Bittere Pille: Arzneimittel in Deutschland werden knapp. Foto: dpa/Hans-Jürgen Wiedl

Das Problem der Arzneimittel-Knappheit werde immer drängender, wissen Apotheker zu berichten. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg ist in Sorge und fordert eine nationale Reserve.

Filder - Für manche Menschen bedeutet das Wort „Venlafaxin“, gut leben zu können. Denn es ist der Name eines Medikaments für Menschen, die zum Beispiel an Depressionen leiden. Doch seit einigen Monaten ist es kaum noch zu bekommen. „Für die Patienten ist das wirklich nicht schön“, sagt Britta Eckhardt. Sie ist die Inhaberin der Paracelsus-Apotheke in Plieningen und weiß um den immer akuter werdenden Medikamentenmangel.

Kritik gibt es auch von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). „Es ist nicht zu vermitteln, dass ein Land wie Deutschland nicht in der Lage ist, eine adäquate Versorgung mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Die Menschen und die Unternehmen bezahlen einen hohen Beitrag ins Gesundheitssystem, da dürfen sie auch ein entsprechendes Versorgungsniveau erwarten.“ So wird der Präsident Wolfgang Miller in einer Pressemitteilung zitiert. In dieser ist von 274 Humanarzneimitteln die Rede, bei denen es im November Lieferengpässe gegeben habe – Impfstoffe nicht eingerechnet.

Es ist ein erheblicher Mehraufwand für die Apotheker

Zwischen den Feiertagen sei es besonders schlimm gewesen, sagt Britta Eckhardt. Denn da hatten viele Praxen geschlossen. Für die Apothekerin bedeutete das, dass wenn ein Medikament nicht verfügbar war, sie keine Rücksprache mit dem behandelnden Arzt halten konnte, was sie dem Patienten stattdessen geben soll. „Dann muss der Betroffene unter Umständen zum Vertretungsarzt und sich ein anderes Rezept holen oder aber warten“, sagt Eckhardt. Warten, bis das Medikament wieder zu haben beziehungsweise bis der Doktor aus dem Urlaub zurück ist. Wohl dem, der das kann. „Für die Patienten ist das wirklich unangenehm“, sagt die Plieninger Apothekerin.

Für sie und ihre Kollegen ist es ein erheblicher Mehraufwand, wenn ein Arzneimittel nicht lieferbar ist. „Wir müssen dann abchecken, ob noch irgendwo irgendwas lieferbar ist. Wir müssen viel telefonieren, um noch einmal mit den behandelnden Ärzten zu sprechen. Wir müssen alles auf den Rezepten vermerken“, zählt sie einige Punkte auf und ergänzt: „Wir tun wirklich, was wir können.“ Der Möhringer Apotheker Volkhard Lechler schätzt, dass er täglich mehrere Stunden mit solchen Dingen verbringt. Seiner Meinung nach ist die Politik gefragt, etwas an der unbefriedigenden Situation zu ändern. Denn die Ursachen seien hausgemacht.

Der Patient hat das Nachsehen

Kai Sonntag, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der KVBW, spricht von einem „Strauß an Gründen“. Richtig sei, dass „es über viele Jahre hinweg Maßnahmen gegeben hat, um die Kosten für die Arzneimittelversorgung zu senken“. Dazu zählen auch die Rabattverträge der Krankenkassen mit den Arzneimittelherstellern. Das bedeutet, dass die Krankenkassen mit den Konzernen vereinbaren, zu welchem Preis ein bestimmtes Medikament abgegeben wird. Ärzte sind zunächst verpflichtet, dieses dann günstigere Medikament zu verschreiben. Nur wenn es einen triftigen Grund gibt, wie zum Beispiel eine Unverträglichkeit, darf er auf dem Rezept ein anderes Arzneimittel nennen. Diese Abmachungen können dazu führen, dass andere Hersteller gleichwertige Arzneimittel nur in geringen Umfängen produzieren. Denn sie müssen damit rechnen, dass sie diese nicht loswerden. Gibt es aber dann bei dem einen Hersteller Probleme, wird es schnell schwierig, Alternativen zu finden.

Der Patient hat das Nachsehen. „Viele Kunden können nicht verstehen, warum ihr Medikament nicht verfügbar ist. Manche geben uns dafür die Schuld. Wir als Apotheker stehen da nicht gut da, obwohl wir nichts für die Misere können“, sagt Britta Eckhardt. „Wirtschaftliche Zwänge im Gesundheitssystem werden nur schwer akzeptiert“, bestätigt auch Kai Sonntag. Der Verbraucher sei der Meinung, dass Geld für so wichtige Dinge wie Medikamente doch da sein müsse – und im Grunde habe er damit recht. „Nur, das Geld muss trotzdem irgendwo herkommen“, sagt Sonntag. Und die Politik verfolge seit Jahren die Maxime, die Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse stabil zu halten, und auch für diese Maxime gebe es Gründe. „Es ist ein sehr komplexes System“, so Sonntags Fazit.

Engpässe durch Handelskriege sind eine potenzielle Gefahr

Die KVBW geißelt auch, dass mittlerweile viele Medikamente im Ausland produziert werden. „Uns bereitet Sorge, dass wir heute in einem so elementaren Bereich abhängig sind. Wir wollen uns nicht vorstellen, was passieren würde, wenn die derzeit zu beobachtenden Handelskriege im Bereich Medikamente, zum Beispiel bei Antibiotika und bei Medikamenten der Krebsbehandlung, bei denen eine hohe Importabhängigkeit herrscht, ausgetragen würden“, so Wolfgang Miller. Engpässe durch Handelskriege seien eine potenzielle Gefahr, erklärt Sonntag und ergänzt: „Bei bestimmten Arzneimitteln können wir uns einfach keine Engpässe leisten.“ Die KVBW fordert daher eine nationale Arzneimittelreserve. Welche Medikamente in welchem Umfang vorgehalten werden müssen, sollte künftig von Ärzten, Apothekern und der Politik gemeinsam mit Kostenträgern und Pharmaunternehmen festgelegt werden, so das Plädoyer. Alle Probleme wären damit aber noch nicht gelöst.