„Es wird nichts einfacher. Es wird nur einfacher, miteinander zu sprechen“, so bilanzierte Anne Will das, was Deutschland und Europa von den USA unter Joe Biden zu erwarten haben. Foto: obs/Wolfgang Borrs

Noch gut 40 Tage ist Donald Trump im Amt. Was ändert sich, wenn der Narzisst das weiße Haus verlässt – und in welchem Zustand lässt er sein Land zurück? Das diskutierte Anne Will mit ihren Gästen. Das Ergebnis? Ernüchternd.

Stuttgart - Der Präsident ist im Stress. „Donald Trump hat am Samstag sein Golfspiel unterbrochen“, um bei einer Kundgebung in Georgia „belegfrei“ zu wiederholen, er habe die US-Präsidenten-Wahl gewonnen, sagte Anne Will zu Beginn ihrer Sonntagabend-Show in der ARD. Gehe es bloß um eine Stilfrage, ob Trump am 20. Januar an der Amtseinsetzungsfeier von Joe Biden teilnehme oder nicht, und was haben Deutschland und Europa von den USA unter Biden in den kommenden vier Jahren zu erwarten, das diskutierte die Moderatorin mit Sigmar Gabriel, dem ehemaligen Wirtschafts- und Außenminister und SPD-Chef, der jetzt der Atlantik-Brücke vorsteht, Norbert Röttgen (CDU), dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, der bekanntlich CDU-Vorsitzender werden möchte, der Kolumnistin Samira El Ouassil, der ersten gebürtigen Deutschen im US-Repräsentantenhaus, der Demokratin Angelika Kausche aus Georgia, sowie dem Politikberater und Republikaner Peter Rough. Das Ergebnis? Ernüchternd. „Es wird nichts einfacher. Es wird nur einfacher, miteinander zu sprechen“, so bilanzierte es Will.

„Trump strickt seine narzisstische Legende“

Das ist nicht nichts, meinte Norbert Röttgen, „das ist Substanz“. Immerhin „haben wir in den vergangenen vier Jahren erleben dürfen, wie wichtig Stil ist“, sagte der Politiker. Falls Trump tatsächlich die Teilnahme an der Amtseinsetzungsfeier seines Nachfolgers verweigere, sei das auch eine Demokratiefrage. „Trump missachtet ganz offen die Regeln der Demokratie, und er schürt Misstrauen gegen die Demokratie, um seine eigene narzisstische Legende zu stricken“, so Röttgen. Der Christdemokrat zeigte sich entsetzt über die führenden Politiker der US-Konservativen. „Noch keiner hatte die Courage zu sagen, die Wahl ist verloren.“ Wobei: „Was ist das für eine Courage. Das ist eine Tatsache.“

„Wir werden eine Machtübergabe erleben“

Peter Rough widersprach, in reinstem Kärntnerisch übrigens: Der 37-jährige Politikberater ist Sohn einer Österreicherin. In Schlüsselstaaten wie Georgia, Arizona und Michigan hätten Republikaner völlig korrekt gehandelt. Die Zurückhaltung der übrigen könne „paradoxerweise etwas Positives bewirken“: Das es nämlich keine Grabenkämpfe gebe, sondern die Gerichte das letzte Wort hätten über die Rechtmäßigkeit der Wahl. „Ich bin zuversichtlich, dass die Institutionen halten und wir am 20. Jänner eine Machtübergabe erleben werden.“ Er würde es sich wünschen, dass Trump daran teilnehme, „das ist mehr als eine Stilfrage, das ist inhaltlich bedeutsam“. Aber er erwarte es nicht.

Röttgen: Republikaner halten sich bewusst zurück

Für Röttgen steckt hinter der Zurückhaltung der Republikaner Kalkül: Die Republikaner wollten die Senatoren-Stichwahl in Georgia Anfang Januar gewinnen, sich jetzt so die Mehrheit im Senat sichern, in zwei Jahren die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobern und in vier Jahren das Weiße Haus – wenn nicht wieder mit Donald Trump, dann mit einem Kandidaten, „der Populismus bedient“. Mit der Wahl Joe Bidens hätten die USA einen Mann der Mitte gewählt, „für uns hätte es nicht besser kommen können“. Der künftige Präsident hätte sich zum Ziel gesetzt, sein Land zu versöhnen – das sei jetzt seine wichtigste Aufgabe. Die zu erfüllen werde aber mehr Zeit in Anspruch nehmen als eine Amtszeit, zitierte Röttgen den Ex-Präsidenten Barack Obama.

Gabriel sorgt sich um die Stabilität der USA

Für Sigmar Gabriel stabilisiert Trump mit seinem Gebaren die tiefen Spalten innerhalb der US-Gesellschaft und innerhalb der republikanischen Partei. Innerhalb der Republikaner „wird jetzt die Schlacht geschlagen, welche Partei soll das sein?“, so der Sozialdemokrat: Eine Partei radikalisierter Trump-Anhänger, die Wettbewerber als Feinde betrachte, oder eine Partei, die sich bemühe, Zugang zu finden zu den verschiedenen Bevölkerungsgruppen.

Das System Trump benötige die Spaltung um zu funktionieren, „Trump braucht Feindschaft“, sagte Gabriel. Für Deutschland und die Welt sei das entscheidend. Es gehe um die Frage „können wir uns darauf verlassen, dass die Amerikaner wieder berechenbar zurückkehren, oder haben wir in vier Jahren den nächsten unkalkulierbaren Präsidenten?“. Es sei hochproblematisch, „wenn eine Supermacht immer nur den Reflexen des inneren Krieges folgt“ – und dieser Krieg zeige sich darin, dass wieder mehr Amerikaner eine Hochzeit über Parteigrenzen hinweg für unmöglich erachten oder ihre Wohnorte nach den Parteimehrheiten vor Ort suchten.

Kausche: „Die Verständigung wird immer schwieriger“

„Wir müssen auf lokaler Ebene Verständigung suchen. Aber das wird immer schwieriger“, sagte Angelika Kausche. Trotzdem in Georgia die Stimmen mittlerweile drei Mal ausgezählt worden seien, werde das Ergebnis immer noch angezweifelt, Georgias Innenminister werde bedroht und stehe mittlerweile unter Polizeischutz: „Wo sind die Republikaner, die sagen, jetzt ist es gut?“ Kausche ist vor neun Jahren Amerikanerin geworden, „weil ich an das System glaube“ und 2017 in die Politik, weil sie mit Trumps Wahl zum Präsidenten 2016 fast vom Glauben abgefallen wäre.

Gabriel: Die Linke verlangt zu viel

Die Kritik an Bidens bisher bekannten Kabinettsmitgliedern als zu wenig links und zu sehr Teil des Establishments ist für Gabriel schlicht „schräg“ – und weckt alte Erinnerungen bei dem Ex-SPD-Chef: „Die politische Linke verlangt mehr als er bringen kann“, das kenne man ja. Als „Präsident des Übergangs braucht er eine Mannschaft, die nicht alle Leute up in arms bringt“ und die in der Lage sei diese Administration zu führen. Schon zu diskutieren aber sei die Frage, ob er mit der Auswahl von Antony Blinken, Janet Yellen und John Kerry als Sondergesandten, die allesamt bereits in der Obama-Administration Posten innehatten, „eine dritte Amtszeit Obamas“ anstrebe: „Sind die in der Lage zu sehen, was jetzt ist, oder wollen sie fortführen, was vor fünf oder zehn Jahren war“, fragt sich Gabriel. Biden würde seinem Land und seinen Leuten einen riesigen Gefallen tun, „wenn er sich offensiv zum Übergang bekennt“.