Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter will eine Mengenbeschränkung für Milch und fordert die Agrarwende.

Stuttgart -

Herr Hofreiter, wie finden die Milchviehhalter aus der Krise?
Angebot und Nachfrage müssen ins Gleichgewicht. Die alte Milchquote war starr und hat nichts gebracht. Unser Vorschlag gleicht einem atmenden Deckel, wenn die Produktion beispielsweise 103 oder 104 Prozent der Nachfrage beträgt, sollten die Produzenten gesetzlich verpflichtet werden, die Mengen um drei bis vier Prozent zu senken. Freiwillig passiert das nicht, wenn ein Landwirt reduziert und der andere nicht, funktioniert das System nicht. Ihre Milchmengen können die Viehhalter relativ gut steuern. Etwa wenn sie weniger proteinhaltiges Futter geben, gibt die Kuh weniger Milch. Aber eine nationale Mengensteuerung kann nur der Anfang sein, die EU muss umsteuern. Wir wissen, dass Deutschland als einer der größten Produzenten da Einfluss hat. Schauen Sie nach Frankreich, da gab es Proteste gegen unsere billige Milch. Für die Milchbauern geht es so nicht weiter, sie erhalten nur 20 bis 25 Cent für den Liter – die Hälfte der Produktionskosten.
Sie verlangen die Agrarwende mit regionaler, nachhaltiger Produktion – ist das nicht eine Abkehr von der Globalisierung?
Ja, das trifft in Teilen zu. Wir sind für eine stärkere Regionalisierung der Lebensmittelproduktion, wir glauben, dass die sogenannte Ernährungssouveränität ein moderner Ansatz ist. Regionen sollten ihre wichtigsten Lebensmittel selbst herstellen – natürlich im Austausch mit anderen. Im Grünlandgürtel von Süddeutschland wird man nicht das gesamte Getreide erzeugen und natürlich können Südfrüchte nicht hierzulande produziert werden. Unsere starke Exportorientierung auf den internationalen Agrarmarkt hat mit den EU-Subventionen zu tun. Im Moment erhalten drei bis vier Prozent der großen Betriebe ein Viertel der Gelder. Wir wollen Subventionen verteilen nach dem Motto, öffentliches Geld für öffentliche Güter. Das heißt: Naturschutz, Landschaftsschutz und Tierwohl sollten gefördert werden – nicht die schiere Größe eines Betriebes. Für tierische Produkte brauchen wir eine klare, abgestufte Qualitäts- und Regionalkennzeichnung ähnlich wie bei den Eiern. Ob die Kühe auf der Weide sind, sich Schweine auf der Wiese suhlen können oder nur die gesetzlichen Mindeststandards fürs Tierwohl eingehalten werden muss erkennbar sein. Und manches gehört einfach verboten: Etwa der Import von gentechnisch verändertem Soja aus Südamerika, das auf Böden gewonnen worden ist, von denen zuvor indigene Völker oder Kleinbauern gewaltsam vertrieben worden sind. Wir brauchen selbst für Kraftfutter menschenrechtliche Standards, eine Verantwortung in der Lieferkette.
Brauchen wir nicht global gesehen eine Steigerung der Agrarproduktion?

Die große Frage ist: Wie gelingt es uns, bald neun oder zehn Milliarden Menschen satt zu bekommen, ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. So wie die Landwirtschaft heute weltweit betrieben wird, kann uns beides nicht gelingen. Wir brauchen eine grüne Agrarwende, die kleinbäuerliche Strukturen erhält und die auf nachhaltige Produktion setzt.

Sie wollen raus aus der Massentierhaltung – aber haben Großbetriebe nicht einen Bestandsschutz und wie steht es um die ausländische Konkurrenz, die billiger anbieten wird?
Erst einmal kämpfe ich dafür, dass dieses Problem nicht noch weiter verschärft wird. Mit den Freihandelsabkommen TTIP und CETA würde das Höfesterben noch einmal dramatisch angekurbelt. Die Höfe in den USA sind noch mal größer und industrieller ausgerichtet als hier. Auch deshalb lehnen wir die Abkommen ab. Die TTIP-Verhandlungen gehören beendet. Baden-Württemberg beispielsweise hat noch viele kleinere Betriebe, die wären gefährdet. Für den Ausstieg aus der industriellen Massentierhaltung wollen wir die Bauern mitnehmen, eine Übergangszeit von 20 Jahren einräumen. Wer seinen Stall tiergerecht umbaut, soll eine Förderung erhalten.
Hängt das Wohl der Tiere von der Stallgröße ab?
Das ist zuerst eine Frage der Haltung. Haben Tiere Auslauf, werden ihnen Körperteile amputiert, nur damit sie in viel zu engen Ställe passen? Es ist sicher schwierig, einen Stall für 10 000 Schweine zu bauen, indem die Tiere genug Platz und Luft haben. Aber auch in größeren Betrieben können Tiere anständig gehalten werden, wenn es genug Fläche, genug und qualifiziertes Personal und eine gute Haltung gibt. Ich kenne zum Beispiel einen Demeter-Hof mit 600 Rinder, die alle auf die Weide dürfen. Im Gegensatz dazu werden viel zu oft die Ställe nicht den Bedürfnissen der Tiere angepasst, sondern umgekehrt. Das finde ich nicht in Ordnung.
Die klimaschädigende Wirkung des global ansteigenden Fleischkonsums ist bekannt – darf man den Konsumenten einschränken?
Ich will Gesetze für den Stall, nicht für den Küchentisch. Man muss die Art und Weise regeln, wie Fleisch produziert wird. Würde überall so viel Fleisch produziert und gegessen wie in Deutschland, bräuchten wir zwei Erden. Ein Kilo Schweinefleisch benötigt für den gleichen Kalorienwert die siebenfache Anbaufläche an Futter wie ein Kilo Getreide. Die ökologischen Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft sind immens: 30 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht – was auch an den hohen Pestizidmengen liegt. Die Ökosysteme werden dadurch instabil. Bei manchen Feldvogelarten haben wir einen Rückgang um 90 Prozent in 20 Jahren. Die Gülleausbringung belastet das Grundwasser. Methan und Lachgasemissionen aus der Landwirtschaft tragen zur Klimakrise bei, der Grünlandumbruch ebenso.
Sie haben ein Buch mit dem Titel „Fleischfabrik Deutschland“ geschrieben. Ist das nicht ein hübsch verpacktes Plädoyer für den Veggie-Day?
Nein, man löst das Problem nicht dadurch, dass man einmal in der Woche kein Fleisch isst und sich an den anderen sechs Tagen einen Braten reinzieht, der aus Massentierhaltung stammt, in der Tiere mit Antibiotika vollgepumpt werden, den Tieren die Schwänze kupiert oder die Schnäbel abgeschnitten werden. Ich plädiere dafür, Fleisch bewusster zu konsumieren. Ich persönlich esse auch Fleisch, ich koche gerne, kaufe beim Bio-Metzger. Aber wenn ich unterwegs bin, denke ich auch nicht ständig: Oh Gott, was esse ich gerade? Ich stamme aus einer traditionellen Familie in Bayern, da gab es freitags Fisch, samstags Suppenfleisch und Sonntag einen Brten – von Montag bis Donnerstag gab es kaum Fleisch.
Nochmals zu TTIP. Ein Schiedsgericht hat zugunsten von Uruguay und gegen die US-Tabakindustrie entschieden. Nimmt das nicht den Gegnern den Wind aus den Segeln?
Ein einziges Urteil, bei dem ein Konzern verloren hat, ist noch kein starkes Argument für TTIP. Ich kann nicht erkennen, warum wir internationale Schiedsgerichte brauchen, wenn wir ein starkes, öffentliches Gerichtswesen in Deutschland haben. Diese Schiedsgerichte waren entwickelt worden für Länder, deren Justiz käuflich, korrupt und inkompetent ist. Das trifft für Deutschland doch gar nicht zu. Wenn wir die große Errungenschaft eines Rechtsstaates haben, warum sollten wir ein schlechteres, intransparentes und den Konzernen dienendes Justizsystem daneben stellen?
Wirtschaftsminister Gabriel kämpft für die Tengelmann-Edeka-Fusion. Ist das nicht ein arbeitnehmerfreundliches Unterfangen?
Nein, das ist es nicht. Gabriel hat die Fusion so dilettantisch angepackt, dass er jetzt ein Gerichtsurteil kassierte, das seine Ministererlaubnis aufgehoben hat. Auch Rewe hatte ein Angebot gemacht. Die Arbeitnehmer sind jetzt noch stärker verunsichert, außerdem gab es in der Fusion keine Garantie für die Arbeitsplätze. Die stärkere Marktmacht der großen Konzerne – die Gabriel erlauben wollte – hätte dazu geführt, dass die bäuerlichen Produzenten noch stärker unter Druck gesetzt werden können. Wir haben heute schon eine extreme Konzentration auf dem Lebensmittelmarkt. Landwirte erzielen keine auskömmlichen Preise mehr. Im Übrigen kommt hinzu, dass Rewe Gabriel unwahre Behauptungen unterstellt. Wir erwarten, dass der Wirtschaftsminister zügig aufklärt, was da war. Ich will wissen: Wer sagt die Wahrheit?
Warum sind die Grünen bei den Bauern nicht sonderlich beliebt?
Wir haben zu den Biobauern einen sehr guten Draht, auch zum Verband der Milchviehhalter. Sie erkennen, dass die Grünen ein offenes Ohr für ihre Nöte haben – und zwar als einzige Partei. Wir sind dagegen oft im Streit mit dem Bauernverband, der schon lange nicht mehr die kleinen und mittleren Bauern vertritt, sondern die Interessen der Fleischkonzerne, der Chemieunternehmen wie Monsanto oder BASF sowie die der Molkereien. Für Molkereien ist es doch super, wenn sie ihren Rohstoff für 20 Cent erhalten, da lassen sich toll neue Absatzmärkte erobern. Übrigens ist Kanzlerin Merkel in Mecklenburg-Vorpommern einmal mit einer Demonstration konfrontiert worden. Da hielten Bauern ein Plakat: „Wir können besser unter den Auflagen der Grünen leiden, als unter der CDU sterben.“