Beschimpfungen im Internet setzen nach Angaben des Antisemitismusbeauftragten Michael Blume vielen Juden im Südwesten zu. Foto: dpa

Hetze im Internet, Mobbing an Schulen, Angriffe auf religiöse Symbole - all das setzt Juden im Südwesten zu. Aus Furcht vor Anfeindungen wählen einige die Flucht in die Anonymität.

Karlsruhe/Stuttgart - Der Hass begegnet Misha im Internet. Er zeigt sich in Nachrichten-Headlines wie diesen: „Kippa-Träger mit Gürtel attackiert“ oder „Israelische Flaggen verbrannt“. Vor allem aber schlägt er ihm aus den Kommentarspalten sozialer Netzwerke entgegen. Immer wieder gebe es dort Beleidigungen und Hetze gegen Juden. „Der Antisemitismus hat neue, aggressive Züge angenommen,“ sagt er. Auch in Baden-Württemberg.

Misha ist Ende 30 und lebt in Karlsruhe. Er selbst wurde noch nie beschimpft oder angegangen, weil er jüdisch ist. Trotzdem hat er das Gefühl, es könnte jederzeit passieren. Zwar besucht er die Synagoge in der Stadt, aber: „Ich würde nicht mit einer Kippa durch Karlsruhe laufen.“ Zu groß ist seine Angst, deswegen angegriffen zu werden. Er verzichtet auch auf andere religiöse Symbole, wie etwa einen Davidstern. „In der Öffentlichkeit bin ich normalerweise nicht als Jude zu erkennen“, sagt er. Das ist sein Schutz. Auch seinen Nachnamen möchte er daher lieber nicht veröffentlicht sehen.

Das kürzlich vorgelegte Ergebnis einer Studie der Technischen Universität Berlin ist alarmierend: Demnach werden im Netz täglich Tausende von antisemitischen Äußerungen gepostet - Juden werden als „Kindermörder“, „verdorbenes Volk“, „das größte Elend der Menschheit“ beschimpft. Das hat nicht nur bei Misha Spuren hinterlassen.

Die Beschimpfungen und Drohungen setzen vielen Juden zu

„Wir müssen den digitalen Hass sehr ernst nehmen“, sagt der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume. Die Beschimpfungen und Drohungen würden vielen Juden zusetzen. Bedient würden im Netz vor allem Stereotype wie die „jüdischen Weltverschwörung“. „Das Medium ist neu, aber die Inhalte sehr alt.“ Die größte Gefahr seiner Meinung nach: Der Verbreitung im Internet könnten Gewalttaten im echten Leben folgen.

Anfang Juni stieß Misha beim Surfen in sozialen Medien auf den Post eines Studenten aus Mannheim. Darin schilderte der einen Vorfall in der Unibibliothek: Unbekannte hatten auf ein Flipchart ein Hakenkreuz gemalt. „Juden gehören vergast“ stand darunter. Der Fall wurde angezeigt, die Uni veröffentlichte eine Stellungnahme.

Angesichts solcher Beispiele kann Alexandra Poljak verstehen, warum sich viele ihrer Kommilitonen öffentlich nicht als Juden zu erkennen geben wollen. Die 22-Jährige ist Vorsitzende des Bundes jüdischer Studenten Badens und hatte wegen der antisemitischen Schmiererei ein Gespräch mit dem Direktor. Die Bedenken reichen so weit, dass sich jemand aus ihrem Bekanntenkreis gegen ein Auslandssemester in Israel entschied - er fürchtete, für einen Arbeitgeber könnte das später ein Ausschlusskriterium sein, wie Poljak berichtete. Sie selbst trägt einen Davidstern offen an einer Kette um den Hals. „Ich finde es wichtig, darüber zu reden und den Leuten zu zeigen, dass hier noch Juden leben.“

Kritik an der Politik Israels wird oft auf die jüdischen Gemeinden übertragen

Im vergangenen Jahr gab es in Baden-Württemberg 99 antisemitische Straftaten, etwa so viele wie schon 2016. Wobei nur jene Fälle gezählt werden, die strafrechtlich relevant sind und angezeigt wurden. So seien in diesem Jahr auf einem jüdischen Friedhof in Stuttgart Grabsteine umgeschmissen worden, erzählt Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW). „Bei uns herrscht keine Panikstimmung„, sagt sie zwar. Doch auch sie registriert eine wachsende Verunsicherung unter manchen Gemeindemitgliedern. „Man ist einfach wachsamer als früher.“ Die Schutzvorrichtungen am Eingangsbereich des Gemeindezentrums in Stuttgart wurden vorsorglich verbessert.

Dazu kommt: Kritik an der Politik Israels wird oft auf die jüdischen Gemeinden übertragen. Zuletzt reichte bereits die Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen - kurz darauf ging Traub zufolge bei der IRGW eine Hassmail ein.

Auch an Schulen ist Antisemitismus ein Problem. „Wir haben von Fällen gehört, in denen Schüler aus Angst nicht mehr den jüdischen Religionsunterricht besuchen„, sagt Traub. In Freiburg hat Anna Nedlin-Lehrer Beispiele zusammengetragen. Die 31-Jährige leitete früher das Jugendzentrum der dortigen jüdischen Gemeinde. Ehemalige Schützlinge berichteten ihr von Mobbing, Handgreiflichkeiten und tendenziösen Äußerungen von Lehrern. „Es war vor allem die Bandbreite, die mich erschreckt hat“, sagt sie.

„Lange Zeit haben wir so getan, als hätten wir keine Probleme mehr mit Antisemitismus“

In einem Fall habe ein Lehrer im Unterricht nach der Pogromnacht gefragt. Als niemand aus der Klasse wusste, was damit gemeint war, habe er sich an eine jüdische Schülerin gewandt: „Gerade du müsstest das doch wissen.“ Nedlin-Lehrer findet: „Von den Schülern wird viel verlangt. Sie sollen antisemitische Äußerungen als solche erkennen und selbst melden.“

„Lange Zeit haben wir so getan, als hätten wir keine Probleme mehr mit Antisemitismus“, sagt Religionswissenschaftler Blume. „Heute sind wir da weiter.“ Er setzt auf Aufklärungsarbeit an den Schulen, aber auch im Internet: „Eine Weltverschwörung gibt es nicht, wir können uns gezielt gegen falsche Behauptungen stellen und informieren.“