Die Rechnung. wie es nach den Sommerferien weiter geht, bleibt für den Mathelehrer Norbert Heumüller offen. Foto: factum/Weise

Vertretungslehrer erhalten zumeist nur befristete Verträge, die im Juli enden. Dann bleibt vielen Pädagogen nur, Arbeitslosengeld oder gar Hartz 4 zu beantragen. Oder sie leben von Ersparnissen – so wie Norbert Heumüller.

Sindelfingen - Anfang der Woche war es überall zu lesen: Ende dieses Monats, wenn die Sommerferien beginnen, werden 3300 Lehrer im Land arbeitslos – für mindestens sechs Wochen. In keinem anderen Bundesland gibt es so viele Verträge für Pädagogen, die eine Bezahlung in den Sommerferien ausschließen wie in Baden-Württemberg. Einer mit einem solchen Vertrag ist Norbert Heumüller. Vor sieben Monaten war er kurzfristig eingesprungen, weil am Pfarrwiesen-Gymnasium in Sindelfingen eine Mathelehrerin schwangerschaftsbedingt ausgefallen war. Doch zum Schuljahresende ist es damit schon wieder vorbei. Heumüller muss zur Agentur für Arbeit und sich arbeitslos melden.

Wie ihm ergeht es den meisten Krankheitsvertretungen im Land. Anfang des Schuljahres schauen die Rektoren, dass alle ihre Stellen besetzt sind. Doch wenn dann wenige Wochen später die ersten längeren Lehrerausfälle kommen, stehen die Schulen zumeist ohne Ersatz da. Etwa zwei bis drei längere Personalausfälle wegen Krankheit oder Schwangerschaft gibt es pro Jahr laut dem Schulleiter Bodo Philipsen am Pfarrwiesen-Gymnasium.

Junglehrer ohne Festanstellung zieht es in andere Bundesländer oder die Schweiz

„Bereits im September ist der Lehrermarkt normalerweise leer gefegt“, sagt Hans-Joachim Drocur, der Schulleiter des Herrenberger Schickhardt-Gymnasiums. Dabei gebe es eigentlich genügend junge Lehrer, die einen Job suchen. Doch wenn diese bis Ende August nicht fündig werden in Baden-Württemberg, orientierten sie sich anderweitig. „Sie gehen an Gemeinschaftsschulen, in andere Bundesländer, die Schweiz“, sagt Drocur.

Wenn kein ausgebildeter Pädagoge zu finden ist, dann dürfen auch gerne fachfremde Kräfte ran. So wie Norbert Heumüller. Der 62-jährige Informatiker kommt aus der Freien Wirtschaft, war viele Jahre lang als Manager für ein Weltunternehmen unterwegs. Dabei sammelte er auch Lehrerfahrung an einer Hochschule sowie bei Mitarbeiterschulungen in seinem Unternehmen. Nun setzt er seine Fähigkeiten für ein halbes Jahr als Mathelehrer für Fünft- und Siebtklässler ein. Mit großem Erfolg, wie Bodo Philipsen, der Rektor des Pfarrwiesen-Gymnasiums betont: „Herr Heumüller hat sich richtig reingekniet und Ende des vergangenen Jahres zur Einarbeitung sechs Wochen lang bei uns hospitiert – unbezahlt wohlgemerkt.“

Für Heumüller selbst ist das nicht nachzuvollziehen. „In meinem Unternehmen früher wurden die Mitarbeiter selbstverständlich in der Einarbeitungszeit bezahlt.“ Für den ehemaligen Manager ist das finanziell kein großes Problem. Er aber denkt an all die jungen Kollegen, die nun arbeitslos werden. Niemand aus dieser Gruppe war bereit, mit unserer Zeitung zu reden. Zu groß ist die Angst, die Schulbehörden zu verärgern und sich so die berufliche Zukunft zu verbauen.

Für die Agentur für Arbeit gehören diese Pädagogen zum gewohnten Klientel, das sich kurz vor den Sommerferien meldet. Darunter sind auch viele voll ausgebildete Lehrer. „Wenn die Leute in den vergangenen 24 Monaten mindestens zwölf Monate lang beschäftigt waren, erhalten sie Arbeitslosengeld“, sagt Carmen Gutierrez Gnam, die Sprecherin der Stuttgarter Agentur. Für gerade fertig gewordene Referendare jedoch bleibt nur der Gang zum Jobcenter mit Beantragung von Hartz 4, sofern sie keine Unterstützung von den Eltern oder einem Ehepartner erhalten.

Auch mit Bestnote keine Chance auf einen unbefristeten Vertrag

Schwer vermittelbar den Eltern gegenüber ist für Rektor Philipsen, warum auch Referendare mit Bestnoten nicht angestellt werden, obwohl in Kürze wieder händeringend Vertretungen gesucht werden. Doch die Junglehrer sind dann längst abgewandert. Auch die Arbeitsagentur vermittelt Lehrer in andere Bundesländer – mit Erfolg. Zum Beispiel einen Berufsschullehrer, der keinen unbefristeten Vertrag erhielt, obwohl er Mangelfächer unterrichtet. Vor ein paar Wochen bewarb er sich in Thüringen. „Dort wurde er sofort angestellt, mit der für ihn höchtsmöglichsten Einstufung“, berichtet Gutierrez Gnam .

Rektoren wie Philipsen hätten solche Pädagogen lieber an ihrer Schule. Er wünscht sich einen „ausreichend großen Pool an festangestellten Lehrern, die im Krankheitsfall einspringen können.“

Mit den Ferien beginnt die Arbeitslosigkeit

Arbeitslosengeld
Bisher hätten sich bei der Agentur für Arbeit in Stuttgart, die für die Stadt Stuttgart und auch für den Landkreis Böblingen zuständig ist, 84 Lehrer ab Ende des Monats arbeitslos gemeldet, sagt die Sprecherin Carmen Gutierrez Gnam. Bis zu Beginn der Ferien rechnet sie mit etwa 100 Pädagogen. „Das ist seit Jahren gleich.“Zumeist handele es sich um junge Lehrer.

Hartz 4
Hinzu kommen Lehrer, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Sie müssen sich bei den Jobcentern melden – oder sie leben vom Einkommen der Eltern oder des Ehepartners.