Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock im Wahlkampf Foto: dpa/Soeren Stache

Wie läuft es, wenn die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ein Solo auf der TV-Wahlkampfbühne hat? Drei Tage nach dem Triell haben wir bei Pro Sieben zugeschaut.

Stuttgart - Ein bisschen klingt es, als müsse der Arzt seinem Patienten jetzt eine echt bittere Pille verordnen, wenn der Moderator der Pro Sieben-Wahlkampfshow Louis Klamroth ankündigt, jetzt gehe es dahin, wo’s richtig weht tut: zur Politik. Aber wo Angela Merkel nach sechzehn Jahren aufhöre, wolle man doch wissen, wer jetzt übernimmt.

Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock stellt sich am Mittwochabend als erstes den Fragen von Pro Sieben. Drei Tage nach dem Fernsehdreikampf, in dem sie mit ihren Wettbewerbern Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) gemeinsam aufgetreten ist, gehört Baerbock die Fernseh-Arena an diesem Mittwochabend allein.

Gab es Aussagen mit Nachrichtenwert?

Das vom baden-württembergischen Finanzminister am Mittwoch angekündigte Onlineportal, wo Bürger Steuersünder melden können, sieht die grüne Kanzlerkandidatin mit Sympathie. Steuerbetrug gebe es viel zu oft, sagt sie auf eine Frage gleich zu Anfang der Sendung. Baerbock verweist auf Transparenzvorgaben der EU bei diesem Thema und kann sich eine anonyme Meldeplattform zur Ermittlung von Steuerbetrügern auch auf Bundesebene vorstellen.

„Wir müssen Orte schaffen, wo auch gemeldet werden kann, wenn man weiß, dass es zu heftigem Steuerbetrug kommt“, betonte Baerbock. In Baden-Württemberg werde das nun gemacht, was eigentlich auch Aufgabe eines Bundesfinanzministers gewesen wäre. „Die nächste Bundesregierung sollte das auch einführen“, meint sie.

Was war das Hauptthema?

Wie bei jedem Wahlkampfauftritt hat Annalena Baerbock den Klimaschutz an die erste Stelle ihrer Prioritätenliste gestellt mit einem früheren Ausstieg aus der Kohleenergie, einem kompletten Umbau der Landwirtschaft, einer starken Elektrifizierung des Autoverkehrs und der Einführung eines CO2-Preises den Einstieg in ein klimaverträglicheres Wirtschaftssystem angekündigt.

Eine Vertreterin von Fridays for Futurs im Publikum hielt ihr vor, dass das grüne Programm nicht ausreiche, um den Klimawandel zu stoppen. Doch Baerbock sagte, dass sie keine Garantie abgeben könne, dass Deutschland das 1,5-Grad-Ziel schon bis 2030 erreiche. Sie sei froh, dass Fridays for Future mehr Dynamik forderten, brauche aber Mehrheiten für ihre Politik. In den nächsten vier Jahren müsse der Einstieg geschafft werden. Bis 2040, so Baerbocks Prognose, werde Klimaneutralität in Deutschland erreichbar sein.

Der Erstwählerin, die täglich mit dem Auto vierzig Kilometer zur Universität pendelt und fürchtet, den klimaschutzbedingt teureren Benzinpreis nicht zahlen zu können, stellt sie Zuschüsse auch für gebrauchte Elektroautos und den Ausbau der Ladesäulen in Aussicht. Beide sind am Ende nicht zufrieden, überhaupt: Keiner der Fragesteller aus dem Publikum outet sich während der Sendung als Baerbock-Wähler.

Wie informativ ist die Sendung?

In eineinhalb Stunden Sendezeit gelingt es, Schlaglichter auf viele Themenbereiche zu werfen – Klima, soziale Gerechtigkeit, eine bessere Bezahlung von Pflegekräften und die Lage in Afghanistan. Mit Ausnahme vom Klimaschutz, wo Baerbock etwas weiter ausholen kann, fehlt aber die Gelegenheit zur Vertiefung.

Am konkretesten kann Baerbock noch bei der Frage nach den Ortskräften der Bundeswehr werden, die unter Lebensgefahr in Afghanistan festsitzen. Sie wolle alles tun, um sie zu retten. Die einzige Möglichkeit, etwas zu erreichen seien Gespräche mit den Taliban, zu denen die Bundesregierung jetzt gezwungen sei. Sie forderte die Regierung auf, alle Anrainerstaaten unverzüglich zu einer Afghanistan-Konferenz einzuladen.

Wie groß ist der Unterhaltungswert?

Die Sendung hat Tempo, und sie ist kurzweilig. Baerbock antwortet locker auf die im Staccato abgefeuerten Fragen des Moderators. Mit ihr im Kanzleramt werde Rock- und Kitamusik in der Regierungszentrale zu hören sein. „Kämpferin“ würde sie – die ganz früher einmal Kriegsreporterin werden wollte – als Überschrift über ein Wahlkampfporträt von sich selbst schreiben. Empathie und Zielstrebigkeit seien zwei Schlüsselqualifikationen, die sie für die Aufgabe als Kanzlerin qualifizierten.

Der Bahnstreik bringe ihre Tourpläne für den Wahlkampf nicht durcheinander, weil sie mit einem großen Tourbus unterwegs ist. „Wir schlafen dort im Stockbett“, berichtet sie. Nach dem Rendezvous mit dem Publikum von Pro Sieben will sie mit ihrer Mannschaft im Bus noch bis Bielefeld fahren. „Wahrscheinlich werden wir um 3 Uhr nachts dort ankommen“, und um überhaupt ein wenig Schlaf zu bekommen, brauche es die Betten. Spätestens in dem Moment klingt die Sache mit dem Stockbett nicht mehr nach Jugendherbergsromantik von früher, sondern nach dem Stress, den heutige Wahlkämpfe für die Spitzenpolitiker mit sich bringen.

Was sind die Stärken und Schwächen der Sendung?

Die Wahlkampfshow liefert eine gute Mischung aus Information und Unterhaltung. Der Moderator Louis Klamroth versteht es gut, große politische Themen mit persönlichen Kleinigkeiten zu verbinden. Erst fragt er Baerbock, die früher Fußball gespielt hat, nach ihren Erfahrungen auf dem Fußballplatz („Ich habe nie eine rote Karte bekommen“), dann nach einem Boykott der Fußball-WM in Katar. Das wirkt lebendig und jünger, als man es von den klassischen Wahlsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender kennt.

Der Versuch, die Politikerin durch die Fragesteller aus dem Publikum mit der Realität des Wähler in Deutschland und ihre jeweiligen Probleme zu konfrontieren, scheitert aber im Grunde strukturell. Nie ist Baerbocks Antwort die perfekte Lösung für das geschilderte Problem. Dass sie das nicht sein kann, weil es Aufgabe der Politik ist, bei jedem Thema Lösungen für viele unterschiedliche Interessensgruppen zu finden und so dem Allgemeinwohl Vorrang vor dem Einzelinteresse einzuräumen, geht bei dieser Art der Politik-Aufbereitung unter. In zwei Wochen wird der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in der Sendung zu Gast sein.