András Schiff Foto: Nadia F. Romanini

Der ungarische Pianist András Schiff hat im Stuttgarter Beethovensaal Mendelssohn, Brahms und Bach gespielt.

Stuttgart - Es gibt Augenblicke, da möchte man den Mann umarmen, der den Beethovensaal auf sehr eigene Weise abdunkeln ließ, um dort Stücke von Mendelssohn zu spielen, von Beethoven, Brahms und Bach – allesamt tonartlich verbunden. In diesen Augenblicken spielt András Schiff mit Farben, seine linke Hand tupft ein paar saftige, widerspenstige Basstöne auf die Tasten, und spielerisch lehrt einen der demnächst 64-Jährige, wie viel Spektakuläres in einem Augenblick, in einer Phrase, einem Takt stecken kann. So hat der Ungar zuletzt 2012 in Stuttgart Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ gespielt: nach innen gerichtet, dabei ungemein klar in der Artikulation wie in der Aufbereitung der musikalischen Struktur und ganz ohne Pedal.

Seit damals ist Energie verloren gegangen. Als András Schiff am Ende seines „Meisterpianisten“-Programms jetzt Bachs sechste Englische Suite spielt, spürt man, wo der Kern seines Interesses, wo seine Wurzeln sind. Bach ist auch der Schlüssel für alles, was zuvor erklang. Der in Dynamik wie im Ausdruck bewusst beschränkte Radius, der Verzicht auf Extreme, auf dramatisches Auftrumpfen: In Bachs Musik finden sie Heimat – auch wenn Schiff selbst hier immer wieder Töne verschleift, auch wenn er im Gegensatz zu früher nun das Pedal benutzt. Und auch wenn er kaum je ein Legato spielt und bei raschen Passagen manche Stimmen und Linien wie ein Zauberer einfach verschwinden lässt.

Schiff scheitert bei romantischer Musik

Bei Bach nimmt man das hin, weil daneben noch so viel übrig bleibt. Aber zuvor, bei Beethovens Fis-Dur-Sonate op. 78, in deren zweitem Satz es den Pianisten sogar einmal kurz aus der Bahn schmeißt, und vor allem bei Mendelssohns Fantasie op. 28, bei den Acht Klavierstücken op. 76 und den Fantasien op. 116 von Brahms, geht allzu viel verloren. Da wirkt Schiffs Zugriff wie die biedermeierliche Verkleinerung einer großen Welt auf Puppenstubenformat, und zumal Brahms’ Musik leidet darunter, dass ihr Interpret hier nicht atmet, dass er Tempi und Dynamik nicht feiner, kleingliedriger gestaltet. Eindimensionaler, reduzierter, ja langweiliger hat man diese Stücke lange nicht gehört. Das zugegebene Italienische Konzert von Bach macht den Eindruck nicht besser, es bräuchte Idee, Esprit, Artikulation – und viel mehr Genauigkeit, als ihr der Pianist zu geben willens oder imstande ist. Ein Trauerspiel.