Die Taufe von acht ehemaligen Muslimen am Ostersonntag in der Stuttgarter Stiftskirche sorgte für kontroverse Debatten in der Stadt. Foto: Matthias Schiemeyer

Unter den Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, bekennt sich nur eine Minderheit zum christlichen Glauben. In Stuttgart finden viele von ihnen eine Heimat in der arabischen Gemeinde von Pfarrer Hanna Josua. Ein Porträt.

Stuttgart - „Der Pfarrer ist gerade im Urlaub“, berichtet Issam Gerbaka den anwesenden Gottesdienstbesuchern in den Gemeinderäumen der arabischen Gemeinde in Stuttgart. Gemeint ist damit Pfarrer Hanna Josua, ein aus dem Libanon stammender Geistlicher, der als Geschäftsführer der evangelischen Ausländerseelsorge in Württemberg die arabisch-sprechenden Christen in der Region Stuttgart betreut.

Bekanntheit erlangte der ordinierte Pfarrer im Zuge der Taufe von mehreren Konvertiten am Ostersonntag, dem traditionellen Tauftag der Christenheit, in der Stuttgarter Stiftskirche an der Seite von Landesbischof Frank Ottfried July. Viele sahen in der Geste und dem öffentlichen Bekenntnis der ehemaligen Muslime zum christlichen Glauben eine Provokation. „Wir drängen niemanden zur Taufe und gehen dabei behutsam vor“, entgegnet der Theologe seinen Kritikern und weiß Landesbischof July an seiner Seite. „Mit Herrn July stehe ich in regem Austausch. Er steht hinter unserer Arbeit“, fährt Josua fort.

Zur Arbeit des in Deutschland lebenden Libanesen, der 1980 in die Bundesrepublik kam und ursprünglich nur für die Dauer eines Bibelübersetzungsprojekts bleiben wollte, gehört die Betreuung der arabischen Gemeinden in Süddeutschland. Mittlerweile treffen sich auch in Singen, Heilbronn und im fränkischen Weißenburg arabische Christen zum Gottesdienst. „Unter den Flüchtlingen aus der arabischen Welt, die nach Deutschland kommen, sind viele vom Islam enttäuscht sind“, sagt der Nahostexperte. „Einige finden bereits während der Flucht zum Glauben an Jesus, andere kommen in unsere Gottesdienste und wollen mehr wissen“, erklärt Josua den Zuwachs in seinen Gemeinden.

Muslimische Flüchtlinge sind vom Islam enttäuscht

Josua besucht die Gemeinden regelmäßig, hält Predigten, organisiert Freizeiten und ist mit der Vornahme der Kasualien, den kirchlichen Riten wie Taufe, Konfirmation, Trauung und Bestattung beauftragt. Außerdem gilt er als ausgewiesener Kenner der islamischen Theologie und ist in Zeiten der Flüchtlingskrise ein gefragter Redner.

Als der arabische Pfarrer, der bei dem mehrstündigen Gespräch mit wohlüberlegten Sätzen antwortet, Anfang der achtziger Jahre nach Deutschland kam, wollte er ursprünglich nur für wenige Jahre dem Bürgerkrieg in seiner libanesischen Heimat entfliehen. Daran, dass er noch immer in Deutschland lebt, seien die Schwaben schuld. „In Deutschland habe ich meine Frau Heidi getroffen. Wir haben geheiratet und ich bin in hier geblieben“, berichtet Josua. Mittlerweile erblindet, absolvierte der fünffache Familienvater, der bereits im Libanon Geschichte und Politikwissenschaften studiert hatte, eine Ausbildung zum Diakon und Prediger an der evangelischen Missionsschule in Unterweissach.

Neben seinem Dienst als Pfarrer und Seelsorger fungiert Josua seit einiger Zeit auch als Anlaufstelle für geflohene Flüchtlinge in der Region Stuttgart. „Immer mal wieder kommt es vor, dass ich für eine Behörde ein Gutachten schreibe“, erzählt der Geistliche. Immer mehr Flüchtlinge würden sich den arabischen Gemeinden anschließen und Interesse am christlichen Glauben zeigen. „Viele, die geflohen sind, haben erlebt, wie der Islam in ihren Heimatländern für Krieg und Gewalt gesorgt hat. Auf der Flucht und auch in Deutschland erfahren dieses Menschen dann eine große Liebe und Unterstützung von Seiten der Christen“, berichtet der Seelsorger.

Stadt reagiert auf Mobbing in Flüchtlingsunterkunft

In Deutschland stoßen die christlichen Flüchtlinge oftmals auf wenig Begeisterung bei ihren muslimischen Landsleuten. „In den Gemeinschaftsunterkünften herrschen unangenehme Zustände für die Christen. Es kommt zu Beleidigungen, Beschimpfungen und anderen Diskriminierungen von Seiten einzelner radikaler Muslime“, weiß Josua zu berichten.

Die Stuttgarter Stadtverwaltung hat darauf reagiert und 30 christliche Flüchtlingen in eine neue Unterkunft in Neugereut verlegt. Weiterhin setzt sich die Stadtverwaltung aber für ein friedliches Miteinander der Religionen ein und lehnt „Monostrukturen“ ab. „Wir haben keine Erkenntnisse, dass es in unseren Unterkünften strukturell bedingte Diskriminierungen gibt“, heißt es dazu in einer Stellungnahme der Stadt.

Pfarrer Josua, der beinahe täglich mit Flüchtlingen spricht, kennt die Situation der christlichen Flüchtlingen in den Unterkünften: „Für radikale Muslime aus Syrien sind Christen Kollaborateure des Assad-Regimes und deswegen Verräter der syrischen Sache. Das bekommen sie dann auch in Deutschland zu spüren“.

Orientalische Christen fordern Kirche und Gesellschaft heraus

Deswegen kam es im Oktober 2015 zu einer Stellungnahme der evangelischen Ausländerseelsorge, in der Josua fünf „Forderungen orientalischer Christen an Kirche und Gesellschaft“ formulierte. Darin appelliert die Gemeinschaft unter anderem, die Flucht von orientalischen Christen nach Europa und Deutschland zu erleichtern, Flüchtlinge zu beherbergen und Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Besonders wichtig ist den Urhebern die „Sicherheit in Gemeinschaftsunterkünften für die christliche Minderheit“.

Tatsächlich stehen den Christen in den meisten Gemeinschaftsunterkünften eine weitaus größere Zahl an Muslimen gegenüber. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beziffert den Anteil der muslimischen Erstantragsteller im Jahr 2015 auf mehr als 73 Prozent. Rund 14 Prozent der Registrierten des Vorjahres waren Christen, vier Prozent Jesiden.

Einer, der als ehemaliger Muslim in einer Stuttgarter Unterkunft lebt, ist John (Name geändert). Der Mittvierziger stammt aus einer Stadt, die südlich von Damaskus liegt. Bis zu seiner Flucht, die ihn über den Libanon, die Türkei und Griechenland schließlich auf der Balkanroute nach Deutschland führte, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Großhändler. John war einer der acht ehemaligen Muslime, die an Ostern in der Stiftskirche getauft wurden.

Keine normale Gemeinde

„Ich habe mich schon vor dem Krieg in Syrien für Religion interessiert“, erzählt der Kulturmuslim. „Während meiner Flucht hatte ich dann viele Erfahrungen mit Christen, die mich beeindruckt haben. Ich konnte die Liebe, die sie für mich hatten, spüren“, fährt der Syrer fort und ergänzt: „Diese Erlebnisse und viele persönliche Erfahrungen mit Jesus haben dann dazu geführt, dass ich Christ wurde“.

Nun freue er sich, zu einer christlichen Gemeinde zu gehören. Auf wenig Gegenliebe stieß Johns Konversion jedoch bei seinen Mitbewohnern in der Gemeinschaftsunterkunft. „Muslime, die wissen, dass ich nun als Christ lebe, wollen mich provozieren“, erzählt der Familienvater. Zwar habe er in der Unterkunft keine Angst um sein Leben, meidet diese aber trotzdem so oft es geht. „Ich versuche, Situationen, die eskalieren könnten, aus dem Weg zu gehen“, beschreibt der Christ sein Verhalten.

Umso mehr genieße er die Zeit im Gottesdienst und Bibelstudium. Am Tag des Interviews kommt er aufgewühlt aus Karlsruhe zurück, wo er einen Termin beim Bundesamt hatte. Issam Gerbaka, der selbst aus Syrien kommt und als Assistent für Pfarrer Josua arbeitet, versucht ihn zu beruhigen und nimmt sich Zeit für ihn. „Man kann sich vorstellen, dass wir keine normale Gemeinde sind. Viele unsere Gottesdienstbesucher haben Familienangehörige in den Kriegsgebieten und sind in Sorge um sie“, erklärt Josua.

Keine Integrationsversuche in den Flüchtlingsunterkünften

Auch John weiß seine Familie nicht in Sicherheit. Er fürchtet, dass ihr bei Bekanntwerden seiner Konversion zum Christentum Gefahr drohe und möchte sie deshalb nach Deutschland holen. „Einer seiner Verwandten ist ein hoher muslimischer Geistlicher“, erklärt Josua den Grund seiner Sorgen.

„Die Debatte um den Schutz christlicher Flüchtlinge in den staatlichen Unterkünften führen wir nicht auf den Scherben des Islams; der christliche Glaube hat selbst eine große Kraft“, betont Josua, der sich um das Wohl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge sorgt. „Wir müssen aber jedem, der hier leben möchte, klar machen, dass er sich an die geltenden Regeln zu halten hat. Die Flüchtlingsunterkünfte dürfen nicht zu Zonen werden, wo auf dem Rücken von Minderheiten Integration ausprobiert wird“, fordert der gebürtige Libanese und hofft, damit in der Politik auf Gehör zu stoßen.