Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk wird Deutschland aller Voraussicht nach verlassen. Vielen Deutschen ist er in der Vergangenheit auf die Nerven gegangen. Doch das dürfte nicht der Grund für seinen Abgang sein – im Gegenteil.
Es ist ja nun nicht so, dass Amy Gutmann, Ron Prosor oder Sergej Jurjewitsch Netschajew unwichtig wären. Ganz sicher nicht. Die Botschafterin der USA in Deutschland und ihre beiden Kollegen aus Israel und Russland sind Spitzenvertreter ihres Fachs. Einer wirklich breiten Öffentlichkeit sind diese Namen aber nicht geläufig. Der von Andrij Melnyk schon. Der ukrainische Botschafter in Deutschland ist regelmäßiger Gast in den Talkshows der Republik, regelmäßig gefragter Interviewpartner im Blätterwald des Landes – und mit seinen Äußerungen eher ein Vertreter der verbalen Artillerie denn der diplomatisch verklausulierten Rede. Nun, nach mehr als sieben Jahren im Dienst, soll er gehen.
Nur im Hintergrund zu wirken, ist Melnyks Sache nicht
Wer sich für Politik interessiert, für das Kriegsgeschehen und das deutsch-ukrainische Verhältnis, den lässt Andrij Melnyk nicht kalt. Praktisch jeder hat eine Meinung zu dem 46-Jährigen, der stets mit akkurat gelegtem Haar, getrimmtem Bart und perfekt sitzenden Anzügen für die Interessen seiner Heimat kämpft. Und viele, die den stets selbstbewusst auftretenden Diplomaten reden hören, wünschen sich ein bisschen mehr Zurückhaltung oder gar Demut. Nur leise im Hintergrund zu wirken – für Melnyk ist das eine „alte, konservative Sichtweise auf die Diplomatie“. Nicht aufzufallen, das sei „ein Luxus, den man sich nicht leisten kann“.
Melnyk ist deutlich, Melnyk eckt an. Bei denen, die die Zurückhaltung des deutschen Kanzlers in Sachen Waffenlieferung eher begrüßt haben, hat es zu nachhaltiger Verstimmung geführt, dass Olaf Scholz als „beleidigte Leberwurst“ betitelt wurde. Dass sich der Botschafter inzwischen dafür entschuldigt hat wird nicht immer zur Kenntnis genommen. Unvergessen bleibt auch, dass er dem Bundespräsidenten ein „Spinnennetz an Kontakten in Russland“ vorgeworfen hat. Bei vielen Deutschen hat die Kritik an Frank-Walter Steinmeier viele Sympathiepunkte gekostet.
Im Ministerium wartet ein guter Job
Dass Melnyk nun geht, das ist für all diese Zeitgenossen eine Genugtuung, zumal ja erst in der vergangenen Woche wieder so eine Melnyk-Äußerung für Schlagzeilen gesorgt hat. Da hatte der Botschafter sehr positiv über Stepan Bandera gesprochen, der von ihm als ukrainischer Freiheitskämpfer verehrt wird, von vielen anderen jedoch als Faschist und Verantwortlicher für Massenmorde gesehen wird. In Polen war die Erregung so gewaltig, dass sich das Außenministerium in Kiew vom Botschafter distanziert hat.
Allerdings: Die Abberufung von Melnyk, die vermutlich im Herbst erfolgen wird, scheint nun alles andere als eine Strafe zu sein. Noch ist vieles ein wenig nebulös, die Gerüchteküche brodelt, und auch wenn es keine offizielle Bestätigung gibt: Einiges spricht dafür, dass auf Melnyk ein guter Posten im Außenministerium wartet. Manche der sogenannten gut informierten Kreise sprechen davon, dass er sogar stellvertretender Minister werden könnte. „Präsident Selenskyi unterstützt diesen Plan“, sagt jemand, der es wissen muss. Das wäre eine klare Belohnung für Melnyk – und das läge daran, dass der Mann aus Lviv seine Sache gut gemacht hat in Deutschland. Verdammt gut. Melnyk ist schließlich nicht in Berlin, um dort beliebtester Ausländer zu werden – sondern um die Interessen seines Landes zu vertreten.
Die Wünsche des Präsidenten voll erfüllt
Im Augenblick braucht die Ukraine vor allem Waffen. Andrey Melnyk hat sie besorgt. Aus einem Deutschland, das sich jahrelang auf die Fahnen geschrieben hatte, nicht in Krisengebiete zu liefern. Wie es ukrainischen Botschaftern ergeht, denen es nicht gelingt, die Interessen ihres Präsidenten durchzusetzen, das haben unlängst Igor Dolgow und Oksana Wassiliewa am eigenen Leib erfahren. Die ukrainischen Botschafter in Georgien und Marokko wurden abberufen, weil diese beiden Länder nicht gerade zu den engen Unterstützern der Ukraine gehören. Der ukrainische Präsident Wolodymir Selensky wird dabei mit den Worten zitiert: „Bei allem Respekt, es gibt keine Waffen, keine Sanktionen, keine Beschränkungen für russische Unternehmen. Bitte suchen Sie sich einen anderen Job!“
Dass es schnell gehen kann mit einer neuen Verwendung, das ist Andrij Melnyk bekannt. Noch vor wenigen Tagen erklärte der Botschafter in einem Interview bei dem Online-Format „Jung und naiv“, dass er nicht wisse, wann seine Zeit in Deutschland zu Ende gehe. Er habe das Gefühl, dass seine Aufgabe hier „noch nicht erfüllt sei“, gleichwohl könne täglich ein Anruf kommen, der ihn wieder in die Heimat beordere. In der ukrainischen Diplomatie wäre das so üblich. Die siebeneinhalb Jahre, die Melnyk seine Position schon inne hat, sind hingegen eher ungewöhnlich lang. Für ihn sei der Umzug kein Problem, sagt Melnyk, für seine elf Jahre alte Tochter, die in Berlin die fünfte Klasse besucht, vermutlich schon eher.
Prägende Erlebnisse mit der Sowjetunion
Eigentlich wollte Andrij Melnyk Chemiker werden, so wie seine Eltern. Der Weg in die Diplomatie hat viel mit Zufällen zu tun – und mit dem Zerfall der Sowjetunion. Er sei „in Unfreiheit aufgewachsen“, hat Melnyk einmal gesagt, und gerade seine Familie wisse, wozu „Russen fähig sind um ihre Interessen durchzusetzen“. Der Bruder seines Vaters war über viele Jahre in einem sibirischen Gulag gefangen. Das prägt.
Amy Gutmann, Ron Prosor oder Sergej Jurjewitsch Netschajew, die Botschafterkollegen aus den USA, aus Israel und Russland, haben einen ordentlichen Stab an Mitarbeitern, der ihnen das Leben einfacher macht. Andrij Melnyk hat diesen Luxus nicht. Manch ein Interview hat er am Steuer seines Wagens gegeben, mit Freisprecheinrichtung, denn der Botschafter fährt häufig selbst zu seinem nächsten Termin. Oft mit leerem Magen, weil weder für das Mittag- noch das Abendessen Zeit geblieben ist.
Ohne Personenschutz durch Berlin
Dass er in den ersten Kriegstagen ohne Personenschutz durch Berlin spazierte, vorbei an der russischen Botschaft, die „bewacht wird wie eine Festung“, das ist etwas, was Andrij Melnyk mitnehmen wird in seinen Erinnerungen. Und das, was er dabei beobachtet hat. Die Solidarität der Deutschen mit seiner Ukraine werde er nie vergessen, hat Melnyk unserer Zeitung einmal gesagt. Die Solidarität der Menschen auf der Straße – die komme „von Herzen“.