Andrea Nahles lässt sich bei Siemens von einem Studenten eine Maschine zur Herstellung von Sonnenmilch erklären. Foto: dpa

Seit hundert Tagen ist Andrea Nahles Chefin der SPD. Die Trendwende hat sie noch nicht geschafft. In Bayern ackert sie jetzt an der Basis.

Bamberg - Einen Oscar bekommt der Besoffenen-Darsteller nicht. Aber darum geht es auch nicht bei der Ausbildung von Anwärtern der Bundespolizei im Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei in Bamberg. Vor gerade einmal vier Jahren, als die US-Army hier noch der Hausherr war, wurde in dem lang gestreckten, frisch geweißelten Gebäude noch gebowlt. Heute gibt es „Situationstraining“ mit nachgestellten polizeilichen Alltagssituationen für angehende Bundesbeamte. Alltäglich ist das an diesem Tag aber nicht, denn Andrea Nahles, Partei- und Bundestagsfraktionschefin der SPD ist gekommen, um sich den Ausbildungsbetrieb in der Praxis anzuschauen.

„Der Bund investiert massiv in die Bundespolizei. Weil das so wichtig ist, mache ich mir heute ein Bild“, erklärt sie zum Auftakt. Letzte Woche waren die SPD-Abgeordneten Eva Högl und Burkhard Lischka nebenan. „Aber ich bin heute hier“, sagt Nahles schon hinter dem Eingangstor zum Gelände in die Kameras und hat damit ihre erste Hauptbotschaft gesetzt: Sie ist nicht dort, wo die CSU, angeführt von Innenminister Horst Seehofer, demnächst eine Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in ein Ankerzentrum umwandeln will. Sie ist bei den Polizeianwärtern, um zu zeigen, dass man Politik für mehr Sicherheit in Deutschland auch anders durchdeklinieren kann, als die Union es gerade tut. Und gar nicht nebenbei will sie natürlich auch der bayerischen SPD im Vorwahlkampf helfen. „Ich bin für einen handlungsfähigen Staat. Dazu brauchen wir Sie“, sagt sie den Polizeischülern, die in Bamberg ausgebildet werden. 2200 sind es im Moment. 40 Millionen Euro sind in den Standort investiert worden, um die Ausbildungsoffensive für die Bundespolizei zu stemmen. Ob sie über die nächsten Jahre hinaus verlängert wird, wie die Ausbilder und ihre Schüler in Bamberg sich das wünschen? „Ich nehme das mit. Ich sehe da Möglichkeiten“, sagt Nahles.

Der Job ist seit ihrer Wahl nicht leichter geworden

Dass es die SPD war, die seit 2015 die Aufstockung der Bundespolizei um zunächst 7000 und jetzt nochmal 2500 Stellen durchgesetzt hat, hat Nahles gleich am Anfang klargestellt. Dass der SPD-Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz gerade das größte Entfristungsprogramm für Beamte seit Jahrzehnten finanziert, damit kann sie in Bamberg punkten. Viele Ausbilder berichten der SPD-Chefin, dass sie gerne Dauerstellen statt der bisher temporären Abordnung hier her hätten. Das ist immerhin ein Punktsieg für Nahles – und das in Bayern, wo die Sozialdemokraten traditionell schwach sind und bei der Landtagswahl im Oktober nach den aktuellen Umfragen als desaströser Vierter nach CSU, Grünen und AfD ins Ziel gehen könnten. In Hessen sieht es auch nicht gut aus.

Hundert Tage steht Andrea Nahles jetzt an der Spitze der SPD, und der Job ist seit ihrer Wahl – mit mageren 66 Prozent der Stimmen – nicht leichter geworden. Bei zwölf, dreizehn Prozent dümpelt die Partei in Bayern, bei 18 Prozent steht sie im Bund. Aufwärts geht der Trend bei den Sozialdemokraten nicht einmal nach der Schlammschlacht, die CDU und CSU sich gerade im Asylstreit geliefert haben. Zwar sind die Kanzlerin Angela Merkel und der Innenminister Horst Seehofer beschädigt, der Waffenstillstand zwischen den Schwesterparteien ist bestenfalls brüchig.

Schönreden und Zuversicht verbreiten

Aber die SPD profitiert davon nicht. Bisher nicht – das dürfte Nahles sich jeden Tag zum Mutmachen selbst zuflüstern. Aber das ist auch das Mantra, bei dem schon ihre Vorgänger Martin Schulz und Sigmar Gabriel Zuflucht suchen mussten, weil die Realität eben nichts Besseres hergegeben hat für die SPD.

Andrea Nahles kommt gerade aus dem Urlaub und strahlt mit einer Mischung aus Kampfgeist, Angriffslust und Selbstdisziplin. „Die CSU bekommt in den Umfragen gerade die Quittung für ihre schäbige Aufstellung in der Flüchtlingspolitik, und jetzt frisst Söder Kreide“, sagt sie.

„Wenn er jetzt auf der Schussfahrt wendet, dann ist das nicht glaubwürdig“, moniert Andrea Nahles. Für die SPD nimmt sie in Anspruch, eine realistische Flüchtlingspolitik ohne Ressentiments zu vertreten. „Wir sind stabil in den Umfragen, andere sind es weniger.“

Schönreden und Zuversicht verbreiten – auch für die erste SPD-Chefin in der Geschichte der Partei gehören diese Disziplinen zum wichtigsten Handwerkszeug. Sie habe ihre Tour durch Franken zwar so angelegt, dass sie drei SPD-Oberbürgermeister treffen könne, frotzelt Heinz Brenner, Leiter des Regionalbüros von Siemens wenig später beim Besuch des Innovationscampus in Erlangen. „Aber der Kaffee in der Staatskanzlei wird immer noch schwarz getrunken.“ Nahles lacht.

Dabei ist ihre Lage nicht zum Lachen. Sie weiß, dass die Nervosität in der SPD nur mühsam unter der Decke gehalten wird. Vielen Genossen erscheint es zu zahm, wie sie und Olaf Scholz in der ungeliebten Koalition mit der Union umgehen, Nahles persönliche Zustimmungswerte sind schlecht. In der Partei wird ihr zwar zugute gehalten, dass sie die Genossen einbindet, echte Kompromisse in Streitfragen aushandelt, anstatt sie von oben zu diktieren, sich an Absprachen hält und verlässlicher ist als ihre Vorgänger. Solange die Umfragen aber nicht besser werden, kann die Stimmung in der SPD jederzeit eskalieren.

Sie fährt auch aufs flache Land

Am Dienstag fährt sie weiter in die Oberpfalz. Sie will sich nicht nur auf die Städte konzentrieren, sondern fährt auch aufs flache Land. In Neumarkt, ihrer letzten Station, besucht sie den Lammsbräu, Marktführer unter den Biobrauereien in Deutschland. Mit der Geschäftsführerin Susanne Horn blickt sie in die Biersuppe im Braukessel. Es ist brüllend heiß. Drinnen wird der Biersud erhitzt, von draußen knallt die Sonne auf die Scheibe. Wenig später erklärt Horn, dass allmählich die Braugerste aus der heimischen Produktion knapp wird. „Wir trinken aber trotzdem weiter“, sagt Nahles. Zufrieden sei sie noch nicht mit der Bilanz ihrer ersten hundert Tage. „Die SPD hat sich gut berappelt. Wir haben mehr Geschlossenheit und Einigkeit erreicht, als zuvor“, sagt sie, und dass sie „nicht eine Sekunde“ geglaubt habe, die SPD könnte in der Opposition doch besser dran sein. Warum die Umfragen nicht nach oben gehen, wird sie gefragt. „Kommt noch“, sagt sie.