Was macht die Popularität von Andreas Gabalier aus? Foto: Lichtgut/Oliver Willikonsky

Am Volks-Rock’n-Roller Andreas Gabalier scheiden sich die Geister. Jetzt hat er in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena gespielt. Eine kritisch-polemische Würdigung des volkstümelnden Musikers und seines Auftritts.

Stuttgart - Die Frage, ob man als Stadtmensch und Medienschaffender ganz vorurteilsfrei zu einem Andreas-Gabalier-Konzert fahren kann, ist wohl mit Nein zu beantworten. Trotzdem soll das hier ein aufrichtiger Versuch sein, der Faszination, die am Samstag immerhin 50.000 Menschen zu dem selbst ernannten Volks-Rock’n’Roller in die Mercedes-Benz-Arena gelockt hatte, nachzuspüren. Vielleicht erwischen sie uns am Ende des knapp dreistündigen Konzerts ja doch, die Erhebungsgefühle ob alpiner Romantik.

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Zuvor gilt es aber einige Merkwürdigkeiten zu verdauen, wie man sie im Stuttgarter Stadtbild nicht alle Tage sieht. Bereits vor dem Konzert sind die Bahnen voll mit Trachtenträgern und -innen. Kennen wir vom Wasen. Aber wie wäre es mit einem Shirt mit Hirsch-Pailletten? Der ironiefrei getragenen Bauchtasche als Lieblings-Accessoire der Besucher? Der Dirndl-Queen-Handtasche in Lebkuchenherzform – der Stoffbeutel des Gabalier-Fans? Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.

Breitbeinig wie ein Gladiator

Wie ein Gladiator läuft Andreas Gabalier breitbeinig und triumphierend ins Stadion ein, begleitet von Musik, die martialischer nicht sein könnte. Wenn Tausende Deutsche klatschen, johlen und schunkeln, kann nur ein Österreicher im Stadion stehen, denkt sich der Betrachter, in historisierenden Sarkasmus verfallend. Im ausverkauften – wie Andreas Gabalier an diesem heißen Juniabend gefühlt zwei Dutzend Male verkündet – versammelten sich Jung und Alt, Land und Stadt, Freund und Feind, geeint in Karo, Lederhose und Polyesterdirndl.

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Wie oft er sich selbst lobt und die Medien verunglimpft, bleibt Gabaliers Geheimnis. Irgendwann war die Strichliste auf dem Block des Journalisten voll. Das Staunen aber dauerte bis zur letzten Sekunde dieses dreistündigen Theaters ohne ein Millisekunde Ironie an. Gabalier und auch seine Jünger haben Mut zur Verkleidung – und sind konsequent auch bei den Accessoires: Statt einer Mikrofonstange schwingt der Volkssänger einen knorrigen Holzstock-Wanderstab, das Klavier, an dem er später sitzen wird, kommt ohne Klavierlack daher, besteht aus uriger, unpolierter Natur.

Die Hände klatschend über dem Kopf

„Die Hände in die Luft – der Tanzboden ist eröffnet.“ Es ist einfaches Theater, das immer wieder seine Bodenständigkeit und gesunde Kraft herunterbeten muss, damit auch niemandem Zweifel kommen. Auch hier scheiterte die Strichliste mangels Motivation. Bei 15 war Schluss. Gabaliers Signature-Move: Die Hände klatschend über dem Kopf zusammenschlagen, wie beim Hampelmann, nur dass dabei die Füße an den nackten Muskelwaden wie in der Erde verwurzelt bleiben. „Für einen Steirerbuam würden sie in Stuttgart alles geben“, dichtet er sein eigenes Lied um.

Gabaliers Backen füllen sich beim Singen gespenstisch mit frischer Bergluft und Feinstaub aus Bad Cannstatt, und man hat die Befürchtung, dass bald etwas gehörig platzt, wenn eine der vielen Stage-Kameras den Lederhosen-Popo des Volks-Rock’n-Rollers filmt. Die Kamera fängt auch die Vorderseite ein und beim letzten „Heimat-Dahaom-christliches-Land“-Gestöhne will man sofort eine neue Versicherung abschließen, auf die Knie gehen und um Danielas Hand anhalten und die erste Anzahlung fürs Reihenhaus überweisen. Es ist heteronormativ. Es ist gewöhnlich, und so soll es auch bleiben – offensichtlich macht es Tausende glücklich.

Gabalier scheint an seinem Image zu nagen

Dann: „Dieses Lied wird gespielt in allen Diskotheken“, kündigt Gabalier den nächsten Gassenhauer an, „Halli, hallo, hallo, halli“. Wir gehen kurz die Stuttgarter Clubs durch – nein. Aber wahrscheinlich meint Gabalier mit Diskotheken auch etwas anderes.

„Darf ich bitten? Oder gema zerst tanzen?“ Seine Meinung zu Medien ist da schon etwas klarer. Dass Gabalier hart an seinem Image zu nagen hat, merkt man an seinen Medienschelten, die in ihrer ständigen Wiederholung ermüden. Er verpackt Kritik an seiner Gestalt wie ein FPÖ-Politiker anno 1999: Wir gegen die anderen. Die Schlacht, die er als Gewinner verlassen möchte, bestreitet der Steirerbua mit Pauschalverurteilungen und einem Publikum, das frenetisch jubelt.

Doch nur ein bodenständiger Bua?

Dann irgendwann folgende Songzeilen: „A Meinung ham, dahinter stehn, den Weg vom Anfang zu Ende gehen“, wenn es sein müsse, auch alleine irgendwo oben stehen. Welche Meinung und vor allem zu welchem Thema man haben sollte, unterschlägt der Steirer. Dass es um Umweltschutz oder Paragraph 219a geht, erscheint unwahrscheinlich, das hätte man ja einfach benennen können. Geht es um Unsagbares? Die Unterstellung eines Diskurses, in dem manche Meinungen, womöglich jenseits irgendeines Mainstreams, verboten sein sollen? In Interviews wehrt sich Gabalier bekanntlich dagegen, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Er nimmt aber auch nicht entschieden Stellung gegen rechte Umtriebe.

Wie das alles einordnen? Im Gespräch mit den Veranstaltern erfahren wir, dass eine Konzertbesucherin umkippte, die Szene Trubel verursachte und Andreas Gabalier das mitbekommen hatte. Anstatt weiter Pressegespräche zu führen, sei er direkt ins Sanitäts-Zelt gegangen, um sich nach dem Befinden des Fans zu erkundigen. Das ist ziemlich nett. Zumindest wünschen wir uns jetzt kurz, dass Gabalier vielleicht wirklich nicht mehr als ein bodenständiger Bauernbua ist, der in der in der Vergangenheit unbeholfen in das ein oder andere Fettnäpfchen trat.