Eigentlich ist das eingepackte Auto bloß ein Werbegag. Aber es ist auch Zeugnis für gute Geschäftsideen und für die Wandlungsfähigkeit des Mediums Wolle.
S-West - Die Moden kommen und gehen, die Zipfelmütze bleibt. Der Trend hat sich hartnäckig festgesetzt, und vermutlich werden wackere Hippster auch in diesem Sommer wieder ihre Wollmützen aufbehalten. Normalerweise welken solch modische Grillen nach zwei Jahren. Diese nicht, sie springt über auf tote Materie – Autos zum Beispiel. An der Herzogstraße parkt seit ein paar Tagen ein bemützter VW-Beetle. Der Bommel fehlt noch, wird aber nachgereicht, verspricht Manfred Schmidt vom Maschen-Laden.
Seit fast zehn Jahren führt er das Strickfachgeschäft. Neben dem Verkauf von allerlei Gebrauchsgegenständen und Liegrumchens aus Wolle – Topflappen, Klopapierhüte, Handybeutel, Lampenschirme, Fernsehtürme und Zipfelmützen – lebt der Mann von Aufträgen für Sonderanfertigungen jeglicher Art. Dafür hat der 42-Jährige bundesweit 30 „Omas“ am Start, die ihm die Ware stricken oder häkeln. An der Mütze für den Beetle haben drei der Frauen 200 Stunden lang gestrickt und dabei 160 Knäuel Wolle verbraucht, die insgesamt 30 Kilogramm wiegen, rapportiert Schmidt mit einem Stolz, als habe er soeben einen Zwölfender erlegt. Den Bommel macht er selber (sechs Kilogramm).
Auf die Suche nach Wärme
Immer wieder bleiben Passanten stehen, gucken, grabbeln mit den Fingern in die Wolle oder lupfen die Mütze, um drunter zu gucken. Natürlich bringen sie das sonderbare Objekt gleich in Zusammenhang mit dem Maschen-Laden, vor dem es parkt. Ob das ein Sonnen-, Hagel- oder Kälteschutz sei, ist Schmidt die Tage schon gefragt worden. Nichts von alledem. Die Mütze ist bloß ein Werbegag für einen Autoversicherer. „Die Zurich Strickmütze ist Teil der aktuellen Zurich Kfz-Werbekampagne“, erklärt Presse-Mann Bernd O. Engelien von der Zurich Gruppe Deutschland. „In Anlehnung an die Zurich Markenkampagne ‚Für alle, die wirklich lieben’ schickte das Zurich PR-Team den Star der Kfz-Kampagne – die überdimensionale blaue Strickmütze nebst Bommel – auf die Suche nach ‚wahrer Liebe’. In der City wurde parkenden Autos kurzerhand ein wenig Wärme und Zuneigung zuteil.“ Offenbart sich hier im Umkehrschluss der tiefere Sinn der Strickmütze? Sind all die urbanen Strickmützenträger auf der Suche nach Liebe? Ist diese Kopfbedeckung in Wahrheit eine Art Kontaktanzeige?
Für Manfred Schmidt hatte der Zurich-Mützen-Auftrag bereits ein Nachspiel, bevor der Auftrag vollständig erledigt war: Ein großes Transportunternehmen trat an ihn heran, ob er nicht ihre komplette Flotte – vom Sprinter bis zum 7,5-Tonner – einkleiden könne. Man stehe da jetzt in Verhandlung, sagt Schmidt.
Andere Aufträge sind übersichtlicher, aber nicht minder kurios. In Arbeit sei derzeit etwa ein Schutzhund-Engel. Die Kundin hat genau aufgezeichnet, wie das Stofftier aussehen soll. Es ist eine Kreuzung aus einem Schutzengel und einem Labrador, von dem die Kundin annimmt, dass er nicht mehr lange zu leben hat, weil er schon so alt ist, aber in bester Erinnerung bleiben soll. Ein Geschenk für den Großneffen. Auch ein Ganzkörperanzug fürs Staatstheater haben die „Omas“ schon gefertigt oder eine warme Mütze für einen Mann mit Irokesenschnitt. „Der Kamm sollte oben rausgucken und die Ohren warm bleiben“, erläutert Schmidt. Für einen älteren Herren haben die Handarbeiterinnen eine in Jahrzehnten abgetragene, currygelbe Lieblingsjacke rekonstruiert, für eine Boutique Badeanzüge und für eine Hotelkette Hunderte Hüte für Toilettenpapierrollen.
Therapeutisches Häkeln
Schmidt reizt das Medium Wolle perfekt aus. Der studierte Architekt erkennt rechtzeitig Trends und lotet die Grenzen des Materials aus. Er sprang auf dem Höhepunkt der Wohnzimmer-Trash-Welle mit Topflappen und Krimskrams auf, fädelte sich später ein in den Knitting-Boom und schaffte Wolle und Strickwerkzeug für den Heimwerkerbedarf an, nahm noch die Maßarbeit hinzu und ribbelt sich allmählich in den Bereich der Großaufträge vor. Dabei hatte alles so zufällig begonnen.
Nach dem Tod seines Vaters glitt seine Großmutter in eine depressive Stimmung, die sie durch unermüdliche Handarbeit zu parieren versuchte. „Das war beinahe therapeutisch. Meine Oma hat einfach viel zu viel unkontrolliert gehäkelt“, erzählt Manfred Schmidt. Von sämtlichen Freiflächen seiner Wohnung lappten die Spitzendeckchen; alles, was sich eintüten ließ erhielt ein Häkeltäschchen. Manfred Schmidt begann diese unkontrollierte Produktion zu kanalisieren. Nur so zum Spaß eröffnete er 2007 einen Laden, wo er nun die Arbeiten der eigenen und der zusätzlich rekrutierten „Omas“ verkaufte. Das Geschäft lief so gut, dass er irgendwann seinen Job in einem Architekturbüro kündigte. Das Stricken – oft schon tot geglaubt – stirbt nicht aus. Es gibt eben immer wieder eine neue Masche.