Die jüngste Ausgabe des Satire-Magazins. Auf der Titelseite ist eine Karikatur des Schriftstellers Michel Houellebecq abgebildet. Foto: EPA

Das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ ist rotzig, kritisch, unbeugsam. Auch vor Mohammed-Karikaturen schreckte die Redaktion nicht zurück. Nun wurde sie Ziel eines professionell geplanten Anschlags: Die Attentäter mussten gewusst haben, dass sich die Mitarbeiter mittwochs zur wöchentlichen Konferenz einfanden.

Paris - Es waren zehn Minuten, nach denen nichts mehr schien wie zuvor – eine Erschütterung, ausgelöst durch Männer mit Kalaschnikows und einem Granatwerfer. Zehn Minuten am Mittwochvormittag, die Frankreich in einen Schock-Zustand tauchten. Ungefähr 30 Schüsse fielen, dazwischen hörten Zeugen die Rufe der schwer bewaffneten Täter: „Allahu Akbar“ – „Allah ist groß“. Und: „Wir haben den Propheten gerächt!“

Sie waren vermummt und in schwarz gekleidet. Zunächst war von zwei Männern die Rede, später gab Innenminister Bernard Cazeneuve ihre Zahl mit drei an. Sie erschossen mindestens zwölf Menschen im Redaktionsgebäude der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im elften Bezirk von Paris, in der Nähe des Bastille-Platzes. Acht weitere Personen wurden verletzt, vier von ihnen befanden sich zum Redaktionsschluss in einem lebensbedrohlichen Zustand.

Zwei der Todesopfer waren Polizisten, die anderen zehn waren Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“, darunter der Chefredakteur Stéphane Charbonnier, bekannt unter dem Künstlernamen Charb. In Frankreich genoss er Kultstatus.

Die Bestürzung im Land ist enorm. 2013 hatte El-Kaida eine Liste mit elf Personen veröffentlicht, die „tot oder lebendig gesucht werden wegen Verbrechens gegen den Islam“. Charbs Name befand sich auch darunter.

„Frankreich steht unter Schock“, sagte Präsident François Hollande, der rund eine Stunde nach den Vorfällen am Tatort eintraf, um den „terroristischen Akt von einer totalen Barbarei“ anzuklagen. „Es handelt sich ohne Zweifel um ein Terror-Attentat. Wir werden die Urheber verfolgen und bestrafen.“

Am frühen Nachmittag berief der Staatschef eine Krisensitzung mit einem halben Dutzend Ministern ein. Premierminister Manuel Valls gab die höchste Alarmstufe für die gesamte Hauptstadtregion aus, Redaktionsgebäude, religiöse Stätten, Schulen, öffentliche Verkehrsmittel und Bahnhöfe wurden unter besonderen Schutz gestellt.

Die französischen Behörden waren seit längerem von einer Terror-Gefahr ausgegangen. Durch die Militäreinsätze in Mali und in der Elfenbeinküste in den vergangenen Jahren und die Beteiligung an den Luftschlägen der USA gegen das Terrorregime Islamischer Staat (IS) im Irak steht das Land in der ersten Front im internationalen Anti-Terror-Kampf. In den vergangenen Wochen wurden Hollande zufolge mehrere versuchte Terror-Anschläge in Paris vereitelt – was allerdings zunächst nicht öffentlich kommuniziert worden war.

Am Mittwoch gelang das nicht mehr – da erreichten die Täter ihr brutales Ziel. Experten zufolge gingen sie dabei professionell vor. Die Attentäter mussten gewusst haben, dass sich die Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“ jeden Mittwoch um zehn Uhr zur wöchentlichen Konferenz zusammenfanden. „Natürlich war der Zeitpunkt nicht zufällig gewählt“, erklärte einer der Journalisten des Satire-Blattes in den französischen Medien. „Die übrige Zeit halten sich nur ziemlich wenige Leute in der Redaktion auf.“ Während die bewaffneten Männer unmittelbar nach ihrem Erscheinen in den Räumlichkeiten der Zeitung minutenlang das Feuer eröffneten, konnten sich einige der Mitarbeiter in angrenzenden Büros auf das Dach des Gebäudes flüchten. „Die Täter haben ihre Waffen auf alle gerichtet, es war eine wahre Abschlachtung“, sagte Rocco Contento von der Pariser Polizei.

Nach ihrer Schuss-Attacke verließen die Männer Zeugen zufolge „ziemlich gelassen“ das Gebäude. Dort lieferten sie sich einen weiteren Schusswechsel mit der Polizei, bei dem ein Beamter angeschossen wurde, bevor die Täter in ein auf sie wartendes Auto mit verdunkelten Fensterscheiben stiegen und die Flucht ergriffen. Medienberichten überfuhren sie außerdem einen Fußgänger.

Unmittelbar danach machte sich die Polizei auf die fieberhafte Suche nach den Tätern, die in einer kleinen Seitenstraße das Auto wechselten, unter den Augen des Zeugen David B., der gerade seinen Roller dort parkte. „Es fielen keine Schüsse, alles ging sekundenschnell, aber sehr beeindruckend.“ Das Viertel wurde daraufhin abgesperrt – ohne dass die Männer gefasst werden konnten.

Dass sie nach einem islamistischen Motiv gehandelt haben, wurde kaum in Zweifel gestellt, so unklar sich die Lage zunächst noch darstellte. So erschien es auch nicht als Zufall, dass es ausgerechnet die Redaktion des 1969 gegründeten Magazins „Charlie Hebdo“ getroffen hat: Gerade erst hatte es einmal mehr den Propheten Mohammed verunglimpfende Karikaturen veröffentlicht.

Zwar geraten alle Religionen sowie Politiker jeder Couleur ins Visier der Profi-Provokateure – doch vor allem wenn es Muslime trifft, ist der Aufschrei groß. Etwa 2006, als „Charlie Hebdo“ die weltweit umstrittenen Karikaturen des Propheten abgedruckt hatte, die zuvor das dänische Magazin „Jyllands-Posten“ in die Kritik gebracht hatte.

Auch wurde die Redaktion 2011 bereits Ziel eines gewaltsamen Attentats: Nach der Veröffentlichung eines Spezial-Ausgabe namens „Scharia Hebdo“ als Reaktion auf den Sieg der islamischen Ennahda-Partei bei den Wahlen in Tunesien, brannten die Gebäude nach einem Brandanschlag aus. Verletzte gab es damals nicht, die Redaktion musste umziehen.

Die Stimmung in Frankreich dürfte sich in der Folge dieses gestrigen Anschlags noch stärker als bisher gegen den Islam richten. In keinem anderen europäischen Land leben so viele Muslime, nach Schätzungen sind es rund acht Millionen. Auch vor dem Hintergrund des brutalen Voranschreitens des IS im Irak und in Syrien, dem sich Hunderte junge Franzosen angeschlossen haben, hat sich die Alarmbereitschaft erhöht.

Das Misstrauen wächst aber auch gegenüber gemäßigten Muslimen, befeuert durch Tiraden der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Zufällig kam gestern in Frankreich der neue Roman „Unterwerfung“ („Soumission“) des Bestseller-Autors Michel Houellebecq heraus, in dem er die politische Fiktion eines islamischen Gottesstaates in Frankreich entwirft, das demnach ein von einem Politiker der gemäßigten „Muslimischen Bruderschaft“ regiert wird.

Auch von Houellebecq erschien daraufhin eine Karikatur in der aktuellen Ausgabe von „Charlie Hebdo“. Besonders erschütternd erscheint dort aber vor allem eine Zeichnung, auf der es heißt „Noch immer keine Attentate in Frankreich. Wartet – wir haben bis Ende Januar, um unsere Neujahrswünsche abzugeben.“