Raimund Becker (li.) Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA) und Christian Rauch, Leiter der Regionaldirektion in Baden-Württemberg. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Zahl der Asylbewerber im Land ist im November auf ein Rekordhoch geschnellt. Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, und Christian Rauch, Leiter der Regionaldirektion im Land, sagen, wie sie die Flüchtlinge fit für Jobs machen.

Stuttgart - Herr Becker, warum sollten wir Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt bringen, solange es hierzulande noch 2,7 Millionen Arbeitslose gibt?
Becker: In Regionen wie Baden-Württemberg oder Bayern haben wir heute schon Fachkräfteengpässe. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung müssen wir zusehen, woher künftig unsere Arbeitskräfte kommen. Dabei verfolgen wir eine Doppelstrategie. Einerseits versuchen wir sämtliches Potenzial in Deutschland zu aktivieren und in den Arbeitsmarkt zu bringen. Das allein wird aber nicht reichen. Der zweite Teil der Doppelstrategie ist daher die Zuwanderung. Dazu gehört, Flüchtlinge so schnell wie möglich fit für den deutschen Arbeitsmarkt zu machen.
Darum haben Sie 2013 das Projekt „Early Intervention – Jeder Mensch hat Potenzial“ gestartet mit dem Ziel, Flüchtlinge während der Wartefrist für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Wie viele der Menschen aus dem Projekt haben bereits einen Job gefunden?
Becker: Seit 2013 haben 400 Flüchtlinge das Programm durchlaufen. Rund 15 von ihnen haben einen Job gefunden.
Rauch: In Baden-Württemberg führen wir das Projekt in Freiburg durch. Von insgesamt 70 Flüchtlingen sind inzwischen sechs Menschen in Arbeit.
Ist das Ergebnis für Sie enttäuschend?
Becker: Nein. Das Programm ist ja erst angelaufen, und bis die Teilnehmer einen Job aufnehmen dürfen, dauert es bei vielen noch eine Zeit. Hinzu kommt, dass es uns in dem Pilotprojekt hauptsächlich darum ging, erste Erfahrungen zu sammeln, um das Programm längerfristig ausbauen zu können. Neben Deutschkursen umfasst unser Programm ein Anerkennungsverfahren, bei dem wir die berufliche Bildung der Flüchtlinge unter die Lupe nehmen und sie nachqualifizieren. Ein Erfolg ist auch, dass die Asylbewerber durch unser Programm einen strukturierten Tagesablauf bekommen. Sie arbeiten 30 Stunden in der Woche – zunächst im Sprachkurs, später in der Berufsqualifizierung.
Wann wird das Programm aufs ganze Bundesgebiet ausgeweitet?
Becker: 2015 werden drei Standorte hinzukommen. Berlin und Ludwigshafen stehen schon fest. Wenn der Zustrom an Flüchtlingen anhält und uns die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden, können wir in einigen Jahren durchaus 10 000 Menschen in das Early-Intervention-Programm einbezogen haben. Gerade bei Jugendlichen sehen wir viele Potenziale. Wir gehen davon aus, dass es sechs bis neun Monate dauert, bis die Flüchtlinge fit für den deutschen Arbeitsmarkt sind und eine Ausbildung oder eine Arbeitsstelle antreten können. Aber das hängt natürlich sehr stark vom Einzelfall ab.
Demnach bringt Flüchtlingen die Verkürzung des Arbeitsverbots auf drei Monate gar nichts?
Becker: Es gibt natürlich auch einfache Jobs wie Lagerarbeiten, bei denen nicht so eine lange Vorbereitungszeit erforderlich ist. Das Problem war bisher, dass die Integrationskurse nicht während der Wartezeit stattgefunden haben. Da ist wertvolle Zeit verloren gegangen. Unser Ansatz ist, dass wir mit der Qualifizierung anfangen, sobald die Menschen sich in Deutschland registriert und von der Ausländerbehörde eine positive Bleiberechtsperspektive bescheinigt bekommen haben.
Rauch: Durch die Verkürzung der Wartezeit auf drei Monate für Asylbewerber und Geduldete hat das Thema aber noch mal eine ganz neue Dynamik erhalten. In Baden-Württemberg werden wir im kommenden Jahr ein Grundangebot für Flüchtlinge anbieten. Dieses sieht vor, dass wir bei allen Flüchtlingen, die uns aufgrund ihrer Bleiberechtsperspektive von den Ausländerbehörden vorgeschlagen werden, prüfen, wie nah sie mit ihren Qualifikationen am Arbeitsmarkt sind und welche Sprach- und Qualifizierungskurse anstehen.
Mit welchem Geld?
Rauch: Neben den Mitteln der BA muss die Finanzierung von den Landkreisen und der Landesregierung gestemmt werden. Aus Landessicht liegt der Vorteil darin, etwas gegen den Fachkräftemangel zu tun, und aus Kreissicht darin, am Ende des Tages Geld bei der Grundsicherung zu sparen.
Wie viel Geld wäre dafür nötig?
Rauch: Das Land überlegt, im kommenden Jahr Geld zur Sprachförderung von 2500 Flüchtlingen bereitzustellen. Außerdem prüfen die Landkreise, zusammen einen sechsstelligen Betrag aufzubringen. Insgesamt sprechen wir von einem Betrag von mindestens drei Millionen Euro.
Wie viel Geld kostet ein Flüchtling, der das Grundangebot durchläuft?
Rauch: Allein was die Sprachförderung betrifft, muss pro Person mit mindestens 2000 Euro gerechnet werden. So viel kostet es in der Regel mindestens, einen Ausländer in Deutsch auf ein mittleres Niveau zu bringen. Wir sprechen hier vom Niveau B 1.
Becker: Ich begrüße alle regionalen Initiativen, aber eigentlich müsste der Bund die Mittel für Sprachkurse aufstocken. Es gibt in Deutschland die sogenannte berufsbezogene Sprachförderung, die vom Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) finanziert wird. Dieses ESF-BAMF-Programm wird zwischen 2014 und 2020 fortgesetzt, jedoch stehen dem BAMF deutlich weniger Fördermittel zur Verfügung. Das wird zu einer Förderlücke führen.
Um welche Summe geht es?
Becker: Um weiterhin wie bisher durchschnittlich 25 000 Migranten im Jahr fördern zu können, fehlen bis 2020 mindestens 180 Millionen Euro. Das ESF-BAMF-Programm ist wohlgemerkt nicht ausschließlich für Asylbewerber gedacht, sondern für alle Menschen mit Migrationshintergrund. An dem Programm nehmen vor allem Arbeitslose teil. Allein 2014 aber sind 200 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Nächstes Jahr werden noch mehr erwartet. Wenn die Flüchtlinge künftig bereits nach drei Monaten arbeiten dürfen, müssen wir so früh wie möglich mit Sprachkursen beginnen. Dafür reicht das zur Verfügung gestellte Geld aber nicht aus.
Rauch: Das Problem haben wir auch, wenn es darum geht, junge Flüchtlinge für die duale Ausbildung zu gewinnen.
Inwiefern?
Rauch: Deutschland leistet mit dem Sonderprogramm zur „Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen aus Europa“, bei dem junge EU-Bürger in Deutschland eine betriebliche Ausbildung absolvieren können, einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Von 2013 bis 2018 investieren wir richtigerweise 560 Millionen Euro auch in dem Wissen, dass die Jugendlichen nach der Krise in ihr Heimatland zurückkehren. Die Flüchtlinge brauchen nicht angeworben zu werden. Sie haben ihre Entscheidung für Deutschland bereits getroffen. Einem europäischen Jugendlichen können wir, angefangen vom Sprachkurs über die ausbildungsbegleitende Nachhilfe, jede Menge Angebote machen. Ein syrischer Jugendlicher dagegen muss von Anfang an viel höhere Hürden meistern, und das mit deutlich weniger Unterstützung. Hier gibt es also Nachholbedarf, den wir aber auf der landespolitischen Ebene nicht leisten können.
Wie wird sich der Arbeitsmarkt 2015 entwickeln?
Becker: Der Arbeitsmarkt wird nach unserer Einschätzung trotz konjunktureller Eintrübungen stabil bleiben. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigen rechnen wir auch im nächsten Jahr mit einer Steigerung. Was sich jedoch verändert hat, ist, dass die Arbeitslosigkeit nicht im gleichen Maße abnimmt. Das liegt daran, dass es andere Quellen gibt, aus denen sich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung speist. Das ist zum einen die Zuwanderung, zum anderen die stille Reserve. Immer mehr Frauen nutzen die Chance, in den Markt zu kommen. Wir werden bei der Arbeitslosigkeit in diesem Jahr im Schnitt bei 2,9 Millionen liegen, im nächsten Jahr voraussichtlich bei 2,88. Hier erwarten wir also auch Stabilität.