Der Anime-Regisseur Makoto Shinkai erzählt in „Suzume“ ein magisches Märchen mit vielen Ebenen. Er bewegt sich dabei in einer großen Tradition.
Die 17-jährige Suzume ist in einem Albtraum gefangen: Als kleines Mädchen sucht sie ihre Mutter inmitten der Verwüstung durch einen Tsunami, der ganze Schiffe auf Häuser geknallt hat. Sie wacht in ihrem sonnendurchfluteten Zimmer auf, als ihre treu sorgende Tante Tamaki sie ruft. Auf dem Weg zur Schule trifft sie den mysteriösen Sota, der einen magischen Schlüssel bei sich trägt und ein Dimensionstor sucht. Bald gerät Suzume in ein Abenteuer, im Zuge dessen sie die Welt retten muss.
Ein atemberaubendes Anime-Werk voller Verstrickungen und Metaebenen hat Makoto Shinkai erschaffen, ein märchenhaftes Fest der Sinnlichkeit und der Fantasie – wie schon im Vorgängerfilm „Weathering With You“ (2019), in dem ein Sonnenschein-Mädchen dem Klimawandel die Stirn bietet. Meisterhaft führt der japanische Regisseur die Tradition des großen Hayao Miyazaki fort, in dessen kunstvollen Film-Epen wie „Prinzessin Mononoke“ auch stets Mädchen die Heldinnen sind. Shinkai macht aus seiner Verbundenheit kein Geheimnis: Die Stadt, in der „Suzume“ spielt, heißt Miyazaki.
Ein Roadmovie-Trip durch Japan
Suzume geht auf einen Roadmovie-Trip durch Japan, von der Südspitze per Dampfer und Bullet-Train bis nach Tokio, und sie findet unterwegs überall weibliche Hilfe. Die gleichaltrige Chika serviert Fisch mit Reis, und Suzume kommen die Tränen, weil es so gut schmeckt; danach reden sie über die Dummheit der Jungs. In Kobe nimmt die Barbesitzerin Rumi sie auf. Suzume hütet deren Zwillinge und erlebt einen Tobe-Chaos-Nachmittag, ehe sie in Rumis Kneipe einiges übers Leben lernt. Hoch symbolisch und ganz unaufdringlich beschwört Shinkai die Solidarität unter Frauen als Baustein zur Weltenrettung – was durchaus als feministische Botschaft verstanden werden darf.
Visuell überwältigend bis hin zur drohen enden Apokalypse
Ein magischer Katzenstein erwacht zum Kätzchen-Leben und ist bald ein Social-Media-Star, genau wie ein dreibeiniger Kinderstuhl, Suzumes einziges Erinnerungsstück an ihre Kindheit. Eine Kuss-Option kommt ins Spiel und wird zum Running Gag – auch Japan hat seine „Froschkönig“-Legende.
Alles, was in diesem Film zu sehen ist, hat eine tiefere Bedeutung – zumindest für alle jene, die eine gewisse Ader für japanische Fantastik mitbringen. Visuell ist „Suzume“ überwältigend – wie die Morgensonne kitzelt, wie die Brise die Möwen trägt, wie die Menschen Sehnsuchtsorte einfach verkommen lassen, eine verlassene Therme etwa oder einen Vergnügungspark. Genau dort erscheinen die Dimensionstore, aus denen in einer roten Feuersäule eine zerstörerische Kraft aus einer anderen Sphäre eindringt und droht, die Apokalypse auszulösen.
Suzume gelangt zu tieferer Erkenntnis
Die oft dramatische Begleitmusik kommt je nach Situation mal orchestral daher, mal choral und mal als Bigbandjazz. Den hymnischen Titelsong intoniert eine junge Sängerin namens Toata. Sie wandelt auf den Spuren einer gewissen Yumi Arai, deren Songs Miyazaki gerne eingesetzt hat. Auch diese ist zu hören: Sotos Freund Tomoya legt im Auto „Lipstick Message“ von 1975 ein und sagt: „Der perfekte Song für einen Ausflug.“
Für Suzume verknüpft sich alles irgendwann, und sie gelangt zu tieferer Erkenntnis. Die Welt wäre zu retten, wenn man ihr glaubt – die Menschheit müsste nur genügend Fantasie aufbringen.
Suzume. Japan 2022. Regie: Makoto Shinkai. 121 Minuten. Ab 12 Jahren. Start: 13.4.