Der Gehweg als Wohnzimmer: In Stuttgart ist die Quote der Wohnungs- und Obdachlosen besonders hoch. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die Ermittlungsgruppe der Polizei hat inzwischen zehn Angriffe auf Obdachlose in Stuttgart registriert. Bei der Hälfte der Fälle sind die Betroffenen unbekannt.

Sind die bisher bekannten Farbattacken auf Obdachlose nur die Spitze eines Eisbergs? Die Zahl der polizeilich registrierten Fälle seit Anfang September ist inzwischen auf zehn gestiegen. Und die Hälfte der Fälle hat die Polizei selbst ausfindig gemacht, ohne dass Opfer Anzeige erstattet hätten. „Dabei geht es hier um das Delikt einer Körperverletzung“, sagt Polizeisprecher Sven Burkhardt.

Der oder die Täter haben allerdings nicht erneut zugeschlagen. Bei den neuen Fällen handelt es sich um bereits länger zurückliegende Vorkommnisse, die erst jetzt bekannt geworden sind. So war eine Polizeistreife am Donnerstagnachmittag am Bahnhof Obertürkheim unterwegs, wo sich erfahrungsgemäß Gruppen von Wohnungslosen aufhalten. „Dort haben die Beamten verspritzte Farbe an einem Gebüsch entdeckt“, sagt Burkhardt. Offenbar hatte es dort einen Farbangriff auf die Schlafstätte eines Obdachlosen gegeben.

...und dann meldet sich noch ein Opfer

Während die Polizisten in Obertürkheim noch an Ort und Stelle waren, meldete sich eine 65-jährige Frau bei ihnen. Auch sie sei vor einigen Tagen das Opfer eines solchen Farbangriffs geworden, teilte sie mit. „Das dürfte sich Anfang September abgespielt haben“, sagt Polizeisprecher Burkhardt. Damals habe die Betroffene keine Anzeige erstattet. Die Gründe dafür seien unklar.

Für Birgit Auer von der Stadtmission der Evangelischen Gesellschaft ist die Zurückhaltung keine Überraschung. Der Angriff sei für die Opfer „entwürdigend und schambehaftet“, sagt sie. Es bedürfe vieler Gespräche und eines großen Vertrauens, „dass sich dann jemand auch traut, seine Not zu benennen“. Helfer halten es nicht für ausgeschlossen, dass Betroffene eine verschmutzte Jacke oder den Schlafsack lieber als gestohlen melden, um sie ersetzt zu bekommen. Alles andere wäre nur peinlich.

Polizei mit Infostand zu Zivilcourage am Montag

Die Polizei hat eine Ermittlungsgruppe eingesetzt – und belässt es nicht dabei. Präventionsbeamte starten am Montag, 19. September, eine Aktion am Schlossplatz auf Höhe der Planie: Zum bundesweiten Tag der Zivilcourage sind die Polizisten mit einem Informationsstand vertreten – mit Tipps, wie man als Bürgerin und Bürger anderen Menschen, etwa als Zeuge eines Delikts, helfen kann. Zwischen 11 und 15 Uhr können aber auch andere Informationen zur Vorbeugung von Straftaten eingeholt werden.