Antibiotika werden teilweise unnötigerweise genommen. Foto: dpa / Friso Gentsch

35 000 Menschen sterben in der EU jedes Jahr an einer Infektion mit Bakterien, gegen die keine Antibiotika helfen. Weltweit sind es fast 1,3 Millionen. Im Rahmen des European Antibiotic Awareness Day am 18. November ruft die EU zum verantwortungsvollen Umgang mit diesen Medikamenten auf. Was Wissenschaftler dazu sagen.

Die gute Nachricht untermalt Tim Eckmanns mit einer Linie, die nach unten weist. Das Diagramm zeigt den Anteil resistenter Proben des Bakteriums Staphylococcus aureus, die gegen das Antibiotikum Meticillin resistent sind. Dieser in Fachkreisen unter dem Kürzel MRSA bekannte Keim gilt als Ursache vieler gefährlicher Krankenhausinfektionen.

 

Eckmanns ist beim Robert Koch-Institut für die Überwachung von Antibiotikaresistenzen verantwortlich. In seiner Grafik kann man sehen, dass in Deutschland etwa um 2005 herum mehr als 20 Prozent der Staphyloccous-aureus-Proben von Patienten eine Resistenz gegen Meticillin aufwiesen. „2021 waren es dagegen nur noch rund fünf Prozent“, so Eckmanns.

„MRSA stellt in Deutschland aus klinischer Sicht kein großes Problem mehr dar“, bestätigt Mathias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena. Als Gründe für den Rückgang nennt er eine bessere Hygiene auf den Stationen und den zielgenaueren Einsatz von Antibiotika. Unnötige Antibiotika-Gaben gelten als Hauptgrund für die Entstehung von Resistenzen. Ein weiterer Faktor ist der routinemäßige Einsatz solcher Präparate in der Tierhaltung.

Unterschiede zwischen einzelnen Erregern

MRSA ist aber nur einer von vielen Keimen, die der einstigen Wunderwaffe der Medizin entkommen können. Bei dem Darmbakterium Enterococcus faecalis, das ebenfalls Infektionen verursachen kann, zeigen Eckmanns’ Grafiken für die letzten fünf Jahre zum Beispiel einen Anstieg der Resistenzen gegen das Antibiotikum Vancomycin in Deutschland. Die Situation kann also von Erreger zu Erreger sehr unterschiedlich sein. Insgesamt seien hierzulande im Jahr rund 50 000 Patienten von Antibiotikaresistenzen betroffen – zwei Drittel davon im Krankenhaus, so der RKI-Experte. Die Zahl der Todesfälle durch Resistenzen gibt er mit 2500 im Jahr an.

Schlechter als in vielen Industrieländern sei die Lage in ärmeren Regionen – etwa in Afrika südlich der Sahara, sagt Eckmann. Dort sterben gemessen an der Bevölkerung deutlich mehr Menschen im Zusammenhang mit einer Antibiotikaresistenz als in Westeuropa. So würden in Afrika oft ohne klare Diagnose oder eindeutigen Erregernachweis Breitband-Antibiotika eingesetzt.

Aber auch in Mitteleuropa sieht Eckmanns keinen Grund, sich zurückzulehnen. Die Lage könne sich schnell ändern, wenn zum Beispiel resistente Keime aus anderen Teilen der Welt eingeschleppt würden. Bereits in Osteuropa sei die Situation bei einigen Erregern schlechter als hierzulande.

Big Pharma zeigt wenig Interesse

Neue Antibiotika könnten helfen, auch jene Erreger in Zaum zu halten, denen bekannte Präparate nichts mehr anhaben können. Doch auf diesem Feld geht es nur langsam voran. „Big Pharma hat sich großteils aus der Antibiotika-Entwicklung zurückgezogen“, sagt Dirk Bumann, der sich am Biozentrum der Uni Basel mit der Bekämpfung Antibiotika-resistenter Bakterien beschäftigt. Die entsprechende Forschung werde vor allem von kleinen Start-Ups und öffentlichen Einrichtungen dominiert.

Das meiste Geld fließe jedoch in die Optimierung bereits vorhandener Wirkstoffklassen, so Bumann. Dabei gebe es interessante neue Ansätze – etwa Antibiotika, welche die Erreger nicht töten, sondern nur ihre krankmachende Wirkung vermindern. Damit, so die Hoffnung, könnte das Risiko der Entstehung von Resistenzen verringert werden. Ein anderer Weg wären Antikörper gegen die Toxine der Erreger.

Für Pharmakonzerne sei es beispielsweise unattraktiv, Reserveantibiotika zu entwickeln, die dann vielleicht jahrelang kaum genutzt werden, damit nicht so schnell Resistenzen dagegen entstehen, erläutert Infektiologe Pletz. Ein Ausweg könnten öffentlich finanzierte Vorhaltepauschalen sein, die einen Teil der hohen Entwicklungskosten ausgleichen.

Kampf gegen Resistenzen als Daueraufgabe

Klar ist, dass der Kampf gegen Resistenzen eine Daueraufgabe bleiben wird. „Das ist nicht wie bei Corona, wo man eines Tages sagen kann: jetzt ist die Pandemie vorbei“, betont Eckmanns. Moderne Hochleistungsmedizin sei auf Antibiotika angewiesen. „Und wenn Antibiotika genutzt werden, steigt auch das Risiko, dass Resistenzen entstehen“.

Als Alternative zu Antibiotika werden immer wieder Bakteriophagen ins Spiel gebracht, die auch in der Natur Bakterien angreifen und in einigen Ländern teilweise schon in der Medizin eingesetzt werden. Den Vorwurf, dass diese Möglichkeit vernachlässigt werde, lässt Bumann nicht gelten: „Das ist absolut auf dem Schirm der Forschung“. In Europa gebe es viele Start-Ups, die mit Phagen arbeiteten. Unter anderem in der Schweiz würden Studien dazu gemacht. „Bis jetzt fehlt aber ein klinischer Nachweis der Wirksamkeit“. Zudem sei die individuelle Anpassung von Phagentherapien an einzelne Patienten sehr aufwendig.

Bis auf weiteres wird es nach Ansicht der Resistenzforscher daher vor allem darauf ankommen, vorhandene Antibiotika weltweit intelligenter einzusetzen. Dabei könnten zum Beispiel Tests helfen, mit denen Ärzte vor Ort feststellen können, ob ein Patient wirklich mit einem Keim infiziert ist, bei dem eine Antibiotika-Behandlung sinnvoll ist.