Wer sich in einer Lebenskrise befindet und keinen Ausweg sieht, kann sich an die Mitarbeiter des Arbeitskreis Leben wenden. Foto: Rebecca Stahlberg

Heidi-Rose Malzacher engagiert sich seit beinahe 20 Jahren im Arbeitskreis Leben. Die Möhringerin hat in dieser Zeit rund zwei Dutzend Menschen begleitet, Menschen, die sich in einer Krise befinden und nicht mehr leben wollen.

Möhringen - Was sagt man einem Menschen, der nicht mehr leben will? Eine pauschale Antwort gibt es auf diese Frage nicht. Auch Heidi-Rose Malzacher hat keine Patentlösung. „Sag ihnen doch einfach, dass das Leben schön ist.“ Diesen Rat hat ihr die damals fünfjährige Enkeltochter gegeben, als die Oma ihr erklärte, worum es bei ihrer Arbeit geht. So einfach ist das zwar nicht. Aber die 67-Jährige hat eine gute Vorstellung davon, wie man diesen Menschen helfen kann. Sie ist seit 1995 im Arbeitskreis Leben (AKL) aktiv und begleitet Menschen in Lebenskrisen, Menschen, die suizidgefährdet sind.

„Zuhören und Anteil nehmen ist für uns Begleiter das Wichtigste“, beschreibt sie. Damit baue sie Vertrauen auf, damit derjenige seine Gefühle zulassen könne. Das nämlich ist für den Betroffenen das Wichtigste im Heilungsprozess: die Gefühle zulassen, sie rauslassen. Das fällt vielen nicht leicht, vor allem Männern: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der immer alles gut und perfekt sein muss. Aber jedem geht es mal schlecht“, sagt die Möhringerin. Und manchen eben so schlecht – aus welchen Gründen auch immer – dass sie keinen Ausweg mehr sehen. Diesen Weg aus der Krise aufzuzeigen, ist Sache der Ehrenamtlichen im Arbeitskreis Leben.

Damit Gefühle zulassen möglich ist

Heidi-Rose Malzacher kam zu ihrem Engagement im AKL, weil sie im privaten Umfeld betroffen war. „Ich sah, wie hilfreich es ist und wollte das auch tun“, sagt sie. Am Anfang steht für die ehrenamtlichen Begleiter eine Ausbildung durch die hauptamtlichen Mitarbeiter des Arbeitskreises. Diese dauert neun Monate. Derzeit gibt es gut 40 Begleiter. Es sind mehr Frauen als Männer, doch diese Tendenz ändere sich langsam, sagt Malzacher.

„Die Hauptamtlichen entscheiden, wer zu wem passen könnte. Dann gibt es ein erstes Kennenlernen, meist an einem neutralen Ort. Ein Café eignet sich gut oder ein Spazierengang“, sagt Malzacher. In der Regel einmal in der Woche finden die Treffen statt. Es wird viel geredet bei der Freundschaft auf Zeit, wie die ehrenamtlichen Begleiter sie nennen. Das Vertrauen zu gewinnen und die Gefühle rauszulassen, das geht natürlich nicht sofort. „Es ist ein Prozess“, beschreibt die Mutter eines Sohnes. „Innerhalb der Familie ist es für viele schwierig, sich zu öffnen. Bei einem Außenstehenden geht das viel besser. Wir unterliegen selbstverständlich der Schweigepflicht.“ Neben der fachlichen Begleitung sei die menschliche Komponente essenziell. „Es geht darum, von Mensch zu Mensch für den anderen da zu sein.“

Im Lauf ihres Engagements hat Heidi-Rose Malzacher rund zwei Dutzend Klienten begleitet, zumeist Frauen, denn die gleichgeschlechtliche Konstellation zwischen Begleiter und Klient passe meist besser. Einem jungen Mann möchte sie aber gerne noch helfen, bevor sie ihre ehrenamtliche Tätigkeit irgendwann aufgebe, sagt Malzacher. Das liegt an einem Traum, den sie einmal hatte: Ein junger Mann kommt in eine Kirche und randaliert furchtbar, er schlägt alles kurz und klein, greift auch die Gottesdienstbesucher an. Als er auf Heidi-Rose Malzacher losgehen will, nimmt diese ihn in den Arm und sagt: „Du brauchst nur Liebe.“ Der junge Mann beruhigt sich, wird brav und zahm. Diesen Traum habe sie oftmals vor Augen, erzählt Malzacher. Vielleicht werde sie ihn einmal verwirklichen können.

Die Last an Emotionen wird in der Gruppe geteilt

Damit die Begleiter mit der Last an Emotionen, die sie bei der Gesprächen mit ihren Klienten aufnehmen, nicht alleine fertig werden müssen, gibt es regelmäßig Supervisionen. Das bedeutet, dass die Ehrenamtlichen sich in der Gruppe über das Erlebte austauschen, die Probleme durchsprechen, sich gegenseitig Ratschläge geben und von den Hauptamtlichen beraten werden. Supervision ist der lateinische Begriff für Überblick. Ohne dies wäre es schwer, sagt Malzacher. Einige Male schon habe sie sich hilflos gefühlt und sei nahe am Verzweifeln gewesen. Immer dann, wenn ihre Hilfe nicht fruchtet, wenn die Betroffenen keinen Schritt weiterkommen. An diesem Punkt ist der Austausch in der Supervisionsgruppe besonders wichtig.

Im Idealfall finden die Betroffenen Auswege oder auch andere Lebenswege, erklärt Malzacher. Eindrücklich sei ein Zitat des amerikanischen Autors Oliver Wendell Holmes: „Was hinter uns liegt, und was vor uns liegt, sind Winzigkeiten im Vergleich zu dem, was in uns liegt.“ Damit sei gemeint, dass „wir alle viele Schätze in uns haben, auch die Menschen, die meinen, ihr Leben hat keinen Wert mehr“, sagt sie. Es sei ihr wichtig, dass man sich gegenseitig helfe, diese Schätze sichtbar und spürbar zu machen. Dem Ratschlag ihrer Enkeltochter zu folgen, so kindlich naiv er auch ist, sei ebenfalls eine gute Sache, findet Malzacher. „Man muss sich diese kindliche Sichtweise nach Möglichkeit bewahren oder zumindest wiederholen.“

Der Arbeitskreis Leben
hat seinen Sitz an der Römerstraße 32 in Stuttgart-Süd. Telefonisch sind die Mitarbeiter unter 60 06 20 zu erreichen oder per E-Mail an akl-stuttgart@ak-leben.de. Der AKL ist auf Spenden angewiesen. Diese kann man auf das Konto der BW Bank, IBAN: DE 26 60050101 0002630519, BIC SOLADEST 600, überweisen