Anne Wills Sendung befasst sich eigentlich nur noch mit Corona. Foto: NDR//Wolfgang Borrs

In der Talkshow von Anne Will ging es um den Ausnahmezustand in Deutschland. Wie lange soll er noch anhalten? Ausgerechnet der Wirtschaftsvertreter rückte eine Lockerung der Maßnahmen in weitere Ferne.

Stuttgart - Wie lange wird dieser Ausnahmezustand und die partielle Schließung der Wirtschaft wegen des Coronavirus noch andauern? Offiziell soll erst Ostern über diese Frage entschieden werden und sozusagen als theoretisch mögliches, erstes Öffnungsdatum steht noch der 20. April – das Ende der Osterferien – fest. Da war es schon überraschend, dass ausgerechnet der Wirtschaftsvertreter in der ARD-Talkshow von Anne Will am Sonntagabend schon mal eine Fristverlängerung ins Auge fasste: Bis Ende Mai, so Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München, könnten die einschränkenden Maßnahmen beispielsweise in Kraft bleiben, „aber es könnte auch länger dauern“.

Jede Woche gehen 40 Milliarden Euro verloren

Später in der Debatte rückte auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit einer Terminvorstellung heraus, man müsse vielleicht „zwei bis drei Wochen länger durchhalten“, meinte er. Aber zurück zum Wirtschaftsforscher Fuest, der ein düsteres Gemälde der Lage malte: So koste ein Monat des „Shutdowns“ rund vier Prozent des Bruttosozialprodukts, jede Woche gingen 40 Milliarden Euro verloren; ein „Dead Overhang“ in der Wirtschaft sei im übrigen langfristig möglich, eine Flucht der Unternehmen in die Insolvenzen ohne die Lust zum Investieren und in der Folge eine Krise des Finanzsystems. Fuest wehrte sich dagegen, die Strategien „Rettung der Wirtschaft“ auszuspielen gegen „Rettung des Gesundheitssystems“ – beides müsse möglich sein. Auch das Herunterfahren der Wirtschaft mache die Leute krank. Er sei gegen ein zu frühes Wiederanfahren des Wirtschaftslebens, so Fuest, aber eines Tages müsse die partielle Öffnung wieder möglich sein – selbst, wenn die Epidemie dann teilweise wieder zurück kommen sollte: „Wir müssen auch arbeiten können in einer Welt, die gefährlich ist.“

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Ein Mediziner hofft auf das Frühjahr

Vor allem die Mediziner in der Runde scheuten sich, einen Termin für die Rückkehr zur Normalität zu nennen: „Wir müssen auf Sicht fahren, jeden Moment neu bewerten“, sagte der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Institut für Infektionsforschung in Braunschweig. Es sei noch viel zu früh, jetzt schon Kriterien für „eine Änderung der Strategie“ und eine Rückkehr zu halbwegs normalen Zuständen festzulegen: „Wir brauchen und erwarten bald belastbare Daten über die Risiken: wie häufig Antikörper vorhanden sind, wie hoch die Bevölkerungssterblichkeit ist.“ Von der Entwicklung eines Antikörper-Tests erhofft sich Krause eine Menge. Auch sei noch offen, so der Epidemiologe, inwieweit das wärmere Frühjahr vielleicht zu einer Verlangsamung der Epidemie beitragen könnte. Ein entscheidender unter diesen vielen Faktoren aber sei die Belastbarkeit des Gesundheitssystems. Sind seine Kapazitäten ausreichend? Es sei vermutlich so, dass die Epidemie „bei den Älteren noch gar nicht richtig angekommen“ sei, meinte Krause.

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Wo die Schwächen des Gesundheitssystems liegen, das machte Susanne Johna, Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, deutlich: Derzeit nicht bei den Beatmungsgeräten und den Intensivbetten, sondern bei der Schutzausrüstung fürs Klinikpersonal: „Die arbeiten mit Material, das reicht gerade bis zum nächsten oder übernächsten Tag. Das ist ein Nervenspiel. Meine größte Sorge ist: Können wir das Personal halten?“ Das Problem sei seit vier Wochen bekannt und es betreffe auch die niedergelassenen Ärzte. Werde es nicht gelöst, dann gehe auch die ambulante Versorgung verloren – „aber die Infektionswelle macht keine Pause“.

Es ist wie beim Tauchen: Wie lange halten wir es ohne Luft aus?

Wie immer in diesen Talk-Runden waren es die Politiker, die beruhigten und beschwichtigen. Minister Altmaier konterte, dass natürlich schon viel Material angekommen sei und Textilfabriken jetzt Schutzmasken nähten. Man werde das Gesundheitssystem fit machen, die Intensivbetten verdoppeln und – wie gesagt – es gebe noch keinen Mangel an Beatmungsgeräten. Der Erste Bürgermeister von Hamburg, Peter Tschentscher (SPD), hat eine Doppelrolle inne, er ist Politiker aber auch Labormediziner: Man dürfe mit einem frühen Aufheben der Restriktionen keine falschen Signale setzen, meinte er: „Wir sind noch in einer ernsten Lage. Aber wir müssen die Nerven behalten und dürfen nicht zu früh raus mit der Lockerung.“ Tschentscher brachte am Ende der Sendung einen der eindrücklichsten Vergleiche in dieser zwiespältigen Situation: Dieser Shutdown sei wie beim Tauchen, da hole man Luft und die ersten zehn Sekunden seien noch leicht, aber nach einer Minute wisse man dann auch nicht mehr, wie lange man es aushalte.