Der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD). Foto: dpa

Die Angehörigen der Opfer vom Breitscheidplatz leiden nach ihrem Verlust – auch unter unsäglichen Behördenpannen. Als Opferbeauftragter will Kurt Beck nun helfen und Lehren aus dem Fall ziehen.

Berlin - Die Post vom Land Berlin kam kurz nach dem schrecklichen Tag – und es war kein Kondolenzschreiben. Die Gerichtsmedizin der Charité schickte Hinterbliebenen der Opfer des Terroranschlags vom Breitscheidplatz eine Rechnung für die Obduktion. Eine schreckliche Panne, die nicht passieren darf. Und es ist nicht die einzige Klage, mit der sich Angehörige in den vergangene Wochen an die Spitzen des Landes wandten.

Verlorenes Vertrauen wiedergewinnen

Nun soll ein Opferbeauftragter helfen, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, und die Hinterbliebenen unterstützen: Die Bundesregierung hat per Kabinettsbeschluss den ehemaligen Mainzer Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) auserkoren. Zu seinem Job gehört auch, aus den Fehlern zu lernen – für mögliche nächste Katastrophen. Beck, der sein Amt in dieser Woche übernahm, will sich vor allem für die Ansprüche der Hinterbliebenen und Verletzten einsetzen. „Ich will sie begleiten, um Hilfsansprüche wie Rente, Studienförderung oder Anteile aus dem Härtefallfonds zu sichern“, sagte Beck unserer Zeitung. „Es geht darum zu signalisieren: Wir lassen euch nicht im Stich, auch nicht in der Zukunft.“ Beck will sich auch intensiv mit Behördenfehlern und der Kritik der Opfer beschäftigen. „Wir wollen am Ende Lehren ziehen und Vorsorge für die Zukunft treffen, auch wenn wir hoffen, dass sich ein solches Ereignis nicht wiederholt.“ Möglicherweise müsse man auch über einzelne rechtliche Vorschriften nachdenken.

Angehörige irrten von Klinik zu Klinik

Beck bezieht sich dabei auf die lange Ungewissheit, unter der Angehörige zu leiden hatten, weil die Behörden eine Nachrichtensperre verhängt hatten und die Opfer erst rechtssicher identifiziert sein sollten. Dieser internationale Standard zur Identifizierung sei nachvollziehbar bei Unglücken, bei denen Opfer bis zur Unkenntlichkeit entstellt seien, so Beck – aber nicht in Fällen, in denen Klarheit herrsche.

Bei einem diskreten Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck sowie Innenminister Thomas de Maizière hatten Angehörige im Februar von ihren furchtbaren Erfahrungen berichtet. Sie seien bis zu drei Tage durch die Stadt geirrt und hätten Krankenhäuser abgeklappert, berichtete damals der „Tagesspiegel“ unter Berufung auf Teilnehmer. De Maizière habe zwar die Nachrichtensperre der ersten Stunden damit begründet, dass man bei Anrufen nicht gewusst habe, ob man es mit Trittbrettfahrern oder Medienvertretern zu tun gehabt habe. Gleichzeitig gab es aber wohl auch Fälle, in denen Polizisten von Angehörigen unsensibel „aussagefähiges DNA-Material“ verlangt hätten.

Suche nach Angehörigen ist kompliziert

Beck verteidigte allerdings die Behörden auch gegen Kritik. „Aus den Briefen vieler Angehöriger kann man lesen, dass viel, viel mehr richtig gemacht worden ist als falsch“, sagte er nach einem ersten Blick in die Akten. Einige Probleme seien nicht vermeidbar gewesen. Als Beispiel nannte Beck den Gedenkgottesdienst 48 Stunden nach der Tat – einzelne Angehörige hatten darüber geklagt, keinen Platz in der überfüllten Gedächtniskirche gefunden zu haben. „Es war nicht möglich, in der Kürze der Zeit alle Angehörigen zu ermitteln, nicht einmal alle Opfer waren sicher identifiziert“, sagte Beck. Aber es sei mit Blick auf die Berliner und die Öffentlichkeit wichtig gewesen, der Trauer einen Raum zu verschaffen.

Werben für Verständnis

Beck warb auch um Verständnis. Die Suche nach Angehörigen sei mitunter ein mühsamer Prozess und noch nicht abgeschlossen. Unter den 12 Toten und 53 Verletzten des Anschlags vom 19. Dezember seien Menschen unter anderem aus Amerika, Israel, Japan und Portugal, manche hätten keine Angehörigen ersten Grades. Mitunter sei nicht klar, ob es beispielsweise Geschwister gebe, ob diese einen anderen Namen trügen und wer rechtlich für Opfer handeln könne. Derzeit werde mit mehr als 100 Menschen Verbindung aufgenommen.

Bisher hatte sich der Opferbeauftragte des Landes Berlin um den Fall gekümmert, der aber nicht speziell für den Fall eingesetzt ist, sondern sich generell um Opferrechte kümmert. Die Bundesregierung hatte auch schon in der Vergangenheit einzelne Opferbeauftragte eingesetzt, so zum Beispiel im Fall der rechten Terrorzelle des NSU, aber auch nach dem absichtlich herbeigeführten Absturz der Germanwings-Maschine über den französischen Alpen.