Kuba im Umbruch: Wohin geht die Reise? Foto: Melanie Maier

Seit der Annäherung zwischen Kuba und den USA befindet sich der sozialistische Inselstaat im Umschwung. Die Kubaner sehen der Entwicklung hauptsächlich optimistisch entgegen – sie träumen von einer besseren Zukunft. Ein Besuch in Kubas Hauptstadt.

Havanna - Auf den Straßen von Havanna herrscht reger Verkehr, doch Arturo Jiménez (Name geändert) bringt das nicht aus der Ruhe. Mit einem ausgeblichenen Strohhut auf dem Kopf sitzt der 52-Jährige am Steuer. Auf dem Weg zum Revolutionsmuseum am Plaza 13 de Marzo navigiert er sein Taxi mal links, mal rechts an Bussen, Autorikschas und Oldtimern vorbei. Der Wind bläst durch die offenen Fenster des mintgrünen Dodge. Im Wagen selbst riecht es nach Diesel.

Nun, in der Reisehochsaison, laufen die Geschäfte für Jiménez blendend. Nachdem US-Präsident Barack Obama und Kubas Präsident Raúl Castro am 17. Dezember 2014 zeitgleich die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen verkündet haben und Obama am folgenden 16. Januar Embargoerleichterungen in Kraft gesetzt hat – was unter anderem auch Reiseerleichterungen für US-Bürger bedeutete – sollen 2015 mehr als eine Million amerikanische Touristen nach Kuba gereist sein. In den Jahren zuvor kamen aufgrund der heiklen Einreisebedingungen oft weniger als 100 000 von insgesamt knapp drei Millionen Touristen jährlich aus den USA.

Sollten auch die letzten Einschränkungen fallen, könnte Kuba allerdings ein Problem bekommen mit der Unterbringung seiner zusätzlichen Gäste. Bis Mai seien schon jetzt fast alle Hotels und Privatunterkünfte ausgebucht, sagt Toby Gough. Der Regisseur aus Schottland – klein, blond, rundlich, quirlig – verbringt seit einer guten Dekade den Großteil seiner Zeit in Havanna. Er kennt die Stadt besser als manch einer, der in ihr geboren wurde.

Jeder, der kann, öffnet ein Hotel

„Wir erleben eine Zeit des Umbruchs“, sagt Gough während eines Spaziergangs durch die verworrenen Gassen rund um das Revolutionsmuseum. Zwischen der Calle Habana und der Calle Cuarteles dröhnt Baulärm aus den Häusern. Latino-Musik schallt aus einem Radiorekorder, der seine besten Tage wohl in den 90ern erlebt hat. Gough nickt zu einem Eckgebäude, in dessen Erdgeschoss drei Bauarbeiter die Wände hell verputzen. „Die Stadt explodiert geradezu“, kommentiert er. „Jeder, der kann, eröffnet ein Hotel oder ein Restaurant – Kuba verändert sich gerade grundlegend.“ Auch Gough wird in Kürze ein indisches Restaurant nahe der Kathedrale eröffnen. „Indisches Essen mögen die Kubaner nicht besonders – die Amerikaner dafür sehr“, sagt er zwinkernd.

Doch nicht nur Privatinvestoren, auch der kubanische Staat bereitet sich auf einen Ansturm aus dem Nachbarland vor. Und zwar mit Prestigeprojekten: Luxushotels, Golfplätze und Yachthäfen seien in Planung, so Tourismusminister Manuel Marrero Cruz Anfang Mai 2015 auf der Tourismusmesse „Fit Cuba“. Zudem sollen die Terminals der internationalen Flughäfen modernisiert werden. Kein Wunder, dass selbst Airbnb den kubanischen Markt inzwischen für sich entdeckt hat.

Doch nicht nur der Tourismussektor soll den über Jahrzehnte hinweg abgeschotteten Karibikstaat nachhaltig verändern. Seit sich das Land vorsichtig den Investoren und der freien Marktwirtschaft öffnet, reisen Wirtschaftsdelegationen aus aller Welt nach Kuba. Erst Anfang Januar war Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vor Ort und brachte 60 deutsche Unternehmensvertreter mit. Gabriel sieht vor allem beim Thema Infrastruktur – beim Ausbau von Straßen, Flug- und Seehäfen – Chancen für deutsche Firmen. Bisher sind erst rund 50 deutsche Unternehmen auf Kuba aktiv.

Nur wenig Handys

Die Devisen hätte Kubas Wirtschaft bitter nötig. Seine Mangelwirtschaft ist allerortens spürbar. Unweit des Malecóns, Havannas berühmter Uferpromenade, wirbt ein Supermarkt unter anderem mit Reis, Keksen, Fleisch und Zucker. Etwas weiter westlich, in einem Einkaufszentrum gegenüber dem Hotel Meliá Cohíba, sind zwar allerlei Putzmittel und Schnapsflaschen erhältlich, dafür aber nur eine Mehlsorte: identische Packungen in sechs Regalreihen.

Ebenfalls sehr selten auf Kuba: kabelloses Internet. Selbst in der Hauptstadt sieht man kaum jemanden mit einem Handy in der Hand. In dem Kulturzentrum FAC (Fabrica de Arte) am westlichen Ende des Malecóns verzichtet man bewusst auf den Kontakt zur Außenwelt. Neben Filmvorführungen, Kunstperformances, Konzerten und Ausstellungen hat Google keinen Platz. Vor rund eineinhalb Jahren restaurierte eine Gruppe von Künstlern die ehemalige Ölfabrik, unter ihnen Inti Herrera. „Wir haben hier etwas ganz Tolles“, sagt er scherzhaft. „Es ist wie Facebook, bloß in der Wirklichkeit.“

Pedro Álvarez (Name geändert) hingegen hat genug von den Entbehrungen. „Ich habe die Nase voll von der Revolution!“, sagt der 36-jährige Übersetzer. „36 Jahre lang habe ich für die Revolution gearbeitet – und sehe keine Resultate.“ Was Álvarez gerne hätte? Ein Gehalt, das ihm mehr einbringt als den durchschnittlichen Monatslohn von rund 15 Euro, Reisefreiheit, Zugang zum Internet, saubere Krankenhäuser. „Dafür würde ich auch gerne bezahlen“, sagt er. „Allein, mir fehlt die Möglichkeit. Willkommen in der Vergangenheit!“

Ende der Eiszeit

An die Öffentlichkeit wagt sich der junge Mann trotz steigenden Frusts jedoch nicht mit seinen Begehren. Verständlich, wenn man bedenkt, dass sich in Kuba trotz der sich wandelnden Außenpolitik bisher wenig im Bereich der Innenpolitik bewegt hat.

Horst Zaar, Kuba-Experte von Amnesty International, ist der Ansicht, dass sich die Menschenrechtslage seit der Öffnung sogar verschärft hat. „Allein im November 2015 gab es rund 1400 politisch motivierte Inhaftierungen“, sagt er, „eine erschreckend hohe Zahl.“ Im Vorjahresmonat waren es etwa 700. Im Gespräch mit den Stuttgarter Nachrichten berichtet Zaar zudem von willkürlichen Verhaftungen und massiven Gewaltanwendungen der Polizei. Tausende Kubaner haben sich inzwischen als politische Flüchtlinge auf den Weg in die USA gemacht. Nach dem Ende der Eiszeit zwischen Washington und Havanna befürchten sie offenbar, bald nicht mehr so einfach wie bisher eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Wie viele von ihnen ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben, ist unklar.

Marcos Lopes (Name geändert) ist einer von denjenigen, die Angst haben vor dem, was passieren könnte, wenn das Regime von ihrem Ärger wüsste. „Ich könnte Probleme bekommen, nur weil ich mich darüber unterhalte“, sagt er. Ausreisen will der 33-jährige Landschaftsgärtner aber nicht. Er ist verheiratet, hat ein Kind. „Der Wunsch, woanders hinzugehen, ist langsam verblasst“, sagt er.

Hoffnung auf Reiseerleichterungen

Was nicht verblasst ist, ist sein Ärger über die Ungleichheit in seiner Heimat. „Dass es keine Arbeitslosigkeit gibt, ist eine Lüge“, sagt Lopes. Im blauen T-Shirt, in Sneakers und mit einer Goldkette um den Hals sitzt er am Malecón. „Studieren kann nur, wer Geld hat. Wir leben in einer Zweiklassengesellschaft“, fügt Lopes mit bitterem Unterton hinzu und schaut aufs Meer.

Ohne den Kapitalismus, ist er überzeugt, gebe es keine Entwicklung. So sieht er der Öffnung gegenüber den USA positiv entgegen. Bis Kuba sich tatsächlich ändert, könne es aber noch 20, 30 Jahre dauern. „Erst wenn alle Generäle gestorben sind und eine neue Generation von Politikern nachkommt, kann alles anders werden“, sagt Lopes. „Die Touristen sehen ja nur die schönen Seiten Kubas. Doch wenn man hier lebt, sieht man die wirklichen Probleme.“

So ähnlich sieht das auch Arturo Jiménez. „Wir haben viele Probleme in diesem Land“, sagt der Taxifahrer, während er seinen Dodge vor dem Revolutionsmuseum parkt, „das sagt eigentlich jeder.“ Jiménez’ Tochter ist vor zwölf Jahren in die USA gezogen – aus Mangel an Perspektiven. Seither hat er sie nur dreimal gesehen. Seinen zweijährigen Enkel kennt er nur von Fotos. Im Zuge der Annäherung hofft Jiménez vor allem auf Reiseerleichterungen auch für die Kubaner: „Dann könnte ich meine Tochter und ihren Sohn einmal in den USA besuchen.“