Viele Kinder und Jugendliche werden wegen ihres Aussehens gemobbt. Foto: imago /Thomas Trutschel

Am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach (Kreis Ludwigsburg) finden erstmals Anti-Diskriminierungstage statt. Aus mehr als 60 verschiedenen Sessions können die Schüler sich drei Themen aussuchen. Das Projekt Format ist an Schulen in dieser Form einmalig.

Tag für Tag erleben Jugendliche Diskriminierung und Rassismus – auch am landesweit größten Gymnasium. „Der Umgang miteinander hat sich verändert“, weiß Sven Münster, einer von zwei Schulsozialarbeitern am Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium (FSG). „Jemanden Hurensohn oder Hurenbock zu nennen, ist leider für viele Standard.“

Die Bandbreite der Beleidigungen und die Facetten der Ausgrenzung sind groß. Es wird bewusst, aber auch unbewusst diskriminiert. Dass der vermeintliche Spaß beim Gegenüber anders ankommt und im schlimmsten Fall krank macht, ist vielen nicht klar. „Sie denken auch, dass das, was sie tun und sagen, keine Konsequenzen hat, aber das muss es haben“, sagt FSG-Lehrerin Nehle Bertsch.

Schule will hinschauen

Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen, Schülersprechern und der Schulsozialarbeit bereitet sie seit Monaten ein für Schulen bislang einmaliges Format vor: Am Montag und Dienstag finden am FSG sogenannte Anti-Diskriminierungstage statt. Man wolle den Kindern und Jugendlichen zeigen, dass sie ernstgenommen werden und man hinschaut, sagt Bertsch, die Mitglied des etwa siebenköpfigen Organisationsteams ist.

Seit vielen Jahren trägt das FSG die Auszeichnung „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“. Respekt, gegenseitige Wertschätzung sowie Offenheit für andere Kulturen sind im Leitbild verankert. Doch das verhindert im Alltag weder Mobbing, noch Rassismus, Sexismus, oder Antisemitismus. Das hat eine Umfrage gezeigt, an der sich vor eineinhalb Jahren rund 1000 der insgesamt 2560 Schüler beteiligt haben. Auf der Themenliste ganz oben steht Bodyshaming, also das Demütigen eines Menschen aufgrund seines Aussehens. Mobbing, Rassismus und Sexismus beschäftigt ebenfalls viele FSGler. Groß ist aber auch das Interesse an Handlungsmöglichkeiten. „Viele wollen wissen, wie sie sich verhalten sollen“, erklärt Bertsch.

Mit den Antidiskriminierungstagen soll nicht nur ein klares Zeichen gesetzt, sondern auch die Grundlage geschaffen werden für weitere Workshops, erklärt Schulleiter Volker Müller. „Wir wollen auf breiter Basis ein Bewusstsein schaffen, was ausgrenzende Äußerungen und ausgrenzendes Verhalten bewirken können.“ Und, fügt Kollegin Birgit Uckelmann an, man wolle auch zum Aufstand der Anständigen aufrufen – wohlwissend, dass Mobbing oft im Verborgenen stattfindet.

Keine konkreten Zahlen zu Vorfällen an Schulen im Land

Konkrete Daten zu Vorfällen an Schulen liegen weder dem Kultusministerium noch der Antidiskriminierungsstelle des Landes vor. „Von 301 Anfragen im Jahr 2022 betrafen 45 den Lebensbereich Bildung. Darunter fallen jedoch auch Kitas, außerschulische Bildungsangebote und die Hochschulen“, erklärt Pressereferent Florian Mader. 2021 waren es 21 von 221. Allerdings lasse sich aus den Zahlen keine Aussage über die Anzahl der tatsächlich stattfindenden Diskriminierungen an Schulen herleiten. „Andererseits zeigen sie, dass viele von Diskriminierung betroffen sind und immer mehr davon Hilfe suchen.“

Auch Corona spielt mit herein. Nach Umfragen des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) hat mit der Pandemie die Gewalt gegen Lehrkräfte zugenommen. „Es ist anzunehmen, dass andere Auffälligkeiten ebenfalls zugenommen haben“, so Benedikt Reinhard vom Kultusministerium in Stuttgart. Auch FSG-Schulleiter Volker Müller nimmt Nachwirkungen wahr und sieht in dem aktuellen Projekt ein Sozialisierungs-Update nach Corona.

Auf der Suche nach Zahlen wird man selbst in der Kriminalstatistik der Polizei nicht fündig. Sie weist Diskriminierungen nicht separat aus. Im Strafrecht ist Mobbing ebenfalls nicht explizit aufgeführt. Wer andere mobbt, erfüllt jedoch oft verschiedene Straftatbestände – nicht selten in Kombination, erklärt Chris Hellerich vom Polizeipräsidium Ludwigsburg. Als da wären Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung, Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung, etwa wenn ein Foto ohne Einwilligung gemacht und veröffentlicht wird.

Den möglichen Folgen sind sich viele nicht bewusst. In Deutschland ist man ab 14 Jahren strafmündig und damit schuldfähig. Für Jüngere gibt es keine Strafe durch ein Gericht, aber ein Ermittlungsverfahren. Es werden Beweise gesammelt – etwa das Mobiltelefon beschlagnahmt – und es gibt Vernehmungen. Die Ermittlungsakte wird dann, analog zu anderen Verfahren, an die Staatsanwaltschaft geschickt. Hellerich selbst wird am FSG die Session „Hatespeech-Hass und Hetze im Internet“ anbieten. Denn, die digitale Komponente enthemmt und tangiert auch den Schulbetrieb, weiß Müller. „Klassenchats liegen für uns als Schule in einem toten Winkel, aber wir können nicht jeden Klassenchat kontrollieren.“

Anti-Diskriminierungstage am FSG

Ablauf
Das Projekt findet am Montag, 6. Februar und Dienstag 7. Februar in Form eines Bar Camps statt. Alle Schüler werden an ihrem Projekttag – am anderen haben sie schulfrei – drei Sessions beziehungsweise Workshops à 45 Minuten besuchen. Sie werden von Schülern, Lehrkräften aber auch von mehr als 60 externen Referenten moderiert. Das interaktive Format lebt vom Austausch.

Themen
Da die Bandbreite an Diskriminierungserfahrungen groß ist, ist auch das Feld an Themen breit gefächert – es reicht von Klassismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Sexismus, über Bodyshaming, Mobbing, Muslimfeindlichkeit bis zu Antisemitismus. Diskutiert wird beispielsweise aber auch, ob allein die Frage nach der Herkunft diskriminierend ist.

Aktion
An beiden Tagen ist eine Unterschriftenaktion und eine Menschenkette um das Schulhaus herum geplant.