Mit einem Schurkenstück prellt der Schotte Gregor MacGregor Anfang der 1820er Jahre Investoren um Millionen. Sein Trick: Er bringt Anleger dazu, in ein paradiesisches Land zu investieren, das es gar nicht gibt.
London - Hochstapler, das lehrt aktuell das Beispiel des insolventen Finanzdienstleisters Wirecard, sind immer dann erfolgreich, wenn die Vernunft der menschlichen Sehnsucht nach dem schnellen Geld weicht. Das Unternehmen hat Umsätze erfunden, Bilanzen manipuliert und so leichtgläubige Anleger über Jahre an der Nase herumgeführt.
Ein noch viel größeres Schurkenstück gelang vor circa 200 Jahren dem Schotten Gregor MacGregor, der gleich ein ganzes Land erfand. Als „Prince von Poyais“ ging der adlige Hochstapler mit dem gleichnamigen Überseeparadies in Europa hausieren, knöpfte Investoren ein Vermögen ab und brachte Hunderte seiner schottischen Landsleute dazu, Land in seinem ausgedachten Fürstentum zu kaufen.
Erst Freiheitskämpfer, dann Hochstapler
Wer war dieser Virtuose der Täuschung, dem die Anleger scharenweise auf den Leim gingen und von dem der „Economist“ schrieb, er habe die „größte Bauernfängerei aller Zeiten eingefädelt“? 1786 in Glengyle, nördlich von Glasgow, geboren, machte der Sohn eines ehemaligen Hauptmanns Karriere in der britischen Armee, bevor es ihn 1811 in die Neue Welt zog, wo er sich den südamerikanischen Revolutionären in deren Kampf gegen die spanischen Kolonialherren anschloss.
Es gelang ihm, die Gunst Simón Bolívars zu erringen, dem Helden der südamerikanischen Unabhängigkeitskriege, der ihn zum Generalmajor beförderte. Josefa, MacGregors zweite Ehefrau, war Bolívars Cousine. Der kühne Schotte genoss also hohes Ansehen unter den Freiheitskämpfern.
MacGregor pflegt das Image des Abenteurers
Um weiteren militärischen Ruhm zu ernten, stellte MacGregor 1817 eine kleine Armee republikanischer Kämpfer auf und eroberte Amelia Island vor der Küste des von Spanien kontrollierten Florida. Obwohl die Einnahme unter dubiosen Umständen gelang und nur von kurzer Dauer war, ernannte sich der ehrgeizige Schotte zum „Befreier Floridas“.
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Schon damals zeigt sich, dass die Kraft seiner Worte größer ist als seine militärischen Taten. MacGregor pflegt das Image eines verwegenen Abenteurers und legt sich klangvolle Titel wie „Kazike von Poyais“ und „Inka von Neu-Granada“ zu. 1820 trifft der Schotte in London ein. Sein Ruf eilt ihm zwar voraus, viel weiß man aber nicht über ihn.
Der Schotte ist das Gesprächsthema Nummer eins
Der charismatische und wortgewandte MacGregor, der ein Faible für schicke Kleidung und Mode hat, nutzt dies zu seinem Vorteil. Selbstsicher im Auftreten und sehr überzeugend im Argumentieren, weiß er sich in gutem Licht darzustellen, erzählt auf glanzvollen Soireen, dass er dem schottischen Hochadel entstammt, ein Held der Napoleonischen Kriege und des südamerikanischen Unabhängigkeitskampfes sei und mit der Cousine Simón Bolívars verheiratet ist. Und er gibt sich als „Fürst von Poyais“ aus, einem Land an der Küste Nicaraguas und Honduras’, von dem bis vor Kurzem niemand gehört hatte.
Das Gebiet, das auch unter dem Namen Moskitoküste bekannt war und laut MacGregor 33 000 Quadratkilometer umfasste, sei ihm von dem einheimischen König namens George Frederic als Herrschaftsgebiet übertragen worden. In der Londoner High Society sind der eloquente Schotte und sein Reich in Mittelamerika bald Gesprächsthema Nummer eins.
Anleger suchen nach lohnenden Geschäften
MacGregor hatte einen guten Zeitpunkt erwischt, nach Europa zurückzukehren. Napoleon war besiegt worden und die britische Wirtschaft expandierte stetig. Auf der Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten schielten die Londoner Anleger auf den südamerikanischen Markt, wo es nach dem Zusammenbruch des spanischen Reiches eine Reihe von neuen Ländern gab, in die zu investieren ein lohnenswertes Geschäft versprach.
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MacGregor befördert den Traum vom schnellen Geld, indem er hohe Renditen verspricht. Im Oktober 1822 bietet er eine „Poyais-Anleihe“ im Wert von 1,5 Millionen Pfund (heute umgerechnet mehr als 110 Millionen Euro) zu sechs Prozent an und erklärt den Anlegern die Vorteile ihrer Investition: Poyais sei so reich an Ressourcen, dass die Exportsteuereinnahmen die Zinszahlungen für die Schulden leicht decken würden. Der Mann, der den Schein mehr liebt als die Wirklichkeit, erschwindelt auf diese Weise Millionen.
Hoffnung auf ein besseres Leben in Poyais
Doch nicht nur die Londoner Finanzwelt fällt auf den Schwindel herein. Auch seine Landsleute gehen dem Betrüger auf den Leim. In Schottland herrscht Anfang des 19. Jahrhunderts große Armut. Die Not nutzt MacGregor schonungslos aus: In einem 350-seitigen Reiseführer rührt er kräftig die Werbetrommel für sein Fürstentum, preist die Vorzüge von Poyais und weckt die Hoffnung auf ein besseres Leben in der Fremde.
MacGregor verspricht den Ausreisewilligen das Blaue vom Himmel: Flüsse voller Gold, fruchtbare Böden, auf denen drei Ernten im Jahr gedeihen und friedliche, arbeitsame Einheimische, die gegen ein geringes Entgelt arbeiteten. Ein weiterer Vorzug von MacGregors karibischem Eldorado: Ein Plantagenbesitzer kann pro Jahr 35 Prozent des investierten Kapitals als Rendite einstreichen und muss keine Einkommensteuer entrichten.
Günstige Grundstücke, in einem Land, das es nicht gibt
Zudem, so heißt es in dem Auftragswerk weiter, verfüge dieses Steuerparadies über eine gut ausgebaute Infrastruktur: Ein geschäftiger Handelshafen in einer idyllischen Lagune, eine Hauptstadt, St. Joseph, mit prachtvollen Boulevards und Häusern, einer Bank, einem Theater und einem Opernhaus. Großartige Aussichten sind das.
Die Ausreisewilligen verkaufen Heim und Hof und erwerben Grundstückszertifikate in dem fremden Land, die MacGregor zu günstigen Konditionen anbietet. Von dem Rest ihrer Ersparnisse kaufen sie frisch gedruckte „Poyais-Dollars“, die ebenso fiktiv sind wie das karibische Eldorado. MacGregor gelingt es so, mehrere Millionen Pfund zu erschwindeln.
Dschungel statt prächtiger Boulevards
Ende 1822 brechen die ersten Siedler in das verheißene Land auf. An Bord befinden sich ganze Familien, in ihren Taschen Besitzurkunden und ein paar Geldscheine in der Landeswährung. Doch bald nach ihrer Ankunft entpuppt sich das Ganze als Mogelpackung. Was die Siedler im vermeintlichen Paradies vorfinden, sind keine blühenden Landschaften, sondern eine unfruchtbare und unwirtliche Gegend. Statt eines geschäftigen Hafens und der Hauptstadt St. Joseph nur Dschungel. Statt Gold und Silber tropische Krankheiten. Und auch die für harte britische Pfund umgetauschten Poyais-Dollars erweisen sich als wertlose Fetzen Papier.
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Ein Großteil der Siedler stirbt. Die Überlebenden, von MacGregor um ihre Ersparnisse gebracht, werden erst nach Monaten in die Heimat zurückgebracht. Als sie im Herbst 1823 dort ankommen, hat sich MacGregor längst nach Frankreich abgesetzt, wo er mit unverminderter Dreistigkeit denselben Betrug wiederholt. Doch in Paris ist man misstrauischer. Der Schwindel fliegt auf, MacGregor wird angeklagt, doch es gelingt ihm, freigesprochen zu werden.
MacGregor wird nie zur Rechenschaft gezogen
1839 kehrt MacGregor dorthin zurück, wo seine Karriere als Hochstapler begonnen hatte. Den Rest seines Lebens verbringt er im inzwischen unabhängigen Venezuela. Sechs Jahre später stirbt er in Caracas, wo er mit militärischen Ehren beerdigt wird. Für seine betrügerischen Machenschaften wird der erste Wertpapierbetrüger der Geschichte nie zur Rechenschaft gezogen.