Blumen und die israelische Flagge – Bekenntnisse der Solidarität mit den Opfern nach dem erschütternden Anschlag in Halle Foto: AP/Jens Meyer

Bisher hat die Polizei nur wenige offizielle Informationen über das rechtsextremistische und antisemitische Attentat in Halle veröffentlicht, bei dem zwei Menschen getötet wurden. Ein Überblick über Fakten und Spekulationen.

Berlin/Halle - Der Täter wollte eine Synagoge in Halle stürmen und hat, als das nicht gelang, zwei Menschen anscheinend willkürlich erschossen. Die Tat löst nicht nur in Deutschland Erschütterung aus. Noch sind Hergang und Vorgeschichte nicht komplett aufgeklärt. Wir erläutern, was wir bisher wissen und was nicht.

Was hat die Polizei mitgeteilt?

Die Polizei hat kurz nach den Taten den 27 Jahre alten Stephan B. festgenommen. Wo genau die Festnahme passierte und warum über Stunden die rund 15 Kilometer entfernte Gemeinde Landsberg abgeriegelt war, dazu gibt es widersprüchliche Angaben. Dort wurde am Donnerstagfrüh auch das mutmaßliche Tatfahrzeug abgeschleppt, mit dem der Täter nach Informationen aus Sicherheitskreisen einen Unfall gebaut haben soll. Es handelt sich um einen gemieteten Golf. Offiziell hat die Polizei bisher nur bestätigt, dass der Festgenommene der mutmaßliche Täter sei und dass er verletzt worden sei. Nach Informationen unserer Zeitung soll er sich selbst am Hals verletzt haben.

Wie sieht das Verfahren jetzt aus?

Seit Mittwochnachmittag hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen unternommen, er sieht den Verdacht einer Straftat mit besonderer Bedeutung und antisemitischem und rechtsextremistischem Motiv.

Gab es Vorbilder für die Tat?

Etliches spricht inzwischen dafür, dass der mutmaßliche Täter sich den Massenmörder im neuseeländischen Christchurch zum Vorbild genommen hatte. Dort hatte der Täter in zwei Moscheen mehr als 50 Menschen getötet und den Anschlag live im Internet übertragen.

Stephan B. hatte offenkundig sein Fahrzeug voller selbst gebauter Waffen und Sprengsätze geladen und wollte eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Wie der Täter von Christchurch nahm auch er ein Video mit seiner Helmkamera auf und streamte live über die Gamerplattform „twitch“ im Internet. Der Account war laut Informationen dieser Plattform vor zwei Monaten eröffnet worden.

Was ist auf dem Video zu sehen?

Das gut halbstündige Video, das laut twitch von etwa 2200 Menschen gesehen wurde, zeigt nach Informationen der „Zeit“ zunächst den Attentäter noch vor der Anfahrt im Auto. Er rede erst auf deutsch, dann auf Englisch und liefere eine Art rechtsextremistisches Bekenntnis ab. Mit Blick in die Kamera nenne er sich selbst „Anon“, leugne den Holocaust, bezeichne den Feminismus als Grund für niedrige Geburtenraten, was zu Massenimmigration führe. Juden seien der Grund für diese Probleme. „Anon“ ist ein in rechten Foren häufig verwendetes Pseudonym.

In dem Video sind demnach die Schüsse auf die Synagogentür zu verfolgen, das Scheitern des Versuchs, die Türe damit zu öffnen und die Wut des Täters, der sich selbst einen „Loser“ nennt. Danach soll der Mann seinem ersten Opfer, einer Frau mehrfach in den Rücken geschossen haben. Sie starb vor der Synagoge. Auch auf einen Passanten soll er gezielt haben – wobei eine Ladehemmung ihn am Schießen hinderte. Nach kurzer Fahrt zum Döner-Imbiss feuerte er nach Informationen von Augenzeugen in dem Laden mehrfach auf ein Opfer, das vergeblich um Gnade bittet.

Gibt es weitere Bekenntnisse?

Der mutmaßliche Täter stellte auch ein „Manifest“ ins Internet – nach Informationen des „Spiegel“ entdeckten Experten des International Centre for the Study of Radicalization (ICSR) in London das aus drei PDF-Dateien bestehende Dokument in einem rechten Forum. In dem Dokument würden die offenbar selbst gebauten Waffen abgebildet und es sei die Rede davon, „vorzugsweise Juden“, aber auch Muslime und „Linke“ zu töten.

Wie bewerten Experten die Tat?

Mit seiner Art der Tatbegehung wollte der Verdächtige nach Einschätzung von Experten eine internationale rechte Internet-Subkultur erreichen. Der Jenaer Extremismusforscher Matthias Quent sagte der dpa, das Video folge der Ästhetik eines Videospiels, auch durch die Ego-Shooter-Perspektive, sagte Quent. „Der Täter heroisiert sich, seine Opfer will er demütigen.“

Was er äußere sei keine Einzelmeinung eines Spinners, sondern Ausdruck einer verbreiteten rechtsextremen Ideologie.

Wann ist mit weiteren Informationen über die bisherigen Erkenntnisse zu rechnen?

Am Nachmittag will Bundesinnenminister Horst Seehofer zusammen mit dem sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff eine Pressekonferenz geben.