Sydney 2000: Nils Schumann, Olympiasieger über 800 Meter Foto: AP

Ein Blick ins Archiv hätte genügt. Oder ein Klick ins Internet. Und der der Württembergische Leichtathletik-Verband (WLV) hätte Nils Schumann erst gar nicht eingeladen. Jetzt strichen sie Olympiasieger wieder von der Rednerliste. Weil er sich für die Freigabe von Doping ausspricht. Seltsam ist nur: Das tut er schon seit Jahren.

Stuttgart - Vielleicht wäre es richtig zu sagen, dass es ziemlich dumm gelaufen ist zwischen Nils Schumann und dem Württembergischen Leichtathletik-Verband (WLV). Das wäre dann die freundliche Variante. Die weniger nette Sichtweise ist die, dass die WLV-Funktionäre erschreckend ahnungslos in ein Fettnäpfchen getreten sind, das der Kampf gegen Doping für sie bereit hielt – und das ist die treffende.

Jedenfalls fielen die Granden der württembergischen Leichtathletik aus allen Wolken, als der Olympiasieger über 800 Meter von Sydney 2000 und frühere Hallen-Europameister dieser Tage öffentlich seine Meinung zum Kampf gegen Doping erneuerte. Der Anlass: Eine TV-Sendung von Vox: Ewige Helden. Sportler geben Einblick in ihr Seelenleben.

Warnlampen beim WLV

Nils Schumann, einst selbst unter Betrugsverdacht, aber nie positiv getestet, sprach sich wieder einmal für die Freigabe von Dopingmitteln aus, weil er den Kampf gegen die Leistungsmanipulation für aussichtslos hält. Beim WLV gingen die Warnlampen an. Denn der Autor und Fitnesscoach aus Thüringen zählte am 18. März im Stuttgarter Haus des Sports zu den Stargästen beim WLV-Laufkongress. Er sollte darüber berichten, wie er sich laufend fit hält. Auch eine Praxiseinheit war wohl geplant. Eine gute Gelegenheit außerdem, um für sein Buch „Lebenstempo“ ein wenig Werbung zu machen.

Am Donnerstag erreichte ihn dann eine Mail aus der WLV-Geschäftstelle – mit der Nachricht: Seine Anwesenheit beim Laufkongress sei nicht mehr gewünscht. Das Präsidium habe sich mehrheitlich zu diesem Schritt entschlossen. Schon auf der Heimfahrt aus München postete Nils Schumann (38) auf Facebook wütend ein Video, in dem er den Leuchttürmen des Württembergischen Leichtathletik-Verbands eine „heuchlerische Art und Weise“ im Umgang mit dem Dopingproblem vorwirft. Man sei in Stuttgart offenbar nicht bereit, über den Tellerrand hinauszublicken. „Eine offene und neue Diskussion“ sei nicht erwünscht.

Dem Anti-Doping-Kampf verpflichtet

„Wir haben uns dem Kampf gegen Doping verpflichtet“, erläuterte WLV-Präsident Jürgen Scholz die Absage, „wenn es nach Nils Schumann geht, gewinnt aber der, der am besten dopt.“ Man habe als Landesverband nicht nur den Spitzensport im Blick, sondern auch den Breitensport mit Kindern und Jugendlichen. „Außerdem gibt es ein Anti-Doping-Gesetz.“

Dagegen ist wenig zu sagen. Allerdings fiel der WLV in den vergangenen Jahren auch nicht gerade als Speerspitze des deutschen Anti-Doping-Kampfes auf. Was aber noch schwerer wiegt: Offenbar sind die WLV-Funktionäre ziemlich ahnungslos, was in den eigenen Reihen denn so alles passiert. Denn Schumanns eigenwillige Sicht des Dopingproblems ist alles andere als neu. Ähnliche Äußerungen gibt es von ihm seit Jahren. Ein Blick ins Archiv hätte genügt. Oder ein Klick ins Internet. „Davon wussten wir nichts“, räumte Jürgen Scholz dagegen im Gespräch mit unserer Zeitung ein.

Alte Forderungen

Schon im Sommer 2016 hatte Schumann für seine Forderung, Doping frei zu geben, heftige Prügel bezogen – zum Beispiel von Ines Geipel. Die Jenaer Ex-Sprinterin und Vorsitzende des Vereines Doping-Opfer-Hilfe DOH nannte Schumanns Äußerungen „grob fahrlässig“. Die Forderung des Olympiasiegers, dass man „nicht kriminalisieren sollte, was man nicht kontrollieren kann“, stieß unter Leichtathleten und in den Medien auf breiten Widerstand. Zuletzt hatte Schumann („Das Kontroll-System kann man in die Tonne treten“) nur wiederholt, was längst jeder wusste. Nur nicht der WLV.