimmungen leben und nun die Vorteile der Blue Card mitnehmen wollen“, erklärt der stellvertretende Amtsleiter Robert Ulshöfer. Die Interessenten sind mehrheitlich Ingenieure, Informatiker und Betriebswirtschaftler, sie kommen aus den USA sowie aus osteuropäischen Staaten und können einen Arbeitsvertrag vorlegen. Dass bisher kaum Anträge auf eine Blue Card aus dem außereuropäischen Ausland kamen, wundert Ulshöfer nicht: „Das Ganze läuft ja gerade erst an. Ich denke, dass das in einigen Monaten anders aussehen wird.“

Bedarf jedenfalls wäre vorhanden. Nach Berechnungen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart fehlen allein in Baden-Württemberg 38.000 Akademiker, vor allem aber 193.000 betrieblich aus- und weitergebildete Fachleute. 37 Prozent der Unternehmen im Südwesten klagten über akuten Fachkräftemangel. Besonders ausgeprägt sei dieser in der Rechts- und Steuerberatung, der Medizintechnik, bei Architektur- und Ingenieurbüros sowie bei Informations- und Telekommunikationsdienstleistern.

„Die Blue Card dürfte vor allem bei Hochschulabsolventen wirken, die bereits hier sind“, bestätigt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart, Bernd Engelhardt, die ersten Erfahrungen der Ausländerbehörde. „Sie kennen Deutschland, wissen, wie der Alltag hier funktioniert, und das erleichtert beiden Seiten vieles.“

Keine Willkommenskultur

Der Arbeitsmarkt- und Migrationsforscher Timo Baas von der Universität Duisburg-Essen macht zudem Versäumnisse in der deutschen Arbeitsmarktpolitik als Grund für die Zurückhaltung aus. Lange vor den anderen EU-Staaten hätten Irland und Großbritannien ihren Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte geöffnet. Dorthin seien ab 2004 viele Tschechen und Russen abgewandert, zunächst einfachen Tätigkeiten nachgegangen, hätten sich aber im eigenen Fach weiterqualifiziert. „Dieser Trend hält bis heute an“, beobachtet der 34-Jährige. „Freunde und Bekannte, die erst jetzt in den Westen wollen, zieht es ebenfalls auf die Inseln, weil dort bereits Landsleute leben.“ Abschreckend wirke aber auch die hohe Belastung durch Sozialversicherungsabgaben in Deutschland, vor allem für Beschäftigte aus Drittländern, die lediglich für etwa fünf Jahre nach Deutschland kämen. „Die Blue Card ist ein wichtiges arbeitspolitisches Element, das den Zuzug qualifizierter Hochschulabhänger erleichtert und mehr Transparenz schafft“, so Junior-Professor für Makroökonomik, Baas. „Man sollte sich aber nicht zu viel davon versprechen.“

Für Arbeitgeber wie den Stuttgarter IT-Dienstleister GFT ist die Blue Card eine Möglichkeit unter vielen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. „Ein Problem ist, dass viele deutsche Unternehmen immer noch Vorbehalte haben, Fachkräfte anzustellen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist“, sagte GFT-Geschäftsführer Ulrich Dietz gegenüber unserer Zeitung. Und der Empfang ist häufig auch nicht gerade entgegenkommend. „Oft fehlt eine Willkommenskultur“, bestätigt Engelhardt. Darunter versteht er eine gezielte Ansprache, Information und Begleitung von ausländischen Fachkräften. Im Ausland wird Deutschland häufig als zu bürokratisch und intolerant wahrgenommen. Meist laufe die Rekrutierung von Arbeitskräften so: „Kommt nicht zufällig eine Blindbewerbung, suchen die Unternehmen gezielt über Personalagenturen oder an ihren ausländischen Standorten.“

Arbeitgeber nicht unter Handlungsdruck

GFT etwa setzt auf Spanier, die derzeit große Mühe haben, in ihrem Heimatland eine geeignete Arbeit zu finden und als EU-Bürger Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen. „Wir bieten ihnen an unseren spanischen Standorten wie auch in Deutschland Perspektiven, von denen letztlich beide Seiten profitieren“, betont Dietz. Der Autozulieferer Bosch mit Standorten in 50 Ländern rekrutiert Mitarbeiter aus Übersee. „Es handelt sich hier aber tatsächlich nur um befristete Entsendungen nach Deutschland“, erklärt ein Bosch-Sprecher. Dieses Jahr wurden knapp 400 Mitarbeiter von einer Bosch-Regionalgesellschaft zu Bosch nach Deutschland entsendet. Im Wesentlichen kamen sie aus den USA, Indien, China, Japan und Brasilien. Ihre Aufenthaltsdauer beträgt im Schnitt drei bis vier Jahre. Dann kehren sie in ihre Regionalgesellschaften zurück.

Die Blue Card ist beim Autozulieferer derzeit kein bestimmendes Thema. Handlungsdruck jedenfalls besteht nicht. „Bei Bosch erleben wir keinen pauschalen Fachkräftemangel“, so der Sprecher. Auch GFT sieht das Thema entspannt. „Wenn es sich ergibt, dass uns ein Bewerber, der die Karte für seinen Aufenthalt in Deutschland braucht, am meisten überzeugt, freuen wir uns natürlich“, sagt Ulrich Dietz.