Der Karmann-Ghia: Ist er nicht schön? Aber auch längst Geschichte. Foto: Karmann

Angela Merkel sagt, dass nur ein Kutschenhersteller die Einführung des Automobils überstanden hat. Aber das stimmt nicht ganz, meint Lokalchef Holger Gayer. In Stuttgart gibt es mindestens einen zweiten.

Stuttgart - Die Frage nach der richtigen Perspektive ist eine fiese Angelegenheit. Beim Autofahren empfiehlt sich zum Beispiel der Blick nach vorn – zumindest wenn man im Geradeauslauf unfallfrei von A nach B will. Beim Parken am Straßenrand ist dagegen die Wahl des Rückwärtsgangs angeraten, und auch der Fahrer sollte sich bei diesem Manöver umdrehen, weil selbst die feinste Rundum-pieps-mit-Kameraanlage das echte Auge nicht ersetzen kann.

In der Politik verhält sich die Sache umgekehrt. Wer unkontrolliert nach vorne schaut, erleidet leicht einen Totalschaden. Sogar Monarchen sind davor nicht gefeit. Hat nicht Kaiser Wilhelm II. einst voller Weitsicht proklamiert, dass er an die Zukunft des Pferdes glaube und das Automobil eine vorübergehende Erscheinung sei?

Die Kanzlerin blickt zurück in die Zukunft

Angela Merkel ist da klüger. Die Kanzlerin weist mit einem Rückblick in eine mögliche Zukunft. Nach der Erfindung des Automobils sei nur ein einziger Kutschenhersteller übrig geblieben, sagte sie am Dienstagabend bei StZ im Gesprächin der Stuttgarter Liederhalle – und traf mitten ins Herz all der Ingenieure und Facharbeiter, die sich fragen, was ihre Chefs mit ihnen angestellt haben.

Gemeint hat Merkel übrigens den Osnabrücker Unternehmer Wilhelm Karmann. Der hatte 1901 seinen Kutschenbaubetrieb gegründet, aber schon ein Jahr später die erste Autokarosserie an die Bielefelder Dürrkopp-Werke geliefert. 1949 baute seine Firma das erste Käfer-Cabrio, sechs Jahre später kam der Karmann-Ghia auf den Markt – eines der schönsten Coupés, das je in Deutschland in Serie ging. In den 70er und 80er Jahren produzierte Karmann für VW den Scirocco, in den Neunzigern folgte der CLK für Mercedes, in den 2000ern das Audi-A4-Cabrio – und 2009 die Insolvenz. Die Begründung: zu wenig Aufträge.

Tesla fährt auf Rekordkurs

Derlei Unbill muss für Tesla-Mitarbeiter wie eine Nachricht aus einer anderen Welt klingen. Keck haben sich die Kalifornier mitten im schicken Dorotheen-Quartier eingemietet, um von der Herzkammer der deutschen Automobilhauptstadt aus Furore zu machen. Tesla will 2017 den Absatz seiner Elektrofahrzeuge in Deutschland verdoppeln, weltweit sollen im Jahr 2020 eine Million Autos verkauft werden. Für den neuen Mittelklassewagen Model 3 liegen nach offiziellen Angaben 450 000 Bestellungen vor, im Tesla-Shop ist sogar von 600 000 die Rede. Dort heißt es auch, die Lieferzeit betrage 15 bis 18 Monate, „da wir noch unsere Produktionskapazitäten ausweiten, um die große Anzahl der Vorbestellungen zu bewältigen“.

Und doch muss festgehalten werden, dass Angela Merkel mit ihrer Einschätzung der Zukunftsfähigkeit von Kutschenherstellern falsch gelegen hat. Bekanntlich bestellte Gottlieb Daimler im März 1886 bei der Wagenbaufabrik Wilhelm Wimpff & Sohn im Bohnenviertel eine Kutsche. Daraus entstand das weltweit erste Automobil mit vier Rädern und einem Benzinmotor.

Doch auch Wimpff hat sich weiterentwickelt. Das Unternehmen sitzt mittlerweile in Weilimdorf, verarbeitet Stahl zu geschmiedeten Hightechprodukten und nennt sich selbst Hammerwerk.

Nur Autos hat Wimpff nicht im Angebot.