Wer war der Fallensteller, der einen Mountainbiker mit einem gespannten Seil beinahe geköpft hätte? Und wo war der Tatort in dem weitverzweigten Wegesystem des Kräherwalds im Stuttgarter Westen? Die Kripo geht mit dem Opfer auf Spurensuche.
Stuttgart - Ein Seil quer über einen Waldweg spannen, um Mountainbiker vom Rad zu werfen: Das ist kein dummer Scherz, sondern nun ein Fall für das Morddezernat. Wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdelikts ist das entsprechende Kripo-Dezernat für den rätselhaften Zwischenfall im Kräherwald im Stuttgarter Westen zuständig. Die Beamten hoffen auf ein zurückkehrendes Erinnerungsvermögen des betroffenen 26-jährigen Radfahrers, der mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen ist.
Der Mountainbiker war am vergangenen Freitagabend auf einem Trampelpfad im Kräherwald im Stuttgarter Westen offenbar von einem in Kopfhöhe gespannten Seil vom Fahrrad gerissen und erheblich verletzt worden. Das Problem dabei: Der genaue Tatort in dem Waldstück zwischen Kräherwald und Feuerbacher Tal ist unbekannt. Das Opfer tauchte Stunden später ein paar Kilometer entfernt in der Notaufnahme des Katharinenhospitals auf. Der 26-Jährige weiß nicht mehr, wie er dorthin gekommen war. Die Erinnerungslücken sind durchaus erklärbar: Der Mountainbiker hatte laut Polizei keinen Schutzhelm getragen.
Die Verletzungsmerkmale sind eindeutig
Dass ein Seil im Spiel gewesen sein muss und kein Spanngurt oder Draht – das scheint unstrittig. „Die Verletzungsmerkmale sind relativ eindeutig“, sagt Polizeisprecher Tobias Tomaszewski. Die Verletzung auf Kopf- und Schulterhöhe habe das Druckmuster eines gedrehten Seils. Vieles spreche nach den bisherigen Erkenntnissen dafür, dass ein Unbekannter Benutzer des abschüssigen Trampelpfads schmerzhaft stoppen wollte – und dabei erhebliche Verletzungen in Kauf nahm. Juristisch wäre nach dieser Sachlage sogar ein versuchter Mord denkbar.
Der Zwischenfall soll sich am Freitag zwischen 18 und 20 Uhr ereignet haben. Der 26-Jährige, offenbar ohne Helm unterwegs, erlitt einen Gedächtnisverlust. Der Betroffene, der im Stadtbezirk Mitte wohnt, tauchte gegen 23 Uhr mit erheblichen Verletzungen in der Notaufnahme des Katharinenhospitals auf. Von dort aus wurde die Polizei alarmiert.
Das Problem: Bisher konnten weder der Tatort noch das Tatwerkzeug sichergestellt werden. Beamte des Reviers Gutenbergstraße und des Kriminaldauerdienstes suchten im Gebiet am Trimm-dich-Pfad beim Sportgelände des MTV Stuttgart nach Spuren – allerdings wurde nichts gefunden. Am Dienstagnachmittag startete das Morddezernat einen neuen Versuch – mit dem 26-Jährigen, der mittlerweile das Krankenhaus wieder verlassen konnte.
Der Fall hat nun auch heftige Diskussionen über das Verhältnis von Radfahrernund Fußgängern ausgelöst. Immer wieder kommt es zu heiklen Begegnungen, bei denen man sich gegenseitig wenig Rücksichtnahme vorwirft. Fest steht, dass das Befahren eines Trampelpfads gegen das baden-württembergische Landeswaldgesetz verstößt. Demnach gilt, dass nur Wege befahren werden dürfen, die breiter als zwei Meter sind. Hat hier ein Mountainbike-Gegner zur Selbstjustiz gegriffen?
Bislang wurde nie ein Täter erwischt
Heiko Mittelstädt von der Deutschen Initiative Mountain Bike (DIMB) stellt fest, dass über die Motive nur spekuliert werden könne, weil bisher nie ein Täter erwischt worden sei. Dies könne vom Dummejungenstreich bis zur gezielten Aktion eines Waldbesitzers oder Wanderers reichen, die ihre Taten womöglich mit der Zwei-Meter-Regel gerechtfertigt sehen. „Das sind aber immer Einzelfälle gewesen“, sagt Mittelstädt, „im Großen und Ganzen hat man sich aneinander gewöhnt.“ Solange sich aber auch die Politik nie positiv zu Mountainbikes stelle, „fällt es auch dem Verband schwer zu sagen, wir sind doch eigentlich nett und wissen uns zu benehmen“.
Dabei kommt es nach Ansicht von Benjamin Büchner vom Mountainbike Magazin gar nicht auf den engen Trampelpfaden zu Konflikten, weil dort Wanderer und Radler vorsichtig und langsam unterwegs seien. „Vielmehr sind es die breiten geschotterten Waldwege, die dazu verleiten, rücksichtsloser zu sein“, so Büchner. Der Tourenradler sei da mit höheren Geschwindigkeiten unterwegs – und Fußgänger oft nebeneinander ins Gespräch vertieft. „Da wird dann oft gemeckert.“ Die Klingel habe dabei Konfliktpotenzial. Klingelt der sich von hinten nähernde Radler, werden die Wanderer oft genug erschreckt und springen unnötig zur Seite. Klingelt er nicht, fühlen sich Passanten beim schnellen Vorbeifahren ohne Vorwarnung gefährdet. Letztlich steht für Büchner steht fest: „Schwarze Schafe gibt es auf beiden Seiten.“
Für Hendrik Ockenga, Sprecher der Mountainbike-Gruppe im Radforum Stuttgart sind schwarze Schafe aber in der deutlichen Minderheit. „99 Prozent der Begegnungen im Wald verlaufen freundlich und konfliktfrei“, so Ockenga. Radler sollten nicht in jedem Fußgänger einen Fallensteller sehen. Seine Formel: „Rechtzeitig abbremsen und bemerkbar machen, grüßen, danken.“