Terrorismusexperten warnen vor neuen Anschlägen islamisch motivierter Terroristen. In Deutschland sind neun von 16 Bundesländern mit spezialisierten Einheiten darauf vorbereitet. In Österreich gibt es solche Teams nun sogar flächendeckend.
Stuttgart - Seinen ersten Menschen tötete Kujtim Fejzulai am 20. November 2020 kurz vor 20 Uhr am Desider-Friedmann-Platz. Den nächsten an der Ecke Judengasse, Ruprechtsplatz. Bis ihn Polizisten um 20.03 Uhr erstmals sahen, hatte der mazedonische Albaner drei Menschen erschossen, ein Dutzend verletzt. Ein weiterer Wiener starb noch im Kugelhagel des Terroristen – bevor er sechs Minuten später um 20.09 Uhr selbst starb: Polizisten der Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung (Wega) hatten den Islamisten im Gassengewirr der österreichischen Hauptstadt gestellt, sich einen kurzen Schusswechsel mit Fejzulai geliefert und ihn dabei erschossen. Wenig länger als neun Minuten nach Beginn des Anschlags.
„Unvorstellbar, dass in Deutschland die Polizei eine vergleichbare Lage so schnell unter Kontrolle hat und beendet“, ist Gundram Lottmann, baden-württembergischer Vizelandeschef der Gewerkschaft der Polizei (GDP) überzeugt. Beim Anschlag im Münchener Olympia-Einkaufszentrum waren spezialisierte Einheiten erst nach etwa 23 Minuten am Tatort, Spezialeinsatzkommandos, auch das SEK Baden-Württemberg und die Cobra, erst nach etwa anderthalb Stunden. Denn: Etwas Vergleichbares wie die 241 Mann starke Wega sucht man im Land vergebens.
Wega ist eine Mitte der 1990er Jahre reformierte, spezialisierte Polizeieinheit, die 1928 gegründet wurde. Ihre Aufgabe: Einsätze mit erhöhtem Gefährdungspotenzial bewältigen und damit die Spezialeinheit Cobra – der deutschen GSG 9 vergleichbar – unterstützen. Das Besondere an der Wega: Nach einer sechs Monate dauernden Ausbildung und der folgenden Spezialisierung versehen die Beamten der Wega zu zweit normalen Streifendienst in Wien: Sie kontrollieren Verkehrssünder, nehmen Ladendiebe fest, helfen Menschen.
Streifendienst und Spezialeinsätze gehören zum Alltag der Wega
Ihre Kollegen rufen sie zur Hilfe, wenn sie auf Gewalttäter oder Situationen mit einem höherem Gewaltpotenzial treffen. Der Vorteil der Wega: Für Terroranschläge und Amoklagen besonders geschulte und ausgerüstete Polizisten sind innerhalb kürzester Zeit verfügbar, kennen mögliche Tatorte aus ihrem Alltag und können so Täter besser bekämpfen oder so lange an einem Ort festhalten, bis ein Spezialeinsatzkommando eintrifft.
Das Konzept verfängt: Am vergangenen Mittwoch wurden nach dem Wega-Vorbild in allen österreichischen Bundesländern Schnelle Reaktionskräfte in Dienst gestellt, die ab 1. November durch Schnelle Interventionsgruppen ergänzt werden sollen. Die Bereitschaftseinheiten, sagt Innenminister Karl Nehammer, „garantieren wesentlich eine moderne und internationalen Standards angepasste Polizeiarbeit: Die SIG wird in Hotspots im öffentlichen Raum eingesetzt, bei besonderen Amok- oder Terrorlagen, zur Bewältigung sonstiger komplexer Einsatzlagen sowie dafür, eine verstärkte Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen. Deshalb wird diese neue Einheit für die Menschen in Österreich noch mehr Sicherheit bedeuten.“
Vor allem in Zeiten, in denen Terrorismusexperten wie der Israeli Eitan Azani vor einem sprunghaften Anstieg islamisch motivierter Terroranschläge warnen: „Der Sieg der Taliban in Afghanistan versetzt weltweit radikalisierte Muslime in den Rausch, unbesiegbar zu sein und alles zu schaffen. Das werden wir im Westen schon bald zu spüren bekommen“, warnt der Wissenschaftler.
Gerüstet dafür sind in Deutschland nur wenige Bundesländer. Eines davon ist Bayern, wo 1988 Innenminister Peter Gauweiler im Februar Journalisten in VW-Bussen in den Norden Münchens nach Oberschleißheim karren ließ. Auf dem Weg wurde der Pressekonvoi von 200 Protestlern gestoppt, umstellt und mit Steinen und Knüppeln beworfen. Bis sie von Beamten des Unterstützungskommandos der bayrischen Polizei herausgehauen wurden. Die USKler überwältigten die Demonstranten, die für diese Übung ohne Wissen der Reporter von Polizisten gespielt wurden: Die ein Jahr zuvor aufgestellte Polizeieinheit war präsentiert.
Die Einheiten sind über den Freistaat verteilt: von Bamberg über Nürnberg, Würzburg, Dachau bis nach München. Ihre Aufgabe: Sie werden bei möglicherweise gewalttätigen Veranstaltungen und Versammlungen sowie gewalttätigen Aktionen eingesetzt, zur Bekämpfung der Betäubungsmittel- und Straßenkriminalität, fahnden gezielt nach besonderen Tätern und Tätergruppen, durchsuchen Objekte und werden in Lagen eingesetzt, in denen mit erhöhter Gefährdung oder lebensbedrohlichen Situationen gerechnet werden muss.
Dafür werden die Beamtinnen und Beamten nach einer erfolgreicher Eignungsprüfung sechs Monate lang ausgebildet – und besonders ausgestattet: Belgische FN SCAR-Gewehre, mit denen auch US-Spezialeinheiten ausgerüstet sind, gehören ebenso dazu wie Kettenhemden und -hosen, um mit Messern bewaffnete Straftäter überwältigen zu können. Statt der bei der bayrischen Polizei üblichen 50 Trainingsschüsse jährlich feuern Beamtinnen und Beamte des USK 2500-mal auf Übungsziele.
Einige Länder und die Bundespolizei folgen dem Weg Bayerns
„Unsere Unterstützungskommandos sind ein wichtiger Pfeiler unserer erfolgreichen Polizeiarbeit in Bayern. Sie haben bereits unzählige schwierige Einsatzsituationen mit Bravour bewältigt“, sagt Bayerns Innenminister Joachim Hermann unserer Zeitung. Die Einheiten leisteten auch weit über die Landesgrenzen hinaus einen wesentlichen Beitrag für mehr Sicherheit. „Die hohe Professionalität und das große Einsatzspektrum genießen bundesweit einen hervorragenden Ruf. Wir setzen auf eine Topausbildung und modernste Ausstattung.“
Die bayrischen Einheiten sind für einige Bundesländern Vorbild geworden: Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen und die Bundespolizei haben Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten für die Zusammenarbeit mit SEKs und der GSG 9 ausgebildet und -gerüstet.