Der Litauer Paulius Senuta nutzt seine Kenntnisse als Werbe-Profi, um der russischen Propaganda die Stirn zu bieten. Foto: 15min / Luko Balandžio

Der litauische Werber Paulius Senuta hat mit einer außergewöhnlichen Kampagne internationales Aufsehen erregt: ein Versuch, die umfassende russische Propaganda auszuhebeln.

Herr Senuta, Sie haben eine Website mit dem Namen „Call Russia“ ins Leben gerufen, die international Aufmerksamkeit erfährt. Was hat es damit auf sich?

Ich habe mit Mitarbeitern vierzig Millionen private Telefonnummern in Russland heruntergeladen und auf dieser Seite gespeichert. Russischsprachige im Ausland können so eine zufällig generierte Nummer bekommen und dort anrufen, um über den Krieg in der Ukraine zu erzählen.

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Die Russen bekommen durch die staatliche Propaganda ein ganz anderes Bild vermittelt als Menschen mit Zugang zu Medien im Westen. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Russen denken sehr anders. Ich hatte vor dem Projekt mit zwei Bekannten in Moskau über den Krieg in der Ukraine gesprochen. Beide sind bestens gebildet, sie leiten internationale Unternehmen. Das Gespräch war schwierig, sie meinten, dass ich „nicht das ganze Bild sehe“. Aber sie konnten mir auch nicht das „ganze Bild“ vermitteln.

Und Sie konnten sie auch nicht von Ihrer Sicht überzeugen?

Mann kann kaum jemanden mit einem Telefonanruf in dieser Sache überzeugen. Ein solches Denken wäre so naiv wie arrogant. Das Ziel unseres Programmes ist es, die russische Gefühlswelt zum Krieg hinzubewegen – dass wir uns darauf verständigen, dass das, was in der Ukraine stattfindet, eine menschliche Tragödie ist.

Was müssen die Freiwilligen beachten?

Man darf nie anrufen, wenn man verärgert ist oder seine Botschaft aggressiv vermitteln will. Die Freiwilligen sollen sich vorstellen, sagen, woher sie kommen und dass sie im Rahmen unseres Programms anrufen. Sie sollten ihre Sicht vermitteln, ohne zu betonen, Recht zu haben. Bei aggressiven Reaktionen können die Anrufer mit Gegenfragen reagieren, wie die Person in Russland sich fühle, wie ihre Sicht der Dinge sei.

Welche Reaktionen haben Sie bislang erlebt?

Ich selbst habe bereits 50 mal angerufen. Die Hälfte der Versuche liefen gut, die Hälfte schlecht. Anfangs gab es mehr Fälle, wo die Menschen mich angeschrien und beleidigt haben, dies hat abgenommen, da die Emotionen um den Krieg nicht mehr so stark sind. Letztens gehen die Unterhaltungen länger. Die Gesprächspartner sind dabei oft nett, aber auch verängstigt und brechen die Unterhaltung ab, wenn ich auf schwierige Themen zu sprechen komme.

Haben sie feindliche Reaktionen erlebt?

Es gab mehrere Versuche, die Webseite zu hacken, auch gab es unfreundliche Mails, wo ich gefragt wurde, wie viel Geld ich für das Projekt bekomme. Ich mache das jedoch rein privat.

Welches Ziel haben Sie für die nächste Zeit?

Wir wollen es wirklich erreichen, dass die vierzig Millionen Nummern alle angerufen werden, dazu brauchen wir noch Unterstützung durch Sponsoren, um das Projekt bekannter zu machen. Bald wird es auf „Call Russia“ eine statistische Übersicht zu den Gesprächen geben.

Ist es eigentlich legal, die Nummern zur Verfügung zu stellen?

Das weiß ich nicht, aber ist das nicht unerheblich angesichts des Leidens in diesem Krieg?