Vom Arzt im Dienste Gottes bis zur Büroassistentin: In der Vesperkirche sind verschiedene Fähigkeiten gefragt. Was zeichnet die Arbeit in der Stuttgarter Leonhardskirche aus? Vier Helfer berichten.
In der Vesperkirche arbeiten Menschen mit ganz verschiedenen Berufen zusammen, um denjenigen etwas Gutes zu tun, die wenig haben. Was treibt sie bei ihrer Arbeit in der Leonhardskirche an? Die Helfer interessieren sich für die Lebensgeschichten der Menschen und setzen sich dafür ein, dass niemand aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird.
Anna-Lena Dörrer (28), Diakonin
Wer in die Vesperkirche kommt, trifft oft als Erstes auf Anna-Lena Dörrer. Vier Tage die Woche steht die junge Diakonin gleich gegenüber von der Eingangspforte an der Theke und gibt Essensbons aus. „Wenn jemand reinkommt und über beide Ohren strahlt, weiß ich, weshalb ich meinen Beruf so gerne ausübe,“ sagt sie. Sie strahlt dann zurück, begrüßt jeden einzeln und macht gerne auch mal einen Witz.
Wenn Dörrer nicht an der Theke steht, kümmert sie sich zusammen mit den anderen Diakonen um die Anlieferung des Essens, Nachbestellungen, die Kasse und die Betreuung der Ehrenamtlichen. „Ich genieße die Zusammenarbeit mit den anderen Helfern. Als Diakonin ist man sonst oft Einzelkämpferin“, sagt sie.
Ursprünglich wollte Dörrer Musik- und Religionslehrerin werden, doch dafür hätte sie das Latinum nachholen müssen. Ein freies soziales Jahr in der Heilerziehungspflege brachte die gebürtige Tübingerin auf die Idee, Religionspädagogik und soziale Arbeit zu studieren. Schon in ihrer Kindheit und Jugend hat sie sich am Gemeindeleben beteiligt und war in der Kinderkirche aktiv.
Im Gegensatz zu vielen ihrer Kommilitonen suchte sich Dörrer nach ihrem Studium bewusst keine Stelle in der Jugendarbeit. Sie wollte lieber mit Erwachsenen zusammenarbeiten. Als Gemeindediakonin im Stuttgarter Osten organisiert sie unter anderem das Projekt „Urlaub ohne Koffer“, das sich an Menschen richtet, die nicht die nötigen Mittel haben, zu verreisen. Sie habe den Beruf der Diakonin ergriffen, weil ihr das Gemeinwesen wichtig sei. „Die Kirche richtet sich meistens an die Mittelschicht. Menschen, die nicht ins Schema passen, fühlen sich oft nicht willkommen.“ Dörrer sieht es als ihre Aufgabe an, die Kirche zu öffnen und für alle da zu sein.
„Mich interessieren die Geschichten hinter den Menschen“, sagt sie. Viele der Personen, denen man in der Vesperkirche begegne, hätten früher ein anderes Leben gehabt. „Wenn man die Leute nimmt, wie sie sind, kann man viel über das Leben lernen.“ Trotz der vielen schönen Begegnungen stoße sie hier jedoch manchmal auch an ihre Grenzen. „Es macht mir Angst, wenn Menschen unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehen und ich sie nicht einschätzen kann.“
Hans-Martin Killgens (80), Arzt
Hans-Martin Killgens kommt seit fast sieben Jahren in die Leonhardskirche, so genau kann er das gar nicht mehr sagen. Für den pensionierten Arzt ist die Vesperkirche eine gute Gelegenheit, seine medizinischen Kenntnisse anzuwenden.
Killgens macht sich gerne nützlich. Seine Möglichkeiten sind zwar begrenzt. In seiner Arzttasche befinden sich Verbandsmaterial und Medikamente, von denen nur wenige verschreibungspflichtig sind. Trotzdem hat er alle Hände voll zu tun. Vor dem Raum, in dem er jeden Tag von 13 Uhr bis 14 Uhr 15 Patienten empfängt, bildet sich schon kurz nach seiner Ankunft eine lange Schlange.
Einige Besucher kommen wegen offener Wunden, andere leiden an Magenschmerzen, Hautkrankheiten oder einer schweren Erkältung. Manche suchen ihn auch auf, weil der freundliche Herr ein geduldiger und zugewandter Zuhörer ist. Er nimmt sich für jeden Patienten soviel Zeit, wie nötig.
Killgens kommt aus einer Lehrerfamilie, das Soziale war ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt. Der Glaube war ein weiterer Antrieb, Arzt zu werden. 37 Jahre lang hat er als Arzt in einer Missionsstation in Pakistan gearbeitet. Für ihn war die Medizin eine Brücke, um mit den Menschen in Kontakt zu treten. „Ich glaube an die Liebe zu Gott, zu uns selbst und zu den anderen Menschen“, sagt Killgens.
Uta Heß (47), Fußpflegerin
Uta Heß kommt vor allem wegen der Dankbarkeit, die sie von den Gästen für ihre Arbeit erfährt, seit vier Jahren in die Vesperkirche. Sie weiß, dass es viel mehr zu tun gibt, als sie anbieten kann. Einmal in der Woche schließt die selbstständige Fußpflegerin ihre Praxis, um den Menschen in der Vesperkirche etwas Gutes zu tun.
„Es wird oft unterschätzt, wie wichtig Fußpflege ist“, sagt Heß. Aufgrund schlecht sitzender Schuhe leiden viele der Patienten, die sie in der Vesperkirche behandelt, an zu viel Hornhaut. Auch Hühneraugen und eingewachsene Zehennägel bereiten einigen Menschen große Schmerzen. Es kommt vor, dass Personen, die an einer Suchterkrankung leiden, erst sehr spät bemerken, dass der Fuß wundgescheuert ist. Entzündet sich die Wunde, kann das ernste Konsequenzen haben. „Wer beispielsweise alkoholkrank ist, hat oft mit Durchblutungsstörungen in den Füßen zu kämpfen. Dadurch sind die betreffenden Personen weniger schmerzempfindlich“, erklärt Heß.
Nach der Schule bewarb sich Heß zunächst für eine Ausbildung zur Wirtschaftsfachwirtin. Bei einem sozialen Jahr im Pflegeheim merkte sie jedoch, dass ihr die Arbeit mit Menschen mehr liegt. Seit 1999 ist sie Fußpflegerin. Das Soziale war ihr immer wichtig. „Als ich gehört habe, dass die Vesperkirche keine Fußpflege mehr hat, habe ich nicht lange gezögert. Mein Herz hängt am Kessel.“
„Mir geht es um das Wohlbefinden der Menschen. Es ist immer wieder bewegend zu erleben, wie sehr es die Menschen genießen, dass sich jemand um sie und ihren Körper kümmert“, sagt sie. Es kommen viele ältere Menschen zu ihr, die sich nur schwer bewegen können, aber den Besuch bei einer Fußpflegerin nicht leisten können. „Es hat mich viel Überwindung gekostet, hierherzukommen, aber es hat mir unendlich gutgetan“, sagt eine ältere Dame und drückt Uta Heß die Hand.
Ute Hummel (60), Büroassistentin
Ute Hummel ist seit 2019 als Assistentin von Pfarrerin Gabriele Ehrmann im Diakoniepfarramt tätig. Sie ist für die Buchhaltung zuständig, verwaltet die Spenden, bereitet Sitzungen vor, führt den Terminkalender. Während der sieben Wochen, in denen die Vesperkirche ihre Tore öffnet, kümmert sich Hummel unter anderem um die Einteilung der Ehrenamtlichen. „Es ist unglaublich, wie viele Menschen sich jedes Jahr melden, um zu helfen. Wir haben inzwischen eine Datei mit 800 Namen,“ so Ehrmann.
Vor allem aber ist die Mutter von drei erwachsenen Kindern beim Diakoniepfarramt die erste Anlaufstelle für Menschen in Not. Ute Hummel ist fast immer erreichbar, das ganze Jahr über. Sie hilft, wo sie kann. So telefoniert sie beispielsweise mit der Krankenkasse, hilft bei administrativen Vorgängen und gibt Gutscheine für die Tafel aus. Bei größeren Problemen sucht sie gemeinsam mit Gabriele Ehrmann nach Lösungen. „Letztens haben wir einem Mann geholfen, der zwar eine Wohnung, aber kein Geld für die Einrichtung hatte,“ sagt Hummel. Doch nicht immer kommen Bedürftige nur wegen finanzieller Probleme zu ihr. Viele fühlen sich einsam und freuen sich über ein offenes Ohr. Wenn nötig verweist Hummel die Menschen an andere Hilfseinrichtungen.
Nach der Schule absolviert Hummel zunächst eine Lehre zur Industriekauffrau. Doch dann stellte sie fest, dass die Arbeit ihr zu trocken war. Sie mag den Kontakt zu anderen Menschen. Als sie ein Pfarrer in ihrer Heimatstadt Vaihingen nach der Babypause im Kindergarten ansprach, ob sie als Teilzeitkraft im Sekretariat der Gemeinde arbeiten wolle, sagte sie sofort zu. 18 Jahre lang hat sie dort gearbeitet, bevor sie sich eine neue Herausforderung suchte. An ihrer jetzigen Stelle gefällt ihr am meisten, dass Menschen mit ganz verschiedenen Erfahrungen auf sie zukommen. „Ich habe keine Berührungsängste. Es kommt oft vor, dass ich den Menschen, die zu uns kommen, zufällig in der Stadt begegne. Ich freue mich immer, wenn sie mich erkennen und wir ein paar Worte wechseln.“