Mitten im Ostergottesdienst explodierte Foto:  

Mindestens 290 Menschen sind bei einer Anschlagsserie in Sri Lanka getötet worden, Hunderte verletzt. Verantwortlich soll eine einheimische Islamistengruppe sein, meint die Regierung des Inselstaats im Indischen Ozean.

Stuttgart - Die schwarze Hose, die der Kirchgänger zum Ostergottesdienst in der Kirche St. Sebastian in Negombo an der Westküste Sri Lankas übergezogen hatte, ist blutdurchtränkt. Der Oberkörper hängt wie der einer Puppe über der Kirchbank. Neben dem Toten finden die ersten Einsatzkräfte weitere staubbedeckte Leichen. Einige tragen noch das Gebetbuch in der Hand. Durch das zertrümmerte Kirchendach scheint am Sonntagmorgen die Sonne auf blutbeschmierte Säulen, auf zu Kleinholz zerhackte Gebetsbänke und verzweifelt weinende katholische Priester, deren Ostergottesdienst plötzlich in einem der schlimmsten Blutbäder in der Geschichte Sri Lankas endete.

Auf 8.45 Uhr blieben am Sonntag die Zeiger der Kirchenuhr stehen, als der erste von acht Sprengstoffanschlägen jäh den Traum vom friedlichen Zusammenleben zerriss, der seit dem Ende des Bürgerkriegs zwischen der Bevölkerungsmehrheit der Singhalesen und der Minderheit der Tamilen herrschte. In Batticaloa im Osten der Tropeninsel starben Gläubige, im Hotel Cinnamon nahe der malerischen Küste vor Colombo drängte sich ein Selbstmordattentäter an der Warteschlange hungriger Gäste im Frühstückssaal vorbei und sprengte sich in die Luft. In zwei anderen Hotels starben ebenfalls Ausländer. Die offenbar bis ins kleinste Detail geplante und ausgeführte Terrorwelle tötete mehr als 290 Menschen. Zuletzt gab es in Colombo so viele Tote nach einem Anschlag Mitte der 1990er Jahre, als die Separatisten von den Tamil Tigers (LTTE) das Gebäude der Zentralbank in Colombo attackierten.

Sri Lankas Regierung blockierte vorsorglich soziale Medien

Die Hauptstadt verstummte am Sonntag im Schock. Dann verbreitete sich Panik, bis die Regierung von Premierminister Ranil Wickremesinghe am frühen Nachmittag einen Ausnahmezustand im ganzen Land verkündete. Das ist die übliche Vorgehensweise, wenn Terroranschläge und Zwischenfälle auf der Insel den wackligen Frieden zwischen den 70 Prozent buddhistischen Singhalesen, den 13 Prozent Hindus, den etwa zehn Prozent Muslimen und den acht Prozent Christen bedrohen. Das Land hat viele Pogrome erlebt, stets droht Lynchjustiz auf den Straßen.

Doch ebenso wichtig war es der Regierung in Colombo am Sonntag, neue Attentate zu verhindern. Sri Lankas Regierung blockierte soziale Medien, um Gerüchte und Falschmeldungen zu stoppen. Facebook-Posts hatten bereits in der Vergangenheit in Sri Lanka religiöse Gewalt provoziert. Im September 2017 musste eine Gruppe von muslimischen Rohingya-Flüchtlingen in Colombo in Sicherheit gebracht werden, nachdem eine wütende Menge das Haus, in dem sie untergebracht waren, gestürmt hatte. Auf Facebook hatten die Aufwiegler verkündet, die Flüchtlinge seien Terroristen.

Eine „völlig neue Art von Terrorismus“

Zwei Bomben, die offenbar auf Polizisten zielten, explodierten am Sonntag erst Stunden nach den sechs Selbstmordattentaten, die für den größten Teil der Toten und Verwundeten verantwortlich waren. Behörden und Bewohner befürchteten daraufhin eine mehrere Tage andauernde Terrorwelle. Am Sonntagabend wurde auf der Zufahrtsstraße zum internationalen Flughafen von Colombo eine Rohrbombe entdeckt, die Spezialisten entschärfen konnten. Am Montag entdeckte die Polizei 87 Sprengsätze an einer Busstation in Colombo. „Es ist ein sehr, sehr trauriger Tag für uns alle“, sagte der Erzbischof von Colombo, Malcolm Ranjith. Die Regierung bezeichnete die Attentate als eine „völlig neue Art von Terrorismus“ und rief den Notstand aus. „Dies ist ein Schock, und wir werden mit einer Schocktherapie antworten“, erklärte Sri Lankas Wohnungs- und Kulturminister Sajith Premadasa vor der Kirche St. Antonius in Colombo.

Die Regierung gab Hinweise auf mögliche Urheber der Anschläge. Alle sieben Selbstmordattentäter seien Bürger von Sri Lanka gewesen, erklärte ein Sprecher des Regierungskabinetts. Er machte die örtliche islamistische Splittergruppe National Thowheeth Jamath (NTJ) als Drahtzieher der Anschläge verantwortlich. Die Organisation habe Hilfe eines internationalen Netzwerks gehabt. Um welches Terrornetzwerk es sich handelte, blieb unklar.

Terrorexperten hatten schon früh den Verdacht geäußert, dass die Handschrift des Anschlags auf den sogenannten Islamischen Staat (IS) oder Al-Kaida hindeute. Die Separatistenorganisation Tamil Tigers, die über 25 Jahre lang gegen die Regierung kämpfte, hatte zumeist Regierungs- oder Militärziele angegriffen. Die NJT in Sri Lanka ist eine kleine, radikale Gruppe, die offenbar nicht auf dem Radar der Behörden war. Sie hat keinerlei Verbindungen zu der gleichnamigen Organisation in Südindien, die eine nicht politische Organisation ist.

Unter den Todesopfern sind auch 39 ausländische Touristen

Offenbar hatten die Behörden vor Ostern Informationen über geplante Anschläge erhalten, sie jedoch nicht ernst genommen. Im Zusammenhang mit der Terrortat hat die Polizei bislang 24 Verdächtige festgenommen. Unter den Todesopfern sind auch 39 ausländische Touristen, darunter Staatsbürger aus Großbritannien, den USA, Indien und Dänemark. Eines der Todesopfer hatte nach Informationen des Auswärtigen Amts neben dem US-amerikanischen auch einen deutschen Pass. Der Besitzer des Textilkonzerns Asos, der dänische Milliardär Anders Holch Povlsen, verlor drei seiner vier Kinder bei dem Attentat.

Entsetzt über die Bombenanschläge auf Kirchen und Hotels in Sri Lanka hat sich Norbert Quack, der Stuttgarter Honorarkonsul von Sri Lanka, gezeigt. „Dieser Terror kommt überraschend und hat bei mir große Betroffenheit ausgelöst“, sagte der 72-Jährige am Ostermontag unserer Zeitung. Das Land komme jetzt wieder in eine schwierige Situation, sagte Quack, der den Inselstaat seit 1992 als Honorarkonsul in Baden-Württemberg und im Saarland vertritt. Man könne nur hoffen, dass das Ausland der demokratischen Regierung in Colombo den Rücken stärke.

Sri Lanka ist seit Ende des 25-jährigen Bürgerkriegs 2009 weitgehend friedlich gewesen. Nach den Attentaten werden Rufe laut, die Regierung habe zu wenig für den Schutz von Minderheiten unternommen. Während des Bürgerkriegs und auch in den Jahren danach hat sich die christliche Gemeinschaft für die Versöhnung und den Austausch zwischen tamilischen und singhalesischen Familien eingesetzt.