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Das neue Somalia-Mandat der Regierung erlaubt der Bundeswehr jetzt auch Angriffe aus der Luft.

Berlin/Stuttgart - Die Oppositionsparteien haben angekündigt, diese Erweiterung des Mandats für die Anti-Piraten-Operation der EU am Horn von Afrika nicht mitzutragen. Sie warnen vor einer Verstrickung in die Händel des seit 1991 vom Bürgerkrieg zerrissenen Somalia. Schließlich soll auch die bewaffnete Rettung abgeschossener Hubschrauber-Besatzungen am Boden erlaubt werden. Die Regierung will damit umsetzen, was die EU am 23. März beschlossen hat, um mehr Wirkung gegen die Räuber zu erzielen. In einem Seegebiet, das 25-mal so groß ist wie Deutschland und durch das rund ein Fünftel des Welthandels über See bewegt wird.

An Anhaltspunkten fehlt es nicht, dass es der Ende 2008 begonnenen Operation Atalanta an Durchschlagskraft mangelt. Zwar sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums unserer Zeitung, im Kern sie die Operation ein „hundertprozentiger Erfolg“. Schließlich hätten bisher alle von der deutsche Marine begleiteten Schiffe, die Hilfsgüter des Welternährungsprogramms für das dürregeplagte östliche Afrika transportierten, ihre Ziele erreicht. Und das ist in der Tat der Hauptzweck von Atalanta. Aber dieser Bilanz steht eine fortschreitende Ausbreitung der somalischen Piraten im Golf von Aden und im Indischen Ozean gegenüber.

Derzeit befinden sich acht Schiffe und rund 200 Seeleute in der Hand somalischer Piraten

Für Exportvizeweltmeister Deutschland ist das ein gewaltiges Problem. Rund 4000 Schiffe sind im Besitz deutscher Reeder, davon rund 450 unter deutscher Flagge weltweit im Einsatz. Die meisten passieren auf ihren Wegen zwischen Europa und Asien die gefährdeten Seegebiete. Der Reederverband weist darauf hin, dass sich das Problem vor allem qualitativ fortlaufend verschärft – trotz der militärischen Anstrengungen von Nato und EU, von China, Indien und Russland. So befinden sich nach Angaben des Atalanta-Kommandos im britischen Northwood derzeit acht Schiffe und rund 200 Seeleute in der Hand somalischer Piraten. Deren Überfälle zeigen, dass sie weder dem eigenen Leben noch dem ihrer Gefangenen große Bedeutung beimessen. Unter den Augen nicht zuletzt der deutschen Marine ist es ihnen gelungen, eine gigantische Menschenraub-Industrie hochzuziehen. Geschätzter Jahresumsatz: mehr als 50 Millionen Euro Lösegeld.

Die Schwierigkeiten häufen sich, ihr beizukommen. Das beginnt bei der Zersplitterung der, gemessen am Einsatzgebiet, winzigen Marinekräfte: Die EU ist mit Atalanta unterwegs, die Nato (ohne deutsche Beteiligung) mit der Operation Ocean Shield, Amerika mit weiteren Verbündeten in der Combined Task Force 151.

Gefangene Seeräuber an Land auszusetzen, verstößt gegen das Seerecht

Als besonders schwierig hat sich der schmale Grat zwischen wirkungsvoller Bekämpfung und der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel erwiesen: Wo es nicht um unmittelbare Gefahrenabwehr geht, ist den Rechtsstaaten große Zurückhaltung geboten. Schließlich lässt sich den Seeräubern, die nicht auf frischer Tat ertappt werden, selten mehr vorwerfen als versuchter gefährlicher Eingriff in den Seeverkehr.

Die rechtsstaatlichen Limits werden besonders fühlbar, wo Seeräuber in Gefangenschaft geraten. Vor wenigen Tagen etwa im Fall des im November 2010 eröffneten Hamburger Prozesses gegen die Entführer der „Taipan“: Angeklagte Somalier kamen frei aus Untersuchungshaft, sie stellen Asylanträge, erfreuen sich verschiedener Ausbildungsangebote, freier Kost und Wohnung.

Besatzungen dänischer und amerikanischer Kriegsschiffe haben gefangene Seeräuber an einsamen somalischen Stränden abgesetzt. Das ist praktisch und unblutig, aber ein Verstoß gegen das seerechtliche Verbot der Gefangenenaussetzung. Deutsche Vereinbarungen mit Kenia und den Seychellen, die somalische Piraten aburteilen und in Haft nehmen sollten, bargen von Anbeginn große Risiken. Justiz und Strafvollzug beider Länder sind von europäischen Standards weit entfernt. Entsprechend gering ist die Neigung der Piratenbekämpfer, überhaupt noch Gefangene zu machen. Auch das erklärt, warum die Seeräuber weithin unbehelligt bleiben.

Die Reedereien setzen auf den Frachtern zur Abwehr von Piraten zunehmend Söldner ein

Der Wirksamkeit des deutschen Beitrags zu Atalanta stehen außerdem spezifisch deutsche Probleme entgegen. Die Bekämpfung Krimineller ist laut Grundgesetz Polizeiaufgabe. Eindeutige Regelungen dafür, was das Militär leisten soll und darf, wo die Polizei nicht hinreicht, gibt es nicht.

Daraus hat sich immer wieder Kompetenzgerangel entwickelt. Das ging zwischen Innen-, Verteidigungs-, und Außenministerium so weit, dass die Regierung am 29. April 2009 einen Einsatz der Bundespolizei-Elitetruppe GSG 9 zur Befreiung des Frachters „Viking Stavanger“ abblasen musste. Selbst innerhalb der Bundeswehr blieb lange umstritten, ob Spezialkräfte der Marine oder des Heeres für militärische Befreiungsaktionen zuständig seien. Eine Folge: Die zivile Schifffahrt baut immer weniger auf den Staat. Für die Passage der gefährlichsten Seegebiete schiffen immer mehr Reedereien Söldner auf ihren Frachtern ein. Nach deutschem Recht dürfen sie aber keine Kriegswaffen führen. Das hat mehrere Reedereien bewogen, nicht mehr unter deutscher Flagge zu fahren.

So erhöht die Ausweitung des Bundeswehrmandats zweifellos den operationellen Spielraum – und auch das Risiko, den Konflikt mit den Seeräubern zu verschärfen. An den grundsätzlichen Problemen der Operation Atalanta ändert sie aber wenig.