Anette Störrle hat in den vergangenen Jahren vor Ideen nur so gestrotzt. Foto: Claudia Barner

Ab November fehlt etwas in der Stadtbücherei Waldenbuch: Anette Störrle ist dann nicht mehr da. Zum Abschied lässt sie die Jahre noch einmal Revue passieren – dazu gehört auch die Begegnung mit einem buddhistischen Mönch in der Bücherei.

Waldenbuch - Die Farbe Rot ist ihr Markenzeichen. Das Brillengestell, die Uhr, die Ohrringe, der Gürtel und die Kette – stets setzt Anette Störrle Akzente in der markanten Signalfarbe. „Das war schon als Kind so. Ich weiß nicht, woher das kommt“, sagt die Waldenbucher Bibliothekarin. Auch wenn sie für ihre Neigung zu den leuchtenden Farbtupfern keine Erklärung hat – die Farbe passt zu ihr. Rot strahlt Energie und Wärme aus. Der Farbton steht für Aktivität und Leidenschaft. Mit diesen Eigenschaften hat Anette Störrle die Waldenbucher Stadtbücherei gemeinsam mit Susanne Dosch zu einem Treffpunkt mit kulturellem Anspruch und hochwertigem Bildungsangebot entwickelt. Jetzt zieht sie die rote Karte und stellt sich selbst vom Platz. Sie geht in Rente.

Bücherei ist zum zweiten Zuhause geworden

Ein Griff ins Regal, und das richtige Buch lag parat. Ein paar Klicks auf dem E-Reader, und die betagte Leserin verstand, wie die neue Technik funktioniert. Bücher kaufen, einbinden, einsortieren, die neue Leihbar bestücken oder neue Lesergruppen erschließen – Anette Störrle war in der Waldenbuch Stadtbücherei die Frau für alle Fälle. „In einer kleinen Einrichtung wie der unseren musst und kannst du alles tun. Ich finde das klasse“, schwärmt sie. Die verschachtelten Räume an der Forststraße mit den großen Fensterscheiben sind ihr über die Jahre hinweg zur zweiten Heimat geworden. Ihr Spruch „Ich gehe jetzt in meine Bücherei“ ist in der Familie längst zum geflügelten Wort geworden.

Überhaupt die Familie: Der Name Störrle hat in Waldenbuch einen nachhaltigen Klang. Ihr Schwager Horst Störrle war 32 Jahre lang Bürgermeister in der Schönbuchstadt. Als 1990 die Stelle der Bücherei-Leiterin ausgeschrieben war, machte Anette Störrle zunächst einen Rückzieher. „Ich wollte nicht, dass die Leute sagen, ich hätte den Zuschlag wegen der guten Kontakte zum Bruder meines Mannes bekommen“, erzählt sie. Als acht Jahre später eine Mitarbeiterin gesucht wurde, reichte sie ihre Bewerbung ein. „Es war absehbar, dass mein Schwager in Rente gehen würde und es keine Überschneidungen mehr gibt“, erinnert sie sich.

Natalia Wörner chauffiert

Seitdem ziehen sich die Freude an der Begegnung mit Menschen und ihr Faible für die Organisation von Veranstaltungen wie ein roter Faden durch die berufliche Vita von Anette Störrle. Nach und nach schlüpfte sie in die Rolle der Außenministerin und Event-Chefin der Stadtbücherei. Dabei kam ihr die ehrenamtliche Arbeit im Waldenbucher Kulturwerk zugute. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Günther war sie dort an der Gründung von Angeboten wie dem „Kino vor Ort“ oder der Reihe Kamingespräche beteiligt. „Wir hatten immer das Ziel, dass die Waldenbucher nicht nach Stuttgart fahren müssen, um anspruchsvolle Kulturveranstaltungen zu besuchen“, sagt Anette Störrle, die derzeit als Sprecherin das Kulturwerk nach außen vertritt.

Kleinkunst und Kabarett im Ehrenamt, Literatursommer, Autorenlesungen oder Sonderevents wie „Waldenbuch liest ein Buch“ in der Bücherei – ihr Engagement in beiden Bereichen hat Anette Störrle viele interessante Erlebnisse beschert. Sie hat renommierte Autoren wie Thommie Bayer, Hanns-Josef Ortheil, Peter Prange oder Jörg Maurer kennengelernt und gemeinsam mit ihrem Ehemann Günther die Schauspielerin Natalia Wörner zum Hotel chauffiert. Dabei hat sie festgestellt: „Das sind natürlich spannende Begegnungen, aber die gibt es auch hier vor Ort.“

Ein buddhistischer Mönch war sehr erstaunt

Da sind die Kinder, die mit großen Augen die Welt der Bücher entdecken. Da sind die Stammleser, die mit ihr über die aktuellen Neuerscheinungen diskutieren. Da sind die stillen Momente, in denen die Frau hinterm Tresen zum Kummerkasten und Seelentröster wird. Oder die lustigen Episoden, wie zum Beispiel jene vom buddhistischen Mönch, der im orangenen Gewand eines Abends in der Bücherei stand und sich über das Wesen der städtischen Buchausleihe informieren wollte. Er hinterließ Anette Störrle seine E-Mail-Adresse und die Erkenntnis: „Besonders beeindruckt hat ihn, dass es hier ein öffentliches WC gibt.“

Ihren letzten Arbeitstag am 31. Oktober hat Anette Störrle im Kalender rot angestrichen. Langatmige Abschiedsreden und großes Brimborium aber sind für sie ein rotes Tuch. „Ich gehe ganz normal zur Arbeit und freue mich über jeden, der vorbeikommt, um Tschüss zu sagen“, betont sie. Die 63-Jährige freut sich darauf, dass jetzt etwas Neues beginnt; „Ich bin in einer Situation, in der ich ein neues Buch aufschlage und hoffe, dass es spannend ist. Ich plane keinen Golfkurs und keine Weltreise, sondern lasse die Dinge einfach auf mich zukommen.“