Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt in Berlin ihre Kandidatur. Foto: AFP

Wie kann man loyal bleiben und zugleich Erneuerung fordern? Annegret Kramp-Karrenbauer versucht diesen Spagat, indem sie der Partei signalisiert: Ich habe verstanden, dass sich vieles ändern muss.

Berlin - Harte Kritik können nur enge Vertraute so äußern, dass sie nicht illoyal erscheint. „Wir alle haben die letzten Monate – politisch gesehen – erlebt als eine bleierne Zeit“, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwochmorgen in Berlin. Es ist einer der Sätze, mit denen die amtierende Generalsekretärin der CDU an diesem Morgen offiziell ihre Kandidatur für den Parteivorsitz erklärt, und der sich ganz harm- und nahtlos in die Ansprache einfügt. Würde einer ihrer Kontrahenten – egal ob Jens Spahn oder Friedrich Merz – so formulieren, man sähe es als Frontalangriff auf Angela Merkel.

Es gibt noch mehr solcher Sätze. In ihrer wochenlangen Zuhörtour durch die Partei habe sie den Frust, die Sorge und die Verunsicherung der Mitglieder darüber gespürt, was CDU, CSU und SPD in Berlin zu verantworten hätten. Wichtige Entscheidungen der vergangenen Jahre seien „viel zu häufig durch Notwendigkeiten auf der Regierungsebene“ getroffen worden, um dann anschließend von der Partei „mehr oder weniger mit Widerstand“ akzeptiert zu werden. „Diese Methode passt nicht mehr in die heutige Zeit“, sagt Kramp-Karrenbauer. „Wir müssen die Prozesse umdrehen.“ Die Positionsbestimmung müsse zuerst in der Partei stattfinden. Dann erst könne die Fraktion diese Position in das Regierungshandeln einbringen. Die Partei müsse wieder in die Lage versetzt werden, Wahlen zu gewinnen.

Deutliche Kritik am Ist-Zustand

Das klingt nicht nur wie eine fundamentale Kritik am Ist-Zustand – ein Ist-Zustand übrigens, an dem die Kandidatin in ihrer bisherigen Position nah an der Seite der Bundeskanzlerin und Parteichefin Merkel sehr wohl beteiligt ist. Offenkundig versucht Kramp-Karrenbauer den Spagat, einerseits loyal zu bleiben und andererseits glaubwürdig darzulegen, warum sie verstanden hat, dass und wie sich die Partei erneuern muss.

Auffällig oft spricht sie in den ersten Minuten ihrer Begründung nicht nur vom „Raum für ein neues Kapitel“, sondern vom Ende einer Ära – gerade so, als sei Angela Merkel auch schon fast nicht mehr Kanzlerin. Diese Ära, welche die CDU nachhaltig verändert und geprägt habe, könne man aber „nicht beliebig fortsetzen, man kann sie im Übrigen aber auch nicht rückgängig machen“. Ein Rückgriff auf den „Übergang von Kohl zu Merkel“ erlaubt sie sich, indem sie betont: „Die entscheidende Frage ist, was man aus dem, was man erhalten hat, Neues und Besseres schafft.“

Der Ort, an dem Kramp-Karrenbauer der Öffentlichkeit erklärt, warum sie dafür die geeignete Kandidatin ist, ist natürlich kein Zufall – nicht den Saal der Bundespressekonferenz hat sie gewählt, sondern die saarländische Landesvertretung in Berlin. Wie von selbst teilt sich hier Verschiedenes mit: die Herkunft aus der Stadt- und Landespolitik, die Bezogenheit zum ländlichen Raum, zum Föderalismus mitten im bundespolitischen Hauptstadtbetrieb, zu Europa in einer Ecke der Republik, die an zwei Nachbarländer grenzt. Und natürlich: 18 Jahre Regierungserfahrung in verschiedensten Ämtern, das Wissen darum, wie man Wahlen aus der Opposition heraus gewinnt und wie man es schafft, in Regierungsverantwortung zu bleiben – darin steckt der Verweis auf eine Zeitspanne, in der der eine Konkurrent die längste Zeit in der Privatwirtschaft tätig und der andere zunächst mal Jungunionist und dann Abgeordneter war.

Viel Erfahrung und ein persönlicher Verzicht

Auch das Alleinstellungsmerkmal des persönlichen Verzichts für höhere Ziele betont AKK: Nach einem harten Wahlkampf und einem Sieg gegen alle Umfragen habe sie sich im Februar dieses Jahres entschieden, das „Staatsamt der Ministerpräsidentin“ zur Verfügung zu stellen, „um mich als Generalsekretärin der Partei in den Dienst der CDU zu stellen“, erinnert Kramp-Karrenbauer. Eine schwierige, aber eine der besten Entscheidungen, die sie je getroffen habe.

Und warum? Sie sei „der Überzeugung, dass die politische Stabilität entscheidend davon abhängt, dass es starke Volksparteien gibt“ – und stark könne man nur sein, wenn das Programm viele Menschen einbinde. Ihre Partei müsse sich rückbesinnen auf diese Stärke.

Gewonnen, auch das vergisst Kramp-Karrenbauer nicht zu erwähnen, hat sie diese Erkenntnisse an der Basis – bei den 40 Begegnungen ihrer Zuhörtour in diesem Sommer. „Ich habe sehr genau zugehört.“ Neben Stolz, Frust und Verunsicherung sei die Botschaft der Mitglieder gewesen, dass die CDU „keine Partei werden will, die in den Kategorien von Entweder-oder denkt.“ Zusammenhalt ist so ein Stichwort aus Kramp-Karrenbauers Mund wie Einbinden – es gehe darum, dem Anspruch gerecht zu werden, den die CDU schon im Namen trage: Union.

Kramp-Karrenbauers erweiterter Sicherheitsbegriff

Drei Punkte nennt die Kandidatin als „große Herausforderungen“, auf die man eine Antwort finden müsse – dazu gehöre der Erhalt von Wohlstand in einer sich digitalisierenden Gesellschaft, die Sicherheit und der Zusammenhalt in der Gesellschaft. Egal, ob es in der Folge um das Vertrauen ins Leistungsversprechen der sozialen Marktwirtschaft, um eine europäische Migrationspolitik, Kriminalitätsbekämpfung oder den Anspruch geht, gesunde Luft atmen zu können – über alle Themen legt Kramp-Karrenbauer als Überschrift einen sehr weit gefassten Sicherheitsbegriff. Immer wieder ist die Rede von einem Zustand der Verunsicherung, von unsicheren Zeiten, von dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen – und auch von der Frage, was am besten dabei helfen kann, politische Stabilität herzustellen. „Eines der Gefühle, die Deutschland zur Zeit beherrscht, ist das Gefühl der Entfremdung.“ Es gebe viele Entscheidungen, die Menschen nicht mehr nachvollziehen könnten.

Das Thema Migrationspolitik, das nicht Thema Nummer Eins sei, fächert sie kurz auf: es bringe nichts, jetzt noch jahrelang über die Ereignisse von 2015 zu diskutieren, da sie nicht „rückabgewickelt“ werden könnten, sondern „Fakt“ seien. Nur europaweit, so ihre Überzeugung, könne man jetzt mit mehr Schutz vor Kriminalität Vertrauen zurückgewinnen.

Warnung vor hartem Wahlkampf

Was an konkreten Lösungen in diesem „neuen Kapitel“ zu lesen sein wird, das nun vor der CDU liegt, das müsse die Partei nun entscheiden, so Kramp-Karrenbauer. Sie führe keinen Wahlkampf gegen andere, so betont sie – und wolle auch keinen ruinösen Wahlkampf erleben, der die Partei gespalten hinterlasse. „Ich mache in und für die Partei ein Angebot, wie dieses neue Kapitel inhaltlich und im Stil aussehen kann.“

Ein kleines anderes Angebot erlaubt sich die 56-Jährige dann doch – an ihre Konkurrenten. Falls sie gewählt werde, würde sie sich sehr wünschen, dass Jens Spahn sein Ministeramt behalte. Und Friedrich Merz könne sich mit seiner Expertise gerne in die Partei einbringen. Wenn es um ein neues Steuersystem im Zeitalter der Digitalisierung gehe, könnte vielleicht aus dem Bierdeckel eine neue App werden.