Im Prozess um versuchten Totschlag erklärt das 20-jährige Opfer im Zeugenstand, von Rivalitäten zwischen VfB- und Kickers-Fans nichts gewusst zu haben. An den Folgen des Angriffs im September 2020 leidet er noch immer.
Am dritten Tag im Prozess um eine Stichattacke vor zweieinhalb Jahren am S-Bahnhof in Weinstadt-Endersbach hat das 20-jährige Opfer seine Sicht der Tat geschildert. Der junge Mann erklärte am Landgericht Stuttgart, er habe an jenem Abend Mitte September 2020 mit einigen Freunden am Remsufer in Endersbach gefeiert. Sein Cousin und er seien früher als alle anderen zum Bahnhof gegangen, weil er am nächsten Tag habe arbeiten müssen. Kurz bevor sie am Bahnhof angekommen seien, habe sein Cousin einen Anruf bekommen. Worum es gegangen sei, habe er nicht gehört.
An einem Bahnsteig sei der Angeklagte auf sie zugekommen und habe gefragt, ob sie gerade telefoniert hätten. Sein Cousin habe leicht hitzig geantwortet, „was er für ein Problem“ habe und dann mit dem Angeklagten gerangelt. Da nicht mehr viel Zeit bis zur Abfahrt der Bahn gewesen sei, habe er den Angeklagten weggeschubst und seinen Cousin mit sich gezogen.
„Mir wurde heiß in der Brust“
Auf einmal habe er einen Schlag von unten gegen die Brust gespürt, schilderte der 20-Jährige. „Erst hat es gar nicht weh getan, aber nach zwei Schritten war mir mulmig, mein Bein fühlte sich komisch an und mir wurde heiß in der Brust“, führte er weiter aus. Er habe darauf zu einem Passanten „mir geht’s nicht gut“ gesagt, dieser habe einen Blutfleck gesehen und seinen Pullover hoch geschoben. „Dann ging es mir richtig schlecht“, sagte der 20-Jährige. Er wurde dann von zwei jungen Frauen versorgt, bis ein Krankenwagen eintraf.
Den Angeklagten habe er zuvor noch nie gesehen, er gehe davon aus, dass er ihn mit einem anderen Kumpel vom VfB-Fanclub Schwabensturm verwechselt habe, mit dem der Angeklagte kurz zuvor telefoniert hatte. Er wisse, dass es um Rivalitäten zwischen VfB- und Kickers-Fans und überklebte Aufkleber gehe. „Mich hat das alles aber nicht interessiert“, sagte das 20-jährige Schwabensturm-Mitglied.
An den Folgen des Stichs leide er noch immer. Er habe bei bestimmten Armbewegungen unverändert Schmerzen und spüre die Narbe, wenn er schwere Sachen trage. Psychische Probleme seien eineinhalb Jahre später aufgetreten, er sei bis jetzt in psychiatrischer Behandlung.
Eine Entschuldigung, die der Verteidiger des Angeklagten für diesen verlas, wollte er „auf sich einwirken lassen“. Er räumte ein, dass er einen Täter-Opfer-Ausgleich abgelehnt habe. „Ich wäre wahrscheinlich besser klar gekommen, wenn er ohne Vermittlung von Dritten privat auf mich zugekommen wäre und sich persönlich entschuldigt hätte“, erklärte er. Die Staatsanwaltschaft wirft in diesem Prozess einem 22-Jährigen aus Weinstadt versuchten Totschlag vor. Nach ihrer Ansicht hat er im September 2020 am Bahnhof Weinstadt-Endersbach dem 20-jährigen Opfer nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einer Metallfeile in die Brust gestochen. Das Opfer erlitt dabei eine zwei Zentimeter breite und zwei Zentimeter tiefe Wunde in der Brust.
Verhandlungstage bis Ende Mai
Der Fall war ursprünglich als gefährliche Körperverletzung am Amtsgericht Waiblingen angeklagt gewesen. Der Amtsrichter war aber zu der vorläufigen rechtlichen Einschätzung gelangt, dass auch der Tatbestand des versuchten Totschlags erfüllt sein könnte. Da für solche Delikte die Landgerichte zuständig sind, hatte er den Fall ans Landgericht nach Stuttgart verwiesen. Dieses hat die vorläufige rechtliche Würdigung übernommen und den Prozess als versuchten Totschlag eröffnet.
Die 3. Große Jugendkammer hat für den Prozess weitere sechs Verhandlungstage bis Ende Mai angesetzt.