"Whistleblower" Edward Snowden Foto: dpa

Das Vertrauen ihrer Mandanten ist für Anwälte unverzichtbar. Sie sind daher besorgt wegen der NSA-Spähaffäre. Das Thema ist einer der Schwerpunkte beim Deutschen Anwaltstag in Stuttgart. Anwalt Wolfgang Ewer spricht über Recht und Unrecht im Internetzeitalter.

Das Vertrauen ihrer Mandanten ist für Anwälte unverzichtbar. Sie sind daher besorgt wegen der NSA-Spähaffäre. Das Thema ist einer der Schwerpunkte beim Deutschen Anwaltstag in Stuttgart. Anwalt Wolfgang Ewer spricht über Recht und Unrecht im Internetzeitalter.
 
Stuttgart - Herr Ewer, der Deutsche Anwaltstag in Stuttgart steht unter dem Motto „Freiheit gestalten“, worum soll es gehen?
Freiheitsrechte der Bürger können auf unterschiedliche Weise infrage gestellt werden: durch Lauschangriffe von Geheimdienste zum Beispiel, aber auch durch mögliche Einschränkungen des Schutzes des Mandatsgeheimnisses durch den Gesetzgeber. Und durch die Datensammelwut von Internetkonzernen.
Bleiben wir bei den Geheimdiensten. Für die Bürger ist es kaum verständlich, wenn der Generalbundesanwalt zunächst nur wegen der NSA-Überwachung des Kanzlerinnen-Handys ermitteln will, nicht aber wegen der flächendeckenden Ausspähung von Telekommunikationsdaten.
Ich habe absolutes Verständnis dafür, wenn die Bürger darüber verärgert sind. Der Abhörfall Kanzlerinnen-Handy stellt ja nur die Spitze eines Eisbergs dar. Tatsächlich aber stellen die Mithöraktionen der Dienste ein umfassendes Eindringen in die vertrauliche Korrespondenz von Millionen Bürgern dar.
Hätten Sie also gleich ein generelles Ermittlungsverfahren gegen alle NSA-Ausforschungen erwartet?
Grundsätzlich muss man sicher über den Merkel-Fall hinaus ermitteln – strafrechtlich wie im Rahmen des Ermittlungsausschusses des Bundestags. Ganz zentral ist es, der Frage nachzugehen, ob zwischen deutschen und ausländischen Diensten ein Ringtausch stattgefunden hat oder gar üblich ist.
Warum?
Die US-Dienste haben gegenüber Ausländern viel größere Befugnisse als gegenüber US-Bürgern. Umgekehrt ist das in Deutschland ähnlich. Wenn durch gezielte Kooperationen nationale Schranken umgangen würden, wäre das ein sehr ernstes Problem. Es kann nicht sein, dass sich deutsche Dienste dadurch Daten verschaffen, die sie selbst aus gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Gründen nicht erheben dürfen.
Ist es nicht völlig unverständlich, wenn fast gleichzeitig zu der NSA-Debatte der Bundesnachrichtendienst (BND) gerade ankündigt, seine Ausforschung der sozialen Netzwerke zu intensivieren? Er investiert dafür erhebliche Mittel.
Absolut. Die Aktivitäten der Bürger im Internet lassen sehr weitreichende Rückschlüsse und Einblicke in teilweise höchst persönliche Situationen zu. Das hatte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu Online-Durchsuchungen ja seinerzeit dazu geführt, von einem Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme auszugehen. Aus den Rechnerdaten kann ein Spiegelbild des Benutzers erstellt werden. Das ist ein unbedingt schutzwürdiger Bereich.
Brauchen wir eine Reform des BND-Gesetzes?
Ich glaube, dass es bei allen Gesetzen, die Dienste betreffen, also auch bei den Regelungen zum Militärischen Abschirmdienst (MAD) und zum Verfassungsschutz, notwendig ist, die Eingriffsbefugnisse zu präzisieren. Dabei müssen die Voraussetzungen und möglichen Inhalte der Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten transparent und klar definiert werden. Zudem hat der Einzelne zurzeit nur eine sehr eingeschränkte Chance, im Nachhinein zu erfahren, was Dienste über ihn erhoben haben. Auch das muss verbessert werden.
Es gibt einen regelrechten Eiertanz um die Frage, ob der entscheidende Zeuge für die NSA-Aktivitäten überhaupt verhört werden soll.
Ich halte die Vernehmung von Edward Snowden für unverzichtbar. Gerade weil er zur Aufklärung möglicher Kooperationen deutscher Dienste beitragen könnte. Wo er vernommen wird, finde ich nicht so wichtig. Aber die Vernehmung ist zwingend.
Müssen die Bürger im digitalen Zeitalter einfach akzeptieren, dass es durch die grenzenlose Öffentlichkeit des Netzes zwangsläufig einen neuen – vielleicht eingeschränkteren – Begriff von Privatheit gibt?
Das Problem hat zwei Seiten. Rechtlich muss der Einzelne gegenüber den großen Anbietermächten des Internets gestärkt werden. Da spielt zum Beispiel die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes eine große Rolle, die das Recht auf Vergessen betont. Das heißt, dass auch zutreffende Angaben, also nicht etwa nur diffamierende oder herabsetzende Nachreden, irgendwann nicht mehr im Netz allgemein zugänglich sein dürfen – beim Urteil ging es konkret um die Nachricht über eine weit zurückliegende Zwangsversteigerung. Nun ist ein Anspruch festgeschrieben, dass so etwas nach einer bestimmten Frist nicht mehr immer wieder von Suchmaschinen ausgegraben und angezeigt werden darf.
Und die andere Seite?
Der Einzelne muss ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass alles, was er im Internet tut, Spuren hinterlässt, die zu einem Profil verdichtet werden können. Die Nutzer müssen wissen, dass sie sich da zum einem gewissen Grad gläsern machen.
In Europa und den USA stoßen deutlich andere Sichtweisen der Freiheit des Einzelnen und der Schutzfunktion des Staates aufeinander.
So ist es. Aber das Internet mit seinen Datenströmen macht eben an Staatsgrenzen nicht halt.
Sehen Sie dennoch Defizite bei der nationalen Gesetzgebung?
In bestimmten Bereichen auf jeden Fall. Aus beruflicher Betroffenheit nenne ich die vollständige Absicherung des Anwaltsgeheimnisses. Ein Mandant wird sich nur einem Anwalt anvertrauen, wenn er sicher sein kann, dass diese Gespräche stets vertraulich bleiben. Da brauchen wir dringend eindeutige Regelungen in den Sicherheitsgesetzen der Länder.
Wodurch sehen Sie das Mandatsgeheimnis bedroht?
Es geht um die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Fernmeldeverkehr unter Anwälten und Mandanten überwacht werden darf. Nur wenn der Mandant von absoluter Vertraulichkeit ausgehen kann, wird er sich auch in bestimmten Konflikten für den vom Recht vorgezeichneten Weg entscheiden. Denken Sie an das Beispiel: Rückkehr zur Rechtsordnung durch eine Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung.