Dichter Verkehr, hohe Geschwindigkeiten: Das macht vielen Fahrern Angst. Foto: fotolia

Die hohen Geschwindigkeiten, das Überholen oder kaum Möglichkeiten anzuhalten: Was Menschen an Autobahnen abschreckt, ist unterschiedlich. Doch wer stattdessen Umwege über Landstraßen fährt, lebt gefährlicher.

Die hohen Geschwindigkeiten, das Überholen oder kaum Möglichkeiten anzuhalten: Was Menschen an Autobahnen abschreckt, ist unterschiedlich. Doch wer stattdessen Umwege über Landstraßen fährt, lebt gefährlicher.

Ingolstadt - Wenn Miriam B. eine Autobahnfahrt bevorsteht, fängt ihr Herz wie wild zu klopfen an. „Ich kriege richtig Panik“, sagt die 45-jährige kaufmännische Angestellte. „Sobald ich auf die Autobahn fahre, bekomme ich einen Tunnelblick. Ich höre nichts mehr, kann nichts mehr aufnehmen und bin nur noch mit mir beschäftigt.“ Deshalb nimmt sie lieber Umwege in Kauf. Auf Landstraßen zu fahren, macht ihr nichts aus.

Die Angst vor Autobahnfahrten ist weit verbreitet, sagt Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe beim ADAC. Sie ist eine spezielle Form der Fahrangst (Amaxophobie), von der es viele verschiedene Spielarten gibt. „Manche Leute haben Angst vor Autobahnen. Andere fürchten sich vor Brücken oder Tunneln“, sagt Chiellino. „All das ist relativ häufig. Zahlen gibt es aber nicht.“

Die Betroffenen reagieren mit Stresssymptomen wie Herzrasen, kaltem Schweiß und beschleunigter Atmung auf Situationen, die sie als bedrohlich empfinden. „Das wiederum steigert ihre Angst weiter, so dass am Ende oft ein Vermeidungsverhalten steht“, sagt Psychologe Chiellino. Viele Betroffene fahren dann, wie Miriam B., Umwege. Das kostet Zeit und Kraft - und ist zudem gefährlicher. Denn Autobahnen gelten als sicherer als Landstraßen.

Auf der Autobahn besteht ein Zwang zum Fahren

Was genau die Menschen an Autobahnen abschreckt, ist unterschiedlich. „Das Verkehrsumfeld auf Autobahnen unterscheidet sich stark von dem anderer Straßen“, sagt der Verkehrspsychologe Peter Kiegeland vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. „Auf Landstraßen und innerorts sind die Geschwindigkeiten deutlich niedriger. Außerdem kann man jederzeit anhalten und umdrehen. Auf der Autobahn besteht dagegen ein Zwang zum Fahren.“ Wer eine Ausfahrt verpasst, muss bis zur nächsten weiterfahren. Hinzu kommen enorme Geschwindigkeitsunterschiede: „Wer eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern hat, muss öfters Lastwagen überholen. Er wird aber auch mit anderen Verkehrsteilnehmern konfrontiert, die mit Tempo 200 durchrauschen“, sagt Kiegeland.

Auch das Einfädeln bereitet vielen Fahrern Probleme: Sie geraten in Stress, weil sie innerhalb von Sekunden entscheiden müssen, wann sie sich einordnen. Miriam B. empfindet das allerdings nicht als schwierig. Sie hat ausschließlich Probleme mit hohen Geschwindigkeiten: „Alles ab Tempo 100 macht mir Angst. Ich mag auch nicht Beifahrerin sein, wenn jemand sehr schnell fährt.“

Rational kann man Autobahn-Phobien nicht erklären. „Die Autobahn ist die sicherste Straßenart, die wir haben“, sagt Chiellino. „Landstraßen sind die schlechtere Wahl.“ Etwa 60 Prozent der tödlichen Unfälle ereignen sich nämlich auf Landstraßen, auf Autobahnen sind es dagegen nur um die zehn Prozent.

In Kursen gegen Fahrangst sind mehr Frauen als Männer

Doch solche Argumente helfen den Betroffenen nicht. Für sie sind die Gefühle entscheidend. Das bestätigt auch die Psychologin und Fahrlehrerin Alexandra Bärike: „Die Angst vor Autobahnen ist etwas sehr Subjektives.“

Bärike ist darauf spezialisiert, Menschen mit Fahrangst zu helfen. Sie entwickelt für ihre Kunden persönlich zugeschnittene Programme zur Überwindung ihrer Ängste. Im Kern geht es aber immer um eine „systematische Desensibilisierung“: Die Betroffenen lernen nach und nach, angstauslösende Situationen zu bewältigen.

Je nach Ausprägung kann das bedeuten, dass Bärike mit ihren Kunden zunächst eine mehrspurige Bundesstraße befährt, bevor sie sich an ein kurzes Autobahnstück wagt. „Bei mir melden sich immer mehr Leute mit Fahrängsten“, erzählt sie. „Ich führe das darauf zurück, dass die Verkehrsdichte zunimmt, der Stresslevel insgesamt steigt und der Fahrstil auf Autobahnen immer aggressiver wird.“

Etwa 70 Prozent ihrer Kunden sind Frauen. Ob Fahrängste aber etwas eher Weibliches sind, ist dadurch nicht bewiesen: Möglicherweise, so vermuten Psychologen, gehen Frauen nur offener mit solchen Problemen um. Bärike ist aufgefallen, dass sich kaum Fähranfänger bei ihr melden. „Die meisten meiner Kunden sind zwischen 40 und 55 Jahre alt“, sagt die Kölner Psychologin. „Oft ist es so, dass Frauen es erst mit der Angst zu tun bekommen, wenn sie hinten im Auto ein kleines Kind sitzen haben.“

Eine gefährliche Situation auf der Autobahn kann der Auslöser sein

Bei Männern hat sie die Erfahrung gemacht, dass Ängste entstehen, wenn sie sich beruflich überfordert fühlen. „Dann ist man weniger stabil und reagiert empfindlicher, wenn einer auf der Autobahn hinter einem mit Lichthupe drängelt“, sagt Bärike.

Manche Menschen wissen genau, woher ihre Angst kommt: Sie haben auf der Autobahn eine gefährliche Situation erlebt, die sie nicht mehr loslässt. Bei anderen ist die Furcht plötzlich da.

So auch bei Miriam B.: Sie erlitt eines Tages eine Panikattacke in einem Einkaufszentrum, ohne zu wissen warum. Danach konnte sie nicht mehr Autofahren. Nach einer Weile ging es ihr besser – geblieben ist ihr aber die panische Angst vor dem Schnellfahren.

Wenn Ängste so stark sind wie bei ihr, sollte man sich psychologische Hilfe holen, sagt Kiegeland. „Wenn man ausgeprägte Symptome hat, hört die Selbsttherapie auf. Sonst kann das verkehrsgefährdend sein.“ Anders ist es, wenn jemand nur ein „unangenehmes Gefühl“ hat, wenn eine Autobahnfahrt bevorsteht. „Dann kann es reichen, wenn man zwei Stunden unter fachkundiger Anleitung fährt“, sagt der Verkehrspsychologe. Die Rolle des Fahrlehrers kann dabei auch ein einfühlsamer Freund oder Verwandter übernehmen. Hauptsache, er hat viel Fahrpraxis und strahlt Ruhe aus.