Spielzeug wird „Kriegsgerät“: Andreas Ilgs „Wohnzimmerflak“ bei Wehr Foto: Ilg/Galerie Rainer Wehr

Art-Alarm heißt der jährliche Rundgang Stuttgarter Privatgalerien. An diesem Samstag und Sonntag ist es wieder so weit. Nicht versäumen sollte man dabei diese Ausstellung, meint „Stuttgarter Nachrichten“-Autor Nikolai B. Forstbauer:: Andreas Ilgs „Tarnen, Tricksen, Täuschen!“ in der Galerie Rainer Wehr.

Stuttgart - Wohl erstmals 1870 während des Deutsch-Französischen Krieges kommen spezielle Waffen gegen Luftfahrzeuge zum Einsatz: Während der Belagerung von Paris versuchen französische Truppen mit Ballons Nachrichten nach draußen zu bringen. Krupp modifiziert ein Geschütz so, dass es auf einem Pferdewagen montiert werden kann. Ein Name für die neue Waffe ist schnell gefunden: Ballonabwehrkanone, kurz Bak. Der Erfolg? Nur einer der Ballons wird auf den Boden gezwungen – am 12. November 1870.

Von der Ballonabwehr zur Flugabwehr

Den neuen technischen Realitäten am Himmel entsprechend, wird 1916 aus der Bak die Flak – die Flugabwehrkanone. Und als solche erlangt sie im Zweiten Weltkrieg gleich doppelt traurige Berühmtheit: Da ihre Geschosse Panzerungen durchschlagen können, wird die von Krupp und der schwedischen Gruppe Bofor entwickelte Flak 18 zur gefürchteten Angriffswaffe, zugleich wird das Geschütz von der Propaganda Hitler-Deutschlands auch noch als unüberwindbarer Schutzschirm gepriesen, als die Bomberflotten der Alliierten die deutschen Städte in Schutt und Asche legen.

Flak im Ausstellungsraum

Und nun? Steht eine Flak in einem Ausstellungsraum. Bunt ist sie, und man unterstellt nur zu gern, dass sie nicht funktionstauglich ist. Wie auch – der Stuttgarter Objektkünstler Andreas Ilg hat sie „in dreijähriger Präzisionsarbeit aus vielen Tausenden kleiner bunter Plastikteile von zahllosen Kinderüberraschungseiern“ geschaffen.

Zu erleben ist der 1:1-Nachbau eines Flak-Vierling 38 in der Galerie Rainer Wehr in Stuttgart (Alexanderstraße 53). Bereits 2005 hatte Wehr den 1966 in Waiblingen geborenen Absolventen der Stuttgarter Akademie in einer Gruppenschau („Bilderwechsel“) gezeigt, jetzt hat Andreas Ilg die Galeriebühne für sich.

„Tarnen, Tricksen, Täuschen!“ ist die Schau überschrieben – und so bleibt die Verwandlung steter Begleiter der von der „Wohnzimmerflak“ angeführten Objekte und Zeichnungen.

Ein Ausrufezeichen zu viel

Was aber, wenn bei Ilg das spielerische Element, das oft das Böse, das Abgründige kenntlich macht, wegfällt? Die Serie „Deutsche Ärsche“ liefert mit Wegnahme eines Buchstabens auf den Covern von Marschmusik-Platten die Antwort – zu wenig. Oder umgekehrt: Als Fries um die „Wohnzimmerflak“ ist „Deutsche Ärsche“ ein Ausrufezeichen zu viel.

Die Balance hält Ilg „analog“

Wie man die Balance halten kann, zeigt Ilg ja – mit neuen Objekten, die gleich mehrere Bewegungsmöglichkeiten suggerieren. „Analog“ heißt die Reihe – und Ilg hat ja recht, dass er uns damit nebenbei, aber zielgenau darauf aufmerksam macht, dass uns bei aller digitaler 3-D-Formationsfreude das Bewusstsein für die buchstäblich greifbaren Variationsmöglichkeiten des guten alten Avantgarde-Duos Zylinder und Kugel verloren zu gehen droht.

Auf der Art Alarm-Strecke

An diesem Samstag und Sonntag liegt Andreas Ilgs „Tarnen, Tricksen, Täuschen!“ auf der Strecke, genauer auf dem Rundkurs durch 17 Stuttgarter Privatgalerien. Art-Alarm heißt der Galerienrundgang, den man auch an diesem Freitagabend bereits beginnen kann. Bei Dengler und Dengler (Rosenbergstraße 102) etwa wird um 19 Uhr die Schau mit Werken von Mandel Veiga eröffnet, bereits eine Stunde vorher beginnt in der Galerie Thomas Fuchs (Reinsburgstraße 68) der Eröffnungsabend „Nichts wie es scheint“ für die neuen Arbeiten des Malers Jochen Hein.

Mehr jüngere Besucher

Rainer Wehr hat als Galerist den Art- Alarm von Beginn an mitgeprägt. Was macht für ihn den Reiz der Initiative aus? „Erst einmal“, sagt Wehr, „freut es mich, dass wir in den vergangenen Monaten deutlich mehr jüngere Besucher hatten. Da verändert sich etwas in der Stuttgarter Kunstszene – und das ist gut.“ Und das Galerienwochenende? „Bringt tatsächlich Besucher in die Galerien, die den Art- Alarm als Einstieg nutzen, sorgt aber auch dafür, dass Interessierte, die man länger nicht gesehen hat, das breite Angebot zu einer neuerlichen Information nützen.“

Spielerische Präzision

Bei Andreas Ilg dürften diese wie jene ihre Freude haben – nicht zuletzt daran, wie spielerisch präzise Ilg sein früh auch in der Zeichnung belegtes Interesse an der plastischen Eigenwirkung von Haaren fortführt.