Sehnsucht nach ewiger Jugend ist unendlich langweilig, sagt Autorin Anna-Katharina Hahn.

Stuttgart - Die Stuttgarter Autorin Anna-Katharina Hahn (40) hat nach ihrem grandiosen Roman "Kürzere Tage" ihr erstes Theaterstück geschrieben. Der Monolog "Die letzte Stufe" ist Teil von "Sinn-Spuren", eines musikalischen Poems in drei Teilen, das in Heilbronn uraufgeführt wird.

Frau Hahn, wie kam es zu dem Projekt ?

Christian Marten-MolnÖr, der Chefdramaturg und stellvertretende Intendant, hat mir sehr ausführlich geschrieben, mir das Projekt vorgestellt und mich überzeugt. Mein Großvater Georg Hahn hat lange als Regisseur in Heilbronn gearbeitet. Dass die Einladung, meinen ersten Ausflug ins Dramatische zu machen, ausgerechnet aus diesem Theater kam, schien fast schicksalhaft zu sein. Aber ernsthaft: Ich habe bisher ausschließlich Prosa geschrieben und empfand es als außerordentlich glückliche Gelegenheit, jetzt unter professionellen Voraussetzungen die Gattung wechseln zu können.

Bei Prosa haben Sie ja keinerlei Vorgaben, aber hier schon. War Ihnen Schostakowitsch vertraut, dessen 14. Sinfonie an dem Abend auch gespielt wird?

Ich kannte Schostakowitsch bislang eher oberflächlich und habe mich natürlich vor allem mit der 14. Sinfonie beschäftigt. Dies ist ein Thema, das mich sehr interessiert, wie Lebensgefühl und einzelne Bilder romantischen Denkens und Fühlens bis in unsere Gegenwart hineinfließen.

Haben Sie sich beim Schreiben an der Musik orientiert?

Ich habe die Sinfonie immer wieder gehört, allerdings nicht während der Arbeit selbst, da habe ich es am liebsten still. Neben der dunklen Grundstimmung der Klänge wurden die Gedichte, die Schostakowitsch seiner Musik zugrunde legte, am wichtigsten; viele davon kannte und liebte ich schon vorher (Rilke, Garcia Lorca), andere begegneten mir zum ersten Mal. Ich habe Motive und Bilder aus einigen Gedichten in meinem Monolog verarbeitet, um so eine Verbindung zur 14. Sinfonie zu schaffen.

Inzwischen wird schon geprobt. Begleiten Sie den Probenprozess?

Ich bin sehr oft im Theater und sehe dabei zu, wie meine Worte lebendig werden; wenn es Fragen zu den Hintergründen der Figur, den Gefühlen, die sie bewegen, gibt, zum Textverständnis, kann ich an Ort und Stelle antworten und erklären. Dabei ist der Text - was mich sehr freut - nahezu vollständig und fest geblieben.

Man schreibt allein, Theater geht nur im Kollektiv. Wie erleben Sie das?

Auch wenn ich bei meiner Arbeit ganz auf mich gestellt bin und das auch sehr schätze, finde ich es erfrischend und aufregend, jetzt für kurze Zeit ein Teil dieser Theaterwelt zu sein, die unendlich vielen Ausdrucksformen kennenzulernen, die die Bühne dem geschriebenen Wort geben kann. Was mir besonders gefällt, ist die fast schon ein wenig verrückte Tatsache, dass sich jeden Tag eine Schar von Menschen in ein abgeschlossenes Gebäude begibt, um dort gemeinsam zu spielen, zu experimentieren - diese eingeschworene Gemeinschaft, die täglich Kunst hervorbringt und sich gegenseitig stützt und inspiriert. Das ist schon anders als mein Schreibtisch, an dem ich einsam durch das Meer der Gegenwart treibe, ohne die Gesellschaft anderer Seeleute.

Kannten Sie die Schauspielerin schon, als Sie den Monolog geschrieben haben?

Ich bin Ingrid Richter-Wendel erst begegnet, als ich schon mitten in der Arbeit war. Sie ist eine beeindruckend gute Schauspielerin, es hat mich beflügelt zu wissen, dass sie meine Figur zum Leben erwecken wird.

Ihr Roman "Kürzere Tage" ist vergangenes Jahr in Stuttgart im Kammertheater dramatisiert worden. Was haben Sie aus dieser ersten Theatererfahrung mitgenommen?

Die Dramatisierung der "Kürzeren Tage" war eine völlig selbstständige Deutung meines Romans. Ich fand das interessant; es ist ungefähr so, als schaue man einem erwachsenen Kind dabei zu, wie es auszieht und sein eigenes Leben anpackt.

Sie erzählen in "Die letzte Stufe" von einer Frau, die ihr Haus verlassen soll, um in ein Altenheim zu ziehen. Wie kamen Sie auf diese Geschichte?

Eigentlich war mir bereits im selben Moment, als ich davon hörte, klar, was ich machen wollte. Ich sah die Geschichte und die Figur vor mir, eine alte Frau in ihrem Garten. Wenn ich anfange zu schreiben, steht mir immer ein Bild vor Augen, von dem alles andere ausgeht. Der Monolog ergab sich aus der Absprache für das Auftragswerk, aber auch aus der Situation der Figur - sie ist allein mit sich selbst, so einsam, wie man nur sein kann.

In "Kürzere Tage" schildern Sie das Leben, auch das Sterben, die Liebe eines alten Paares. Ihren Monolog hält nun auch eine ältere Frau - ganz gegen den Theatertrend. Man sieht immer seltener alte Schauspieler auf der Bühne.

Die Endlichkeit unseres Dasein und wie wir, in den allermeisten Fällen ohne jeden metaphysischen Rettungsanker, damit umgehen, ist ein Thema, das mich wohl nie loslassen wird. Deshalb sind meine Figuren oft alt; die Sehnsucht nach ewiger Jugend, Gesundheit und Schönheit ist verständlich, aber auch oft unendlich langweilig - im Leben wie in der Kunst.

Warum?

Wenn ich Ingrid Richter-Wendel auf der Bühne zusehe, zeigt sie in ihrem Ausdruck, ihrer Präsenz, ihrem Können und auch in ihrer Schönheit schauspielerische Leistungen, zu denen eine jüngere Darstellerin gar nicht in der Lage wäre - aus Mangel an Erfahrung. Die vielen gelebten Jahre bringen eine Tiefe zustande, auf die man nicht verzichten sollte. Leider ist das Alter nach wie vor ein Tabu. In der Kunst ist der Mut wahrscheinlich noch am größten - hier gibt es doch zunehmend Leute, die eine Auseinandersetzung wagen.

Die Premiere findet am 28. Januar um 19.30 Uhr im Großen Haus im Theater Heilbronn statt. Es inszeniert Christian Marten-MolnÖr. Neben Hahns Monolog erklingt die 14. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch sowie "Lieder und Tänze des Todes" von Modest Mussorgski in einer Neuinstrumentierung von Andreas Tarkmann. Die musikalische Leitung übernimmt Ruben Gazarian, es spielt das Württembergische Kammerorchester.