Schlafplatz am Karlsplatz: Obdachlose sind im Visier von Farbattacken. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Zahl der polizeilich bekannten Anschläge auf Wohnungslose steigt auf acht. Die Polizei warnt potenzielle Opfer mit Flugblättern in zehn Sprachen.

Erneut sind schlafende Obdachlose in Stuttgart das Ziel von Farbattacken geworden. Die neu gebildete Ermittlungsgruppe der Polizei ermittelt inzwischen in acht Fällen. Zuletzt hat ein 57-Jähriger am Mittwoch Anzeige erstattet, der bereits in der Nacht zum Dienstag im Bereich Daimler- und Wildbader Straße in Bad Cannstatt mit Farbe überschüttet wurde. Drei weitere Opfer sind unbekannt. Die Beamten entdeckten am Charlottenplatz 17 und in der Tübinger Straße 36 in der Innenstadt sowie an der Haltestelle Riethmüllerhaus an der Löwentorstraße in Bad Cannstatt größere Farbreste – die Handschrift des Täters.

Die Polizei verbreitet Flugblätter

Nun sollen potenzielle Opfer mit Flugblättern vor den Farbanschlägen gewarnt werden. Die Polizei hat ein Flugblatt erstellt, in dem auch „Tipps für Ihre Sicherheit“ gegeben werden – und das in zehn Sprachen. Auf Deutsch, Englisch, Italienisch, Russisch, Bulgarisch, Serbisch, Rumänisch, Polnisch, Ungarisch und Türkisch weisen die Beamten auf Notruf 110 hin: „Wir sind für Sie da und helfen Ihnen.“ Bei Angriffen sollen Betroffene andere um Hilfe bitten und möglichst in Unterkünften, wie der Zentralen Notübernachtung in der Hauptstätter Straße, die Nacht verbringen.

Für den Schutz der Wohnungslosen sei aber auch ein anderes Signal wichtig: „Diese Gesellschaft darf nicht tolerieren, dass hier die Würde von Menschen verletzt wird“, sagt Birgit Auer, Bereichsleiterin der Stadtmission der Evangelischen Gesellschaft (Eva). Für sie sind die Aktionen schlichtweg Körperverletzung. Offenbar bedarf es weiterer niederschwelliger Angebote, da manche Opfer „aus Scham“ keine Anzeige erstatteten. „Wir stehen für Gespräche zur Verfügung“, so Birgit Auer.

Stuttgart als Brennpunkt für Wohnungslosigkeit

Vielleicht ist es Zufall, dass sich die Farbattacken ausgerechnet um den Tag der Wohnungslosen am 11. September herum abspielen. Dass Stuttgart zum Brennpunkt wird, ist statistisch weniger zufällig: Stuttgart hat die zweithöchste Quote an wohnungslosen Menschen bundesweit – mit 848 pro 100 000 Einwohner. Hamburg belegt mit einer Quote von 1021 den Spitzenplatz. Laut Statistischem Bundesamt folgen Frankfurt, Berlin, Köln und München. Zum Vergleich: Der Bundesdurchschnitt liegt bei 213.

Die Sprecherin der Fraktion von Linken, SÖS, Piraten und Tierschutzpartei im Gemeinderat, Laura Halding-Hoppenheit, setzt sich seit Jahren für Obdachlose an der Paulinenbrücke ein und hofft auf die Solidarität der Stadtgesellschaft: „Wir bitten die Bevölkerung, die Augen offen zu halten“, sagt sie, „die Angriffe müssen sofort aufhören“.