Die Corona-Zahlen dürften sich nur noch alle zehn Tage verdoppeln, hat Angela Merkel vergangenen Samstag gesagt. Seither blickt halb Deutschland auf diesen Wert. Jetzt erklärt ein Regierungssprecher: das war nicht wörtlich gemeint.
Stuttgart - Diese Woche drehte sich die Diskussion in Deutschland darum, wann die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus gelockert werden können – und ob man überhaupt schon darüber diskutieren darf. Ein gewichtiges Argument in dieser Debatte war die nachlassende Geschwindigkeit, mit der sich das Virus zuletzt in Deutschland ausgebreitet hat. Seit die Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen Wert vergangene Woche in ihrem Podcast benutzt hat, ist die Verdopplungsgeschwindigkeit hierzulande das Maß aller Dinge. Sie müsse „in Richtung von zehn Tagen gehen, damit unser Gesundheitssystem nicht überfordert wird“, hat Merkel gesagt. Der Kanzleramtschef Helge Braun hatte in einem „Tagesspiegel“-Interview „zehn, zwölf oder mehr Tage“ als Zielmarke angegeben. Diese Aussagen wurde von vielen so interpretiert, dass ab einer Verdopplung von zehn Tagen auch über Lockerungen etwa der Kontaktsperre gesprochen werden könnte.
Die Berichte und Diskussionen diese Woche, ob die Zielmarke in greifbarer Nähe ist oder nicht, sind mit einer Antwort des Bundespresseamts auf eine Anfrage unserer Redaktion obsolet. Zum Verdopplungszeitraum kursierten „verschiedene Zahlen, bei denen es sich jeweils nicht um feststehende Größen handelt“, schrieb ein Pressesprecher per Mail. Auf welche Größe sich Angela Merkel bei ihrer Aussage vom Samstag gestützt hat, beantwortete das Presseamt auch auf Nachfrage nicht. Stattdessen heißt es, die Kanzlerin habe „zum Ausdruck gebracht, dass es jetzt darauf ankommt, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und einzudämmen“.
Welche Verdopplungsgeschwindigkeit?
Tatsächlich gibt es nicht die eine Verdopplungsgeschwindigkeit. Das Maß ist abhängig davon, wie viele Tage man zurückblickt, um die Zunahme zu berechnen. Die Journalisten beim NDR betrachten die Fallzahlen der letzten vier Tage. Bei der „Süddeutschen Zeitung“, deren Zahlen diese Woche vielfach von anderen Medien zitiert wurden, werden die letzten fünf Tage herangezogen. Der „Spiegel“ nutzt ebenfalls diesen Zeitraum.
Das kann man alles machen – aber damit nicht über eine baldige Lockerung der Maßnahmen gegen das Coronavirus diskutieren. Die Bundesregierung jedenfalls betrachte neben dem Anstieg der Neuinfektionen „den Krankheitsverlauf und insbesondere die durchschnittliche Dauer der Krankenhausbehandlung bei Covid-19-Patienten“, wie aus der Antwort des Bundespresseamts hervorgeht. Entscheidend sei, wie viele Patienten intensivmedizinisch behandelt werden müssen und ob dafür genügend Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Das Robert-Koch-Institut (RKI), das täglich die Corona-Fallzahlen aus Deutschland zusammenträgt, ist in Bezug auf die Verdopplungszeit ebenfalls zurückhaltend. Sie sei „nur ein grober Anhaltspunkt zur Einschätzung der Ausbreitungsdynamik“, heißt es auf Anfrage. Das RKI habe jedenfalls keine eigenen Zahlen zur Verdopplungsgeschwindigkeit.